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Musik: Sade ist wieder da

Zehn Jahre kein Lebenszeichen, jetzt ein neues Album – und die Sängerin bleibt ein „Smooth Operator“.

Wer sich an die achtziger Jahre erinnern kann, der hat sie nicht erlebt, lautet eine gern zitierte Weisheit. Seit einiger Zeit erinnert man sich sehr gerne wieder an die Achtziger. Meistens werden sie als wildes, punkiges Jahrzehnt gefeiert. Tatsächlich haben sie noch eine andere Seite, die heute seltsam vergessen scheint. Denn popkulturell begannen die Eighties als Abkehr von den Hippietraditionen der Siebziger. Die langen Haare wurden abgeschnitten, statt der ausgefransten Blue Jeans trug man weiße Hosen mit Bügelfalte. Die achtziger Jahre, das wird oft vergessen, waren nicht nur das Jahrzehnt von New Wave und Neo-Punk. Sie waren auch das Jahrzehnt der Yuppies, die sich in Bars trafen, auf deren Tresen die Eiswürfel in den Bacardi-Gläsern magisch im Schwarzlicht glommen. Im Hintergrund hauchte dazu eine samtweiche Stimme Texte, die man nicht zu verstehen brauchte. Ab und zu jedoch schälte sich zum Mitsummen ein Wortpaar heraus, das melodisch eingängig war, inhaltlich aber vollkommen unverständlich blieb: „Smooth Operator“. Es war die Zeit von Sade.

Nun ist die Londoner Formation wieder da. Soeben erschien das neue Album „Soldier of Love“ und man reibt sich verwundert die Augen. Sade? Mal ehrlich: So richtig hatte die niemand mehr auf dem Schirm. Sicher, vor zehn Jahren war mit „Lovers Rock“ mal wieder ein Album erschienen. Aber vermisst hatte man Sade schon damals nicht. Dazu blieb es zu ruhig: keine Skandale, keine Dramen. Außerdem war die Musik ja auch immer irgendwie da. Den Zahlen zufolge verkauft sich Sade selbst dann konstant, wenn seit Jahren mal wieder kein Album erschienen war.

Ihre eigentliche Bedeutung hatten Sade damals in den Achtzigern. Was „Fegefeuer der Eitelkeiten“ für die Literatur und „Wall Street“ für das Kino darstellte, das war Sade auf den Plattentellern. Wie kaum ein anderer Act jener Jahre eignete sich Sade als Soundtrack zu Deregulierung und geistig-moralischer Wende: die Klang gewordene Thatcher-Ära. Den sanft gehauchten Designerpop auf Hintergrundklänge für Fahrstühle und teure Hotellobbys zu reduzieren, hieße dennoch, ihm Unrecht zu tun. „Diamond Life“, das 1984 erschienene Debüt-Album, hatte auf seine gänzlich unaufdringliche Art und Weise Musikgeschichte geschrieben. Mit den Hit-Singles „Your Love Is King“ und natürlich dem „Smooth Operator“, heimste die vier Millionen Mal verkaufte Langspielplatte nicht nur Platin ein. Sie begründete ein ganzes Genre.

Im Unterschied zu den zahlreichen Lounge-Compilations, die heute irgendwo zwischen Kitsch und Karibik mit stöhnenden Backgroundvocals als musikalischer Pauschalurlaub zum All-inclusive-Tarif locken, war Sade kein austauschbares Remix-Produkt. Die Artschool-Band hatte ihre Wurzeln in der Londoner Jazz-Pop-Szene der Achtziger. Ihr Zentrum war die Modestudentin und Sängerin Helen Folasade Adu, deren nigerianischem Zweitnamen der Bandname Sade entnommen war. Die drei angelsächsischen Musiker blieben stets dezent im Hintergrund, weil das Geheimnis um die wohl inszenierte mandeläugige Schönheit das beste Marketing war. Tatsächlich glauben bis heute selbst Fans, es handele sich bei Sade um einen weiblichen Soloact – und nicht um eine Band.

Das Ex-Model selbst gilt als äußerst öffentlichkeitsscheu. Über die heute 51-Jährige, von der ausschließlich Coverfotos zu existieren scheinen und die im Booklet zur neuen CD aussieht wie 15, ist fast nichts bekannt. Selbst der „Rolling Stone“, der anlässlich des neuen Albums Licht ins Dunkel zu bringen suchte, erfuhr nicht viel. Sade-Saxofonist Stuart Matthewman verriet dem Musikmagazin, dass sie keine Uhren mag und gerne mal im Garten arbeitet. Der Rockjournalist David Hepworth kennt den Namen ihres Ex-Freundes und will sie einmal allein in einem Londoner Kino gesehen haben. Und in einem acht Fragen kurzen Interview gibt sich Helen „Sade“ Adu als bekennende Melancholikerin und Country-Fan zu erkennen. Geführt wurde das Interview per E-Mail.

Und die neue Platte? Auf „Soldier of Love“ tönen Lyrics vage martialisch von soldatischer Liebe: gehauchte Lippenbekenntnisse, die im Ungefähren schweben. Es gibt ein einsames Piano-Präludium, klagende Streicher, spanische Gitarren und einen puristischen Gesang von geradezu ahistorischer Qualität. Das Ganze wird wie immer gut mit dem Jazzbesen durchgerührt und dezent mit dem Schüttelei gesalzen. Früher nannte man das New Jazz, heute heißt es R & B. Zieht man die Effekte ab und nimmt die dezenten Break-Beats weg, dann ist es im Grunde immer noch dasselbe. Die Träume vom Luxusleben mögen um uns herum schmelzen, in Sades Musik sind sie wie einschlossen in einer Zeitkapsel, die seit 1984 unbeirrt durch den Musikkosmos schwebt, eine schimmernde Projektionsfläche für das bessere Leben.

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