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Panorama: Mutter Courage

Sie war Komikerin, Soubrette, Fassbinder-Heldin und Dame vom Grill: Zum Tod von Brigitte Mira

Volksschauspieler, das klingt nach einer Kategorie zweiter Güte. Nach Tingeltangel, wackelnden Pappkulissen und billigem Vergnügen. Dabei ist der Begriff eigentlich eine Auszeichnung: Volksschauspieler werden geliebt. „Seine Menschlichkeit zeichnete ihn aus. Er war ein Mann aus dem Volk – und ganz ehrlich“, hat Brigitte Mira über Günter Pfitzmann gesagt, ihren vor zwei Jahren gestorbenen Kollegen. In der Charakterisierung steckt auch ein Selbstporträt.

Menschlichkeit, Volksnähe, Ehrlichkeit: altertümlich anmutende Eigenschaften, die zu Miras Primärtugenden gehörten. Zur Grande Dame war sie eher nicht geeignet, sie spielte in nahezu allen Genres und war doch immer unverkennbar Brigitte Mira: in der Fernsehserie „Drei Damen vom Grill“ als Patriarchin einer Berliner Bratwurstsippe oder in Fassbinders Melodram „Angst essen Seele auf“ als Putzfrau, die sich in einen viele Jahre jüngeren Ausländer verliebt. Auch Inge Meysel und Harald Juhnke gehörten zu dieser seltenen, aussterbenden Spezies. Am Dienstag ist die Mira im Alter von 94 Jahren in einem Berliner Krankenhaus gestorben.

Sie hatte nie ein Problem damit, als Vorzeigeberlinerin zu gelten, obwohl sie, 1910 als Tochter eines russischen Konzertpianisten in Hamburg geboren, in Düsseldorf aufgewachsen war. Das einte sie mit einer anderen Icke-Ikone, mit Claire Waldoff, die es ebenfalls aus Nordrhein-Westfalen an die Spree gezogen hatte. Gleich ihr stand die junge Mira auf den Bühnen so legendärer Vergnügungsetablissements wie dem „Kabarett der Komiker“ und dem alten, an der Friedrichstraße gelegenen „Wintergarten“. Als die Entertainerin 1993 im gleichnamigen Varietétheater an der Potsdamer Straße mit einer rundum gelungenen One-Woman-Show überraschte, sollte das Folgen zeitigen – auch für die Kolleginnen Helen Vita und Evelyn Künneke.

Die drei Jahre später von der „Bar jeder Vernunft“ produzierte Nummernrevue „Drei alten Schachteln in der Bar“ gab der vielseitigen Künstlerin noch einmal ausgiebig Gelegenheit, ihre Brettl-Neigung auszuleben. Fast ein halbes Jahrhundert war vergangen, seit sie in Günter Neumanns „Insulaner“-Ensemble beim Rias Berlin und auf Tour mit den „Fröhlichen Spöttern“ Erfolge gefeiert hatte. Was die Nazis unter Kabarett, im weitesten Sinne, verstanden, durfte sie 1943 kennen lernen und vermitteln. Über ihre Mitwirkung bei den propagandistischen Kurzfilmen „Liese und Miese“ erzählte Mira 1995 in einem Tagesspiegel-Interview: „Die Rolle hat mir sehr viel Spaß gemacht. Ich war noch sehr jung damals, und ich durfte alles sagen, was kein anderer Mensch sagen durfte. Ich konnte sagen ,dieser Scheiß-Krieg’, ich konnte sagen ,ach, gibt’s wieder nischt zu essen’ und so weiter.“ Brigitte Miras Vater war Jude, sie hat ihn während des Zweiten Weltkriegs versteckt.

