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Musikalische Völkerverständigung mit der Gruppe "Tatavla Keyfi", die seit zehn Jahren in Istanbul auftritt.

© privat

Musikalische Fusion: Die Sehnsucht nach Konstantinopel erklingt im Rebetiko

Der Rebetiko, eine griechisch-anatolische Musikfusion, wird in Istanbul wiederentdeckt. Davon profitiert auch das Verhältnis von Griechen und Türken.

Gitarrenakkorde klingen durch den Treppenaufgang eines alten Mietshauses in der Innenstadt von Istanbul. Im zweiten Stock ist eine Wohnung zu einer Kneipe mit einem Dutzend Tischen und einer winzigen Bühne umfunktioniert worden; wer das Lokal nicht kennt, der findet sicherlich nicht hierher. Ein schnauzbärtiger Gitarrist lässt sein Instrument einpegeln und singt zur Probe ein paar Takte auf Griechisch. Günes Demir heißt der Musiker, und er ist Türke. So richtig perfekt beherrsche er die griechische Sprache noch nicht, gesteht er nach dem Soundcheck, aber immerhin könne er inzwischen die Texte verstehen, die er früher nur auswendig gelernt habe. Günes gehört der Gruppe „Tatavla Keyfi“ an, einer treibenden Kraft hinter der Renaissance der griechischen Kneipenkultur im früheren Konstantinopel und der Musik, die daraus entstanden ist. Rebetiko heißt dieses Genre, und es wurde von der Unesco in der vergangenen Woche zum Weltkulturerbe erklärt.

In den Weinhäusern tanzten Istanbuler aller Glaubensrichtungen

Tatavla war ein Stadtviertel von Konstantinopel, das vorwiegend von Griechen bewohnt und weithin als Vergnügungsviertel bekannt und beliebt war. Noch bis in die 1970er Jahre wurden die meisten Kneipen von Istanbul von Griechen oder Armeniern betrieben, die nicht im türkischen Staatsdienst arbeiten durften und deshalb auf freie Berufe auswichen. In den berühmten „meyhane“ – wörtlich: Weinhäuser – tranken, sangen und tanzten Istanbuler aller Glaubensrichtungen. Heute sind die Griechen fort, ihre Kneipen wurden von türkischen Betreibern übernommen, und das Stadtviertel hat jetzt einen türkischen Namen. Doch seit ein paar Jahren erlebt Istanbul eine Nostalgie nach der Musik, die in den griechischen Kneipen gespielt wurde – und eine neue Sehnsucht nach den vertriebenen Griechen.

Die Gruppe ist so bunt gemischt wie es Konstantinopel einst war

„Vergnügen von Tatavla“ bedeutet der Name von „Tatavla Keyfi“, und die Musikgruppe ist so bunt gemischt, wie es Konstantinopel einmal war. Der Mann an der Bouzouki heißt Yorgo Marinakis und ist ein waschechter Grieche aus Kalamata. Yannis Dimitriou, der Trommler, ist aus Athen, der Sänger Haris Rigas ebenfalls ein Grieche, der Mann am Akkordeon, Mamed Caferov, stammt von der Krim, und Gitarrist Günes Demir ist Türke. Die Musiker singen auf Griechisch und unterhalten sich auf Türkisch – ein kultureller Mix wie ihre Musik.

„Rebetiko ist eine Fusion der Musik aus den griechischen Scherbenvierteln der 1920er Jahre mit der Musik der anatolischen Einwanderer, die beim Bevölkerungaustausch die Türkei verlassen mussten“, erläutert Günes. Der melodische Aufbau entstammt der anatolischen Musik, angereichert mit griechischen Melodien, die vom Balkan und aus Italien übernommen sind. Was den Rebetiko aber vor allem ausmacht, das ist der freizügige Umgang der Griechen mit den strengen Formen der osmanischen Musik: Während die Modulation der osmanischen Musik festen Gesetzen unterliegt, halte sich der Rebetiko wenig an diese Regeln und wechselt locker zwischen den verschiedenen Tonarten. Das mache den musikalischen Reiz dieser Fusion aus, finden die Musiker.

