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Ein Kind bekommt eine Impfung in den Oberarm.

© Getty Images/iStockphoto

Nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts: Die elf wichtigsten Fragen und Antworten zur Masern-Impfplicht

Das Bundesverfassungsgericht hat eine Klage gegen die Masern-Impfpflicht abgewiesen. Was das bedeutet.

Das Bundesverfassungsgericht bestätigte am Donnerstag die seit etwa zweieinhalb Jahren bestehende Masern-Impfpflicht, unter anderem für Kita-Kinder. Mehrere Klagen betroffener Familien wurden zurückgezogen, wie die Karlsruher Richterinnen und Richter mitteilten. Die Grundrechtseingriffe seien nicht unerheblich, aber derzeit zumutbar.

Die vier Elternpaare mit ungeimpften Kleinkindern hatten geklagt, weil sie darin einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und ihr Erziehungsrecht sehen. „Ohne Verstoß gegen Verfassungsrecht hat der Gesetzgeber dem Schutz durch eine Maserninfektion gefährdeter Menschen den Vorrang vor den Interessen der beschwerdeführenden Kinder und Eltern eingeräumt.“ (Az. 1 BvR 469/20 u.a.)

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Expertinnen und Experten aber warnen vor dem Trugschluss, die Masern seien nur eine harmlose Kinderkrankheit. Mit der Impflicht möchte man die Masern ganz ausrotten.

1. Wie gefährlich sind die Masern?

Symptome sind Fieber, Bindehautentzündung, Schnupfen, Husten, Kopfschmerzen und der typische Hautausschlag. Als Komplikationen können Durchfall, Mittelohr- und Lungenentzündungen auftreten. In sehr seltenen Fällen können Masern eine Gehirnentzündung nach sich ziehen, die in einer speziellen, erst nach Jahren auftretenden Variante nahezu immer tödlich endet. Außerdem warnen Experten davor, dass eine Infektion für längere Zeit das Immunsystem schwächt. Wer einmal die Masern hatte, ist für den Rest seines Lebens immun.

2. Wie verbreitet sind die Masern in Deutschland?

In den Corona-Jahren wurden dem Robert Koch-Institut (RKI) nur 76 (2020) und 10 (2021) Fälle gemeldet. Vorher waren es in der Regel mehrere Hundert im Jahr, 2015 sogar 2465. Kritiker der Impfpflicht verweisen auch auf diese relativ niedrigen Zahlen. Andererseits gibt es besonders gefährdete Menschen, die selbst nicht geimpft werden können, wie Säuglinge, Kranke mit Immunschwäche oder Schwangere. Wenn sich genügend andere impfen lassen, sind sie mitgeschützt.

3. Warum gibt es die Masern-Impfpflicht?

Es sind zwar viele Menschen gegen die Masern geimpft. Die Quote ist aber nicht hoch genug, um das Zirkulieren des hochansteckenden Virus und Ausbrüche zu verhindern. Dafür müssten mindestens 95 Prozent der Bevölkerung immun sein. Deutschland hat sich auch gegenüber der Weltgesundheitsorganisation verpflichtet, die Masern zu eliminieren.

4. Ist die Masern-Impfung bedenklich?

Vor allem nach der ersten Impfung können Reaktionen wie Fieber und Kopfschmerzen auftreten. Manche Geimpfte bekommen auch Hautausschlag, die sogenannten Impfmasern. „Schwere unerwünschte Wirkungen der Impfung sind selten“, heißt es auf dem Informationsportal des Bundes.

5. Wie sieht die Impfpflicht aus?

Sie setzt bei denjenigen an, „die regelmäßig in Gemeinschafts- und Gesundheitseinrichtungen mit anderen Personen in Kontakt kommen“, wie es im Gesetzentwurf heißt. Das sind vor allem Kitas und Schulen. Die Impfpflicht gilt aber zum Beispiel auch in Flüchtlingsunterkünften und für Beschäftigte in Krankenhäusern und Arztpraxen. Eine Ausnahme gilt für Menschen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können. Zwangsweise geimpft wird sowieso niemand.

Die Impfpflicht gegen Masern bleibt bestehen.
Die Impfpflicht gegen Masern bleibt bestehen.

© Tom Weller/dpa

6. Was bedeutet das speziell für Kinder und Eltern?

Seit 1. März 2020 dürfen Kinder ab einem Jahr nur noch in einer Kita oder bei einer Tagesmutter aufgenommen werden, wenn sie geimpft sind oder schon die Masern hatten. Das müssen die Eltern nachweisen. Für die Schule gelten dieselben Regeln - hier geht allerdings im Zweifel die Schulpflicht vor. Für Kinder, die damals schon in ihrer Kita oder Schule waren, gab es für den Nachweis eine mehrfach verlängerte Übergangsfrist. Sie ist zum 31. Juli 2022 ausgelaufen.

7. Was passiert bei Verstößen?

Liegt der Nachweis nicht rechtzeitig vor oder gibt es Zweifel an der Echtheit, muss die Einrichtung das Gesundheitsamt informieren. Das Amt kann dann - Schulen ausgenommen - nach einer angemessenen Frist im Einzelfall je nach Risiko ein Betretungsverbot aussprechen. Alternativ kann eine Geldbuße von maximal 2500 Euro verhängt werden. Ein „Freikaufen“ ist aber nicht möglich: Bei weiterer Impfverweigerung drohen zusätzliche Bußgelder.

8. Wie funktioniert die Impfung?

Für Kinder empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko) eine Impfung ab elf Monaten und eine zweite ab 15 Monaten. Gespritzt wird ein sogenannter Lebendimpfstoff aus abgeschwächten Masernviren. In Deutschland gibt es nur Kombinationsimpfstoffe, mit denen gleichzeitig auch gegen Mumps, Röteln und teilweise Windpocken geimpft wird. Auch das kritisieren die Klägerinnen und Kläger.

Ein Kinderarzt impft ein einjähriges Kind in den Oberschenkel gegen Masern. (Archivbild)
Ein Kinderarzt impft ein einjähriges Kind in den Oberschenkel gegen Masern. (Archivbild)

© Julian Stratenschulte/dpa

9. Wