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Panorama: Nach dem Beben kommen die Bagger

Viele Einwohner verlassen Christchurch für immer – denn die Stadt wird lange Baustelle bleiben

Emily Smith will einfach nur weg. Weg aus dieser Stadt, in der die Erde bebt. Weg aus dieser Stadt, bevor es vielleicht noch schlimmer kommt. Die aus Irland stammende Mutter von Töchtern im Alter von fünf Monaten und zwei Jahren kehrt Christchurch für immer den Rücken. „Ich kann dieses Gefühl einfach nicht abschütteln“, sagte Smith Reportern vor dem Abflug, „und mit zwei kleinen Kindern fühlst du dich noch verwundbarer. Wir finden, wir haben keine andere Wahl.“ Die schweren Erdbeben von Anfang September und vom Dienstag letzter Woche sowie rund 5000 Nachbeben haben sie zermürbt. Und wie sie und ihr Mann denken viele der 350 000 Einwohner der zerstörten Stadt im Süden Neuseelands. Ein gewaltiger Exodus hat dort jetzt begonnen.

Manch einer verlässt Christchurch auch einfach aus wirtschaftlichen Gründen. Denn es wird Monate, wenn nicht sogar Jahre dauern, bis sich das Leben hier normalisiert. „Keiner wird für lange Zeit an Design auch nur denken“, sagte der Grafikdesigner Matthew Bolton, bevor er in ein Flugzeug stieg. Er will in Auckland sein Glück versuchen.

Mittlerweile wird davon ausgegangen, dass rund ein Drittel der Gebäude in Christchurchs Innenstadt abgerissen werden muss. Das Stadtzentrum ist weiträumig abgesperrt, während hunderte Retter aus aller Welt sich verzweifelt durch die Trümmer arbeiten und die Hoffnung auf ein Wunder mit jeder Stunde sinkt.

Wahrscheinlich sind mehr als 200 Menschen ums Leben gekommen. Bisher wurden 147 Leichen geborgen, 200 Namen stehen noch auf der Vermisstenliste – doch sind noch nicht alle Toten identifiziert. Polizeichef Dave Cliff geht davon aus, dass viele der Vermissten unter den Toten sind. Die Identifizierung sei schwierig, weil viele Opfer von Beton- und Trümmerbrocken bis zur Unkenntlichkeit entstellt seien. „Wir wissen, dass viele, wenn nicht sogar alle der Toten auf der Vermisstenliste stehen“, sagte Cliff. „Aber das heißt, es gibt noch mehr als 50 Opfer mehr.“ Noch sind nicht alle eingestürzten Häuser systematisch abgesucht. Die meisten Opfer werden am Canterbury-Television- und dem Pyne-Gould-Gebäude sowie unter dem eingestürzten Turm der berühmten Kathedrale vermutet.

Das Gotteshaus hatte jährlich 700 000 Besucher. Genau wie viele andere historische Gebäude hat es dem Beben nicht standgehalten, etwa 20 Menschen wurden darunter begraben. Als wichtiges Wahrzeichen der Stadt soll die Kathedrale auf jeden Fall wieder aufgebaut werden.

Fraglich ist derzeit auch, ob Christchurch in der Lage sein wird, im September die in der Stadt geplanten Spiele der Rugby-Weltmeisterschaft wirklich zu veranstalten. Rugby hat in Neuseeland eine enorme Bedeutung. Die einheimische Mannschaft, die „All Blacks“, sind das berühmteste Sportteam des Landes. So wäre ein Verzicht auf die Austragung in Christchurch nicht nur finanziell, sondern auch psychologisch ein schwerer Schlag für die Einwohner.

Die Hälfte der Stadt hatte am Sonntag immer noch kein fließendes Wasser, 20 Prozent aller Häuser müssen noch ohne Strom auskommen. Aber nicht alle wollen ihrer Stadt den Rücken kehren.

Manche haben sich jetzt geschworen, den widrigen Umständen zu trotzen, erneut in die Hände zu spucken und ihre Stadt, die eigenen Häuser, wieder aufzubauen. Ross Whelan zum Beispiel, der nur Stunden vor dem tödlichen Beben am vergangenen Dienstag gerade Besuch von einer Baufirma bekommen hatte, die ihm einen Kostenvoranschlag zur Beseitigung der Beschädigungen durch das September-Erdbeben machen wollte. Das ist nun überflüssig – Whelans Haus ist jetzt total zerstört. Trotzdem ist der Besitzer wild entschlossen, zu bleiben: „Wir gehen nirgendwo hin.“ Familienbande halten ihn.

Nach vorsichtigen Schätzungen sollen die beiden Erdbeben vom September und vergangenem Dienstag zusammen umgerechnet mindestens 7,5 Milliarden Euro kosten. Möglicherweise wird eine Sonderumlage unter Neuseelands nur vier Millionen Einwohnern nötig, um den Wiederaufbau zu finanzieren. In der Region Christchurch werden rund 15 Prozent des nationalen Bruttosozialproduktes erwirtschaftet. Die Stadt ist außerdem ein Tourismusmagnet, hunderttausende kommen alljährlich aus aller Welt, um das „Oxford am anderen Ende der Welt“ zu bestaunen.

Für Dienstag um 12 Uhr 51 sind zwei Schweigeminuten vorgesehen. Dann wird das letzte Beben genau eine Woche her sein. Die Folgen werden die Menschen noch lange erinnern.

Alexander Hofmann

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