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Panorama: Nach dem Regentanz kamen die Tropfen

Reichen die Niederschläge in Brasilien aus, das vertrocknete Land gegen neue Feuer zu wappnen?VON CARL D.

Reichen die Niederschläge in Brasilien aus, das vertrocknete Land gegen neue Feuer zu wappnen?VON CARL D.GOERDELER RIO DE JANEIRO.Seit Monaten wüteten die verheerenden Waldbrände im Nordosten Brasiliens, als jetzt endlich die ersten Regentropfen fielen.Für die Yanomami-Indianer kommt das nicht unerwartet: Sie hatten nur vier Stunden vor den ersten dicken Tropfen mit traditionellen "Regentänzen" versucht, die Wettergötter gnädig zu stimmen.Davi Kopenawa Yanomami, der Häuptling eines Indianerstammes in der Region von Demini, erzählt stolz, daß sie das Ritual gegen die Feuerbrunst bereits dreimal praktiziert haben - mit Erfolg."Zunächst haben wir einen Xapori (Geist) angerufen, um den Rauch zu verjagen, der unsere Kinder krank macht.Dann haben wir einen weiteren gegen das Feuer selbst und dann einen dritten angerufen, damit er uns "maa" (Regen) schickt." Der Regen, der jetzt ausgiebig einsetzte, könnte vielleicht das Ende der katastrophalen Waldbrände sein, die Brasilien heimsuchen.Doch Experten warnen vor verfrühten Hoffnungen.Wenn der Regen nicht ausdauernd genug ist, die Flußbetten nicht wieder ausreichend gefüllt und die ausgetrockneten Wälder und Böden nicht nachhaltig gewässert werden, können die Flammen in dem riesigen ausgetrockneten Gebiet schnell wieder lodern.Noch ist völlig unklar, ob der Regen ausreichend sein wird. Brasilien ist derzeit Reiseziel von Experten, die den gigantischen Schaden begutachten und sich mit den Auswirkungen der Brandrodungen sowie El Niños beschäftigen.Das Land ist aber auch Ziel von naturinteressierten Privatleuten, die die gleiche Sorge umtreibt und die ihre Interessen mit einer angenehmen Reise verbinden.Mit leise tuckerndem Motor durch eine Pflanzen-Kathedrale treiben, Brettwurzelbäume, Palmenpfeiler, Kreuzgewölbe der Äste - feierlich fällt das Licht durch die Masswerkfenster der Blätter.Es ist so still in diesem Wald, durch den sie leise schweben.Wasserarme führen tief hinein in den Hades der amphibischen Unterwelt."Igarape": Wasserweg und "Igapo": Wald im Wasser, die indianischen Bezeichnungen haben die Weißen beibehalten.Der romantische Flirt mit Mutter Natur vom sicheren Außenborder aus beglückt noch jeden Besucher, doch die Wirklichkeit hat noch eine andere Seite. "Das Wasser des Rio Juma erreicht nicht die Marke vom letzten Jahr", erklärt Augusto, der Chef der "Amazon Lodge", die wie eine Arche-Noah für ein Dutzend Ökotouristen im Schwarzwasser ankert.Der "Schmutzrand" von Treibgut und die dunklen Rindenmarken zeigen, wie hoch das Wasser gestiegen war."Wir machen uns Sorgen, daß durch die Abholzung der höhergelegenen Gebiete, der "terra firme" und die Brandrodung der Kleinbauern auch hier die Zerstörung der ursprünglichen Vegetation vorangetrieben wird". Die "Amazon Lodge" liegt rund 150 Kilometer südöstlich von Manaus, also noch fast 1000 Kilometer weit entfernt von den Brandherden in Roraima: und doch, je schneller der südliche und nördliche Rand des Amazonasgebiets in Flammen aufgeht, desto gefährlicher wird es für den bislang kaum berührten Regenwald im Amazonasbecken.Der UN-Vertreter in Brasilien, Franco, sieht für den Höhepunkt der nächsten Trockenzeit ein düsteres Szenario voraus.Doch in Brasilia will man davon nichts wissen.Der Umweltminister Krause hat sich bislang von der Brandkatastrophe ferngehalten und hüllt sich in Schweigen. Wer Manaus auf der BR 174 Richtung Boa Vista verläßt, hat noch eine geraume Strecke (rund 785 Kilometer) vor sich, und nicht jeder Kilometer ist asphaltiert.Durch das Waimiri-Reservat darf nur während des Tages gefahren werden.Auf der Hälfte des Weges beginnt die Landesgrenze von Roraima, dem nördlichsten Bundesland Brasiliens, das mit 225 000 Quadratkilometern kaum kleiner als Großbritannien ist.Die BR 174 führt von der Hauptstadt Boa Vista noch 300 Kilometer weiter nach Norden bis zur venezolanischen Grenzstadt Santa Elena de Uiaren.Wer sich auf diese Piste wagt, mußte noch vor zwei Tagen das Fernlicht einschalten.Rauchnebel lasteten über der verbrannten Erde.Die einst grüne Savanne hat sich in einen schmutzig-schwarzen Todesacker verwandelt, auf dem die dürren Rinder vergeblich nach Nahrung suchen. Den Viehzüchtern, Kleinbauern und auch Indianern, die die Savanna, den Buschwald, und den Ufersaum an den Flüssen brandroden, um den mageren Boden durch Asche zu düngen, war das Feuer im letzten Jahr außer Konrolle geraten.Immer tiefer fraß es sich in den Regenwald hinein, der durch die pazifische Klimaanomalie "El Niño" außergewöhnlich trocken war.Normalerweise widersteht der Regenwald den kleinen Brandwunden, die man ihm zufügt, zumal die Millionen kleiner Flußläufe eine wirksame Barriere gegen das Ausbreiten der Feuer bilden.Bloß diesmal war der "Schwamm" Regenwald knochentrocken - der Rio Branco, Roraimas größter Fluß, hat sich zu einem kläglichen Rinnsal in seinem Sandbett zurückgezogen.Alle Hoffnungen richten sich jetzt darauf, daß der jetzige Regen ausreicht, alles wieder aufzufüllen, damit die Natur wieder gewappnet ist. Doch Skepsis bleibt.Vor allem wird der Schaden ermittelt.Das Amazonasforschungsinstitut INPA in Manaus konstatiert: 31 000 Quadratkilometer verbrannte Erde, 6000 Quadratkilometer zerstörter Regenwald, davon 1800 Quadratkilometer auf Indianerterritorien, die rund ein Drittel des Staatsgebietes von Roraima einnehmen. Bereits vergangenen Dezember und dann erneut im März hatte Vladimir Sakharov, der russische UN-Koordinator für Katastrophenhilfe, der brasilianischen Regierung Hilfe bei der Brandbekämpfung angeboten - doch in Brasilia reagierte man nicht.Man würde schon selber mit der Katastrophe fertig.Besonders die Militärs wehrten sich vehement gegen eine "Intervention" von außen.Das Hirngespinst von einer drohenden "Internationalisierung" des Amazonasgebiets geistert nach wie vor durch die Kommandostäbe.Erst als die Medien weltweit Reporter nach Roraima schickten, wurde es auch den Regierenden mulmig zumute.Der Gouverneur von Roraima hatte bis dahin mit knapp 100 Mann, Feuerpatschen und Eimern völlig vergeblich gegen das Flammenmeer angekämpft.

CARL D.GOERDELER

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