Auch die Texte sind fester Bestandteil des Rebetiko – „eine Art urbane Underground-Literatur, die vom harten Leben in den Scherbenvierteln erzählt, von Drogen, von Scherereien mit der Polizei, von Prostitution“, sagt Günes. „Rebetiko erzählt das auf poetische Art, aber mit aktueller Umgangssprache, und das ganz meisterhaft.“

Trommler Yannis wärmt sich schon mal mit Holzlöffeln auf

Inzwischen haben sich die Tische in der kleinen Kneipe gefüllt. Trommler Yannis wärmt sich mit Holzlöffeln auf, die er zwischen den Fingern tanzen lässt. Akkordeonspieler Mamed kommt verspätet in das Lokal gehetzt. Der Krimtatare ist studierter Dirigent, beherrscht mehrere Instrumente und ist ein gefragter Mann in der Istanbuler Musikszene. Rebetiko spiele er besonders gerne, erzählt er. „Diese Musik ähnelt unserer eigenen Musik, weil auch auf der Krim einst Griechen lebten.“ Lange hat Mamed selbst in der Verbannung gelebt, im usbekischen Taschkent, und kennt deshalb die Sehnsucht, von der Rebetiko erzählt. „Rebetiko mag eigentlich jeder“, sagt er, „aber ich mag es noch mehr, weil es mich an meine Heimat erinnert.“ Dann geht es los auf der Bühne.

Es dauert nicht lange, bis Stimmung aufkommt. Bald wird getanzt, geprostet und mitgesungen; auch das Rauchverbot ist irgendwann vergessen. Dann ist Pause, die Musiker greifen zu ihren Krügen. Yannis blickt zufrieden in die volle Kneipe. „Was wir hier machen, wurde jahrzehntelang nicht gemacht in diesem Land“, sagt er. „Erst im letzten Jahrzehnt haben wir es geschafft, dass Griechen und Türken sich wieder gemeinsam vergnügen.“

Die Griechen wurden einst wegen der Zypernkrise vertrieben

Seit „Tatavla Keyfi“ vor zehn Jahren damit begonnen hat, sind weitere Rebetiko- Gruppen in Istanbul entstanden; inzwischen werden Rebetiko-Abende von großen Restaurants und Hotels veranstaltet. „Die Türken kommen aus Nostalgie zu diesen Konzerten“, sagt Günes. Rund 100 000 Griechen lebten vor knapp hundert Jahren noch in Istanbul, heute sind es keine 2000 mehr – die anderen wurden in den 1960er und 70er Jahren als Sündenböcke für die Zypernkrisen vertrieben. „Doch die Nostalgie, die Sehnsucht nach den Griechen von Istanbul, die spielt hier kulturell noch immer eine Rolle“, sagt Günes. „Ich glaube, das suchen die Leute, wenn sie zu unseren Vorstellungen kommen.“

Die Musiker spielen wieder auf. Mit ausgebreiteten Armen wiegen sich einige Zuhörer im Schreittanz, andere haben die Augen geschlossen und summen mit. Über den Hintergrund dieser Nostalgie solle man sich keine Illusionen machen, meint ein nüchterner junger Türke namens Arda. „Viele säkulare, kemalistische Türken haben die Istanbuler Griechen früher als Feinde betrachtet, doch mit dem Aufstieg der Islamisten haben sie sie nun zu Freunden umdefiniert“, philosophiert er über seinem Glas. „Es gibt so eine Stimmung: Eigentlich waren das ja gute Menschen, schade, dass sie weg sind. Wir haben sie vertrieben, doch dafür sind nun die Islamisten gekommen – und es ist alles schlechter geworden.“

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