Als Reminiszenz an verflossene Revuezeiten parodierte die „alte Schachtel“ den operettenseligen Habitus. Mit diesem Genre hatte schließlich Ende der zwanziger Jahre – unter anderen in Kölner, Kieler, Bremerhavener Häusern – ihre Karriere begonnen, bevor sie sich 1941 endgültig in Berlin niederließ. Wenn sie später als über Achtzigjährige nachgerade niedlich das naive Mädel mimte, galt die (Selbst-)Ironie auch jenen zahlreichen Fernsehproduktionen der Sechziger, die sie gern als Soubrette vom Dienst präsentierten. Koketten Wimpernschlages und mit zitteriger Stimme sang sie noch einmal Franz Lehárs „Vilja-Lied“, bald schon den „dämlichen Text“ kommentierend, bis sie lächelnd ihrem Alter Tribut zollen musste: „seufzen“ sei schwerer zu artikulieren, „wegen der Jacketkrone“.

Vornan im Bewusstsein des Publikums steht freilich die Schauspielerin Brigitte Mira, als patente TV-Omi in leichtgewichtigen Serien. Mit Rainer Werner Fassbinders Serie „Acht Stunden sind kein Tag“ begann 1972 ihre rund zehn Jahre währende Zusammenarbeit mit dem Regisseur, dem sie die interessantesten Rollen ihrer Karriere verdankte. Sie spielte in „Mutter Küsters Fahrt zum Himmel“, „Berlin Alexanderplatz“ und „Lili Marleen.“ Den berüchtigten, 1982 verstorbenen Regie-Diktator Fassbinder beschrieb sie mit liebevollen Worten: „Er hat so gern gelacht, wie ein Kind, wie ein kleiner Junge. Das wissen die wenigsten und sagen die wenigsten. Ich weiß genau, dass ich, wenn dieser Mann noch lebte, noch ein paar goldene Filmbänder bekommen hätte“, spekulierte sie lange nach seinem Tod, mit Blick auf den Kinofilm „Angst essen Seele auf“, der ihr 1974 eben diese Auszeichnung beschert hatte.

Es war ihre bedeutendste Rolle, die sie gewissermaßen ins wahre Leben überführte. Zum fünften Gatten erwählte sie den über zwanzig Jahre jüngeren italo-amerikanischen Regisseur Frank Guerente. Doch ausgerechnet er, bei dem ihr nie der Gedanke an Scheidung kam, starb nach nur neun Jahren glücklichen Beisammenseins.

„Uns Biggi“, mitunter als populistisch abgetan, war eine große Charakterdarstellerin. Sie besaß genügend Distanz, immer wieder den Level zu wechseln. Im Spannungsfeld zwischen Zadek-Spektakel „Kleiner Mann – was nun?“ (1972, am Bochumer Schauspielhaus) und Boulevard-Komödien am Kurfürstendamm blieb nicht nur Raum für Liederabende, Galas und die Patenschaft für das Neuköllner Seniorenheim „Villa Mira“. In Brigitte Grothums alljährlicher „Jedermann“-Inszenierung im Berliner Dom bewies sie kürzlich ein weiteres Mal, dass sie, „solang der Kopp noch dran ist“, zuverlässig ihren Verpflichtungen nachkommt.

Nach einem bösen Sturz ins Krankenhaus verbracht, gelang es ihr einmal, den Chefarzt davon zu überzeugen, dass sie die Arbeit als Therapeutikum benötige. Also wurde sie regelmäßig zur Vorstellung in den Berliner Dom gefahren, wo sie Jedermanns Mutter spielte, um anschließend in die Klinik zurückzukehren. Zweifellos, die Mira war das klassische Beispiel einer disziplinierten Stimmungskanone, obwohl sie, zu Gast bei Alfred Biolek, behauptete, sie wisse gar nicht, was das sei: Disziplin. Das Talkthema „Die Stärke der Frauen“ kommentierend meinte sie, sie habe immer von ihren Schwächen gelebt.

1988 erschien der Memoirenband „Brigitte Mira – Kleine Frau, was nun?“, den sie mit dem vor einigen Jahren verstorbenen Journalisten Bernd Lubowski geschrieben hatte. Vor dem Sterben hat’s ihr gegruselt, aber wenn es denn unbedingt sein müsse, dann bitte so, „dass irgendwann der Vorhang fällt und ich hinter der Bühne graziös zusammensinke. So, dass es auch noch ein hübsches Foto gibt.“

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