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Panorama: Nabelschau verboten

In Niedersachsen sollen Schülerinnen keine kurzen T-Shirts tragen. Eine Debatte um Kleiderordnung und Generationenkonflikt

Tief ausgeschnittene Dekolletés, bauchfreie Shirts und Hüfthosen, die den Po nur unzureichend bedecken, sind in der Gesamtschule Sehnde bei Hannover neuerdings tabu: Die Schule hat eine Kleiderordnung eingeführt. „Wegen der Hitze sind einige Schüler sehr offenherzig bekleidet zur Schule gekommen, mit Kleidung, die an allen Ecken und Enden zu kurz war“, sagt Schulleiterin Helga Akkermann.

Manche Eltern haben deshalb in den vergangenen Tagen einen Brief der Schulleitung erhalten, in dem sie um Unterstützung für die erzieherischen Bemühungen der Schule gebeten werden. In dem Brief, den Akkermann in Absprache mit den Schulleitungskollegen und einigen Lehrern verfasst hat, weist die Direktorin darauf hin, dass solche Shirts und Hosen „als Schul- oder Arbeitskleidung nicht angebracht“ sind. Die Lehrer wollen verhindern, dass „Mädchen oder Jungen während der Schulzeit mit Strand- oder Diskobekleidung auftreten“. In der Freizeit sei das in Ordnung, aber nicht in der Schule, sagt Lehrerin Inge Hake. Ihre Kollegin Heidrun Weiß berichtet, selbst im Winter kämen viele Mädchen mit bauchfreien Shirts zur Schule. „Es lenkt ab und stört den Unterricht, wenn Mädchen als Oberteil nur einen BH mit zwei dünnen Trägerchen anhaben“, sagt Weiß. Manche Schülerinnen tragen zu dem Mini-Bustier dann noch Hüfthosen, die den Po eher entblößen als bedecken: Der Tanga soll gut sichtbar sein. „Sie setzen sich gegenseitig unter Druck. Die Frage ist, wer am wenigsten anhat“, betont Hake. Die Lehrer sagten sich schließlich, es gebe in vielen Berufen eine Kleiderordnung, warum nicht auch in der Schule.

Die Lehrer haben das Thema zum Teil in den Klassen diskutiert und einzelne Schüler angesprochen. Einige bekommen den Brief mit nach Hause. „In den Gesprächen hat sich gezeigt, dass manche sich gar nicht bewusst sind, dass sie sexuelle Aufmerksamkeit erregen“, sagt Akkermann. Vorbilder sind leicht bekleidete Popstars wie Sarah Connor, Jennifer Lopez, Shakira oder das Skandal-Duo t.A.T.u. Viele Mädchen suchten sich bereits in der fünften Klasse Kleidung aus, die bestenfalls für erwachsene Frauen angemessen wäre. Am 25. Juni wollten die Lehrer die Eltern in der Schulelternratssitzung über die Kleiderfrage informieren. „Wir wollten keinen Rundumschlag machen und den Brief an alle verschicken, denn in manchen Klassen tragen alle Schüler normale T-Shirts“, betont Akkermann.

Bei den meisten Schülern kommt die neue Kleiderordnung nicht gut an. „Auf der Straße laufen die Mädchen doch auch so rum“, sagt der 15-jährige Ribat.

Im Sommer könne sie doch keinen Rollkragenpulli tragen, beschwert sich auch die 15-jährige Janine. „Das würde den Lehrern anscheinend am besten gefallen.“ Doch es gibt auch Mädchen, die es „total peinlich“ finden, wenn Mitschülerinnen sich vor den Lehrern nur knapp bekleidet zeigen. Und andere haben sich schon an die neuen Regeln angepasst. Die meisten Eltern, die von dem Brief erfahren haben, halten den Vorstoß der Lehrer für sinnvoll. „Sommerliche Bekleidung ist bei den jetzigen Temperaturen angemessen, aber sie sollte nicht provokativ sein“, sagt die Schulelternratsvorsitzende Ingrid Jerke-Müller. Die Grenze sei allerdings schwer zu ziehen. „Es geht eigentlich nur um die Schüler, die den Bogen überspannen. Ich habe selbst schon Jungs gesehen, bei denen die halbe Pobacke zu sehen war. Das kann ich nicht gutheißen.“ Manche Eltern sprechen sogar von einem „mutigen Schritt“ der Schulleitung.

Auch andere Schulen sehen dies als Problem. „Es gibt immer mal Schülerinnen mit Bikini-Oberteilen wie im Strandbad oder Röcken, die so kurz sind, dass sie an Gürtel erinnern“, sagt Renate Höfling von der Freiherr-vom-Stein-Schule in Bemerode. Uwe Schröter von der Ada-Lessing-Hauptschule in Bothfeld hält eine Kleiderordnung, die nur von der Schulleitung verordnet wird, allerdings für schwer durchzusetzen. Nur wenn Eltern, Lehrer und Schüler zustimmten, würde er Regeln einführen. „Und alle müssten gemeinsam darüber diskutieren, was sie als zu freizügig ansehen“, meint Schröter.

Höfling ist da unverblümter: Sie schickt Mädchen, die nur leicht bekleidet sind, zum Umziehen nach Hause. Weil die Kleidungsstücke der Schüler – und speziell der Schülerinnen – immer knapper wurden, hat die Realschule vor drei Jahren in ihre Schulordnung die Bitte um angemessene Kleidung aufgenommen. Eine Elternsprecherin hält die Kleiderfrage für einen typischen Generationenkonflikt. „Wir hatten früher zerrissene Jeans an, das hat unseren Eltern auch nicht gefallen.“ Weit über Hannover hinaus hat der Vorgang Diskussionen ausgelöst. Bei einer Umfrage des NDR-Regionalfernsehens befürworteten 98 Prozent der Zuschauer Kleiderregeln an der Schule.

Bärbel Hilbig[Hannover]

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