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Nach dem Hurrikan: Bis zu 10.000 Tote befürchtet

In den Hurrikan-Gebieten beginnt der Wasserspiegel zu sinken, aber zugleich wächst die Furcht vor dem, was die Fluten freigeben.

New Orleans (06.09.2005, 16:41 Uhr) - Mehr als eine Woche nach «Katrinas» Angriff schließt der Bürgermeister von New Orleans, Ray Nagin, nicht aus, dass bis zu 10 000 Menschen ihr Leben verloren haben. In der Lagerhalle der Kleinstadt Saint Gabriel in Louisiana wurde eine riesige Leichenhalle eingerichtet, die 5000 Tote aufnehmen soll. Ein Team aus 100 Mitarbeitern soll in Schichten rund um die Uhr die Toten identifizieren. Offiziell liegen die Zahlen noch bei wenigen hundert, aber auch die Gouverneurin von Louisiana, Kathleen Blanco, äußerte am Dienstag erneut die Erwartung, dass sie in die Tausende gehen wird.

US-Präsident George W. Bush, der wegen der langsamen Reaktion der Washingtoner Behörden auf die Katastrophe unter schweren Beschuss geraten war, wollte sich am Dienstag erneut an die Nation wenden. Nachdem er am Montag zum zweiten Mal die Katastrophengebiete besucht hatte, plante er eine Erklärung im Rosengarten des Weißen Hauses mit Kongressmitgliedern an seiner Seite, wie der Sender CNN berichtete.

Nach Tagen andauernder Gewalt in New Orleans wurde die Stadt am Dienstag für sicher erklärt. Der hellste Silberstreif am Horizont aber war am Dienstag das Sinken des Wassers. Nachdem die Reparatur von zwei gebrochenen Deichen gelungen war, begannen Heerespioniere damit, das Wasser mit Pumpen aus New Orleans abzusaugen und in den Pontchartrain-See zurückzuleiten. In manchen Straßen sank der Wasserspiegel binnen weniger Stunden um fast 25 Zentimeter, und an einigen Stellen konnten die Rettungs- und Bergungsmannschaften erstmals trockenen Fußes ihre Suche nach Lebenden und Toten fortsetzen.

"Es wird schrecklich werden"

Bürgermeister Nagin sagte im US-Fernsehen, nach Wut und Verzweiflung sehe er nun Zeichen für eine Wende. Zugleich fürchte er das, was sich unter dem verseuchten Wasser verberge: «Es wird schrecklich werden und wird die Nation erneut aufrütteln.» Nagin warnte auch vor Epidemien. Leichen verwesten im Wasser, Mücken brüteten in den überfluteten Regionen und verbreiteten dann neue Krankheiten. Nach Angaben des Bürgermeisters wird es rund drei Wochen dauern, die Stadt auszutrocknen und mehrere weitere Wochen, Schutt und Trümmer wegzuräumen. Bis die Elektrizitätsversorgung wiederhergestellt sei, würden bis zu zwei Monate vergehen.

Nach EU-Angaben verzögern Probleme der US-Behörden bei der Koordinierung der Katastrophenhilfe die technische Unterstützung aus Europa. So seien die deutschen Hochleistungspumpen inzwischen in den USA eingetroffen, aber bislang nicht zum Einsatz gekommen, sagte eine Sprecherin der EU-Kommission am Dienstag. Die US-Behörden «müssten uns sagen, wie viele Pumpen wohin gehen sollen», aber das sei bis Dienstagmittag nicht geschehen.

Fortschritte gab es bei der weiteren Evakuierung der Katastrophengebiete, auch wenn am Dienstag noch Tausende auf ihre Rettung warteten und viele sich weigerten, ihre Häuser zu verlassen. Angesichts der gewaltigen Flut von Flüchtlingen sollten etwa 4000 Menschen noch am Dienstag auf zwei Luxusschiffen der weltgrößten Kreuzfahrtlinie Carnival untergebracht werden. Ein drittes Schiff wurde bereits gechartert. Unter den Flüchtlingen wurden jene zur Unterbringung auf dem Wasser ausgesucht, die am schnellsten eine gute Unterkunft benötigen: alte Menschen und Alleinerziehende mit kleinen Kindern.

Notstandsregelungen in acht weiteren Bundesstaaten

Bush hatte am Montagabend bei seinem zweiten Besuch im Katastrophengebiet eingeräumt, es gebe noch viel zu tun. Am Sonntag hatte das Weiße Haus mit Notstandsregelungen in acht weiteren Bundesstaaten den Weg für die Vergabe von Bundesgeldern für die Flüchtlingshilfe freigemacht. Vorher war dies bereits für die betroffenen Staaten geschehen.

Im Pentagon gibt es CNN zufolge Überlegungen, die überfluteten Gebiete mit Insektiziden zu besprühen. Damit solle die Vermehrung der Mücken gestoppt werden, die unter anderem das West-Nil-Virus verbreiten, das Hirnhautentzündung auslösen kann.

Der Chef der Umweltbehörde der Vereinten Nationen, Klaus Töpfer, hat eine Wende in der globalen Energiepolitik gefordert. «Wir müssen unabhängiger vom Öl werden», sagte Töpfer der «Berliner Zeitung». Dazu zählten der Ausbau erneuerbarer Energien sowie verstärkte Anstrengungen beim Energiesparen. «Wir sollten nicht bis zu den nächsten Katastrophen warten.»

Die vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) eingerichtete Webseite zur Familienzusammenführung in den Überschwemmungsgebieten der USA wird stark besucht. «Wir erhalten hunderte von Mails und Anrufen täglich von Menschen, die ihre Daten eingeben wollen oder Kontakte mit Gesuchten aufgenommen haben», sagte IKRK-Sprecher Florian Westphal am Dienstag. (tso)

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