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Panorama: Müllrevolution stinkt den Polen

Abfall muss demnächst getrennt werden.

Warschau - Schmucke Holzvillen der Jahrhundertwende und protzige neue Einfamilienhäuser wechseln sich entlang des Flüsschens Swider ab. Doch die Idylle in der Gartenstadt Otwock gleich vor Warschau täuscht: Krähen weisen den Weg; an einer Böschung wird der Müll der Siedlung einfach hingeworfen.

Schätzungen zufolge landet ein Sechstel der Abfälle auf illegalen Deponien wie in Otwoch. Der meiste Abfall wird in der Erde vergraben, dem Recycling oder Kompost zugeführt werden nur 28 Prozent – weit weniger als im EU-Durchschnitt. Dies soll sich ändern. Bis 2020 muss laut Brüsseler Vorgaben die Hälfte des Hausmülls recycelt werden. Bisher erfüllen nur Deutschland, Österreich und die Benelux-Staaten diese Vorgaben. Auch die Schweiz würde sie mit 51 Prozent knapp erfüllen. Polen steht im regionalen Vergleich gut da. In Ländern wie Rumänien, Bulgarien oder Lettland landen mehr als 85 Prozent des Abfalls auf legalen oder illegalen Deponien. „Polen und Ungarn haben ihre Recyclingraten seit dem EU-Beitritt erheblich verbessert“, lobt die Europäische Umweltagentur.

Doch der Brüsseler Drohfinger mit seinen schmerzhaften Geldstrafen bleibt erhoben. Polen hat deshalb 2012 zuerst mit vierjähriger Verspätung die Abfallgesetzgebung an EU-Recht angepasst. Mitte dieses Jahres steht eine wahre Abfallrevolution an. Die Bevölkerung muss dann den gesamten Hausmüll trennen, die Gemeinden werden automatisch zu Besitzern dieses Abfalls. Und sie sind für dessen Abfuhr zuständig, nicht wie bisher die jeweiligen Siedlungen oder Hausbesitzer. Die freiheitsliebenden Polen sollen durch Geldanreize und technische Hilfsmittel zur Müllsegregation erzogen werden. Viele Gemeinden haben begonnen, bunte Müllsäcke – grün für Glas, rot für andere Recyclingmaterialien, schwarz für den Rest – zu verteilen. Laut Gesetz sollen die Müllgebühren leicht sinken. Wer den Müll nicht trennt, zahlt bis zu 40 Prozent mehr.

Auch in den stalinistischen Wohnblocks wird der gute alte Müllschlucker bald zugeschweißt. Die Klappen auf jedem Stockwerk fraßen 60 Jahre lang alles und füllten damit große Tonnen im Keller. Schon seit zehn Jahren versucht die Wohnungsverwaltung „Sonata“ im Stadtteil Praga ihre rund 300 Haushalte zum einfachstmöglichen Recyclingmodell zu erziehen. Zu unterscheiden ist nur Nass- und Trockenabfall. „Ein Viertel ist auch damit überfordert“, sagt ein Wohnungsbesitzer kopfschüttelnd und zeigt auf die rote Tonne für Recylingmüll. Dort liegen Windeln, Bananenschalen und andere Küchenabfälle. „Die Rechnung dafür müssen wir alle bezahlen“, regt sich der junge Mann auf. Wird der Müll nicht sortiert, belegt die Gemeinde künftig die ganze Siedlung mit den Sonderabgaben.

Der Aufruhr gegen das neue Gesetz ist deshalb groß. Alle klagen. Die bisher Tausenden von kleinen Müllabfuhrfirmen sind überzeugt, nur die Großen können den einsetzenden Preiskampf überleben. Die Hälfte der Gemeinden ist mit Ausschreibungen und Informationsbroschüren in Verzug. Die Stadt Innowroclaw hat gar vor dem Verfassungsgerichtshof dagegen geklagt. Paul Flückiger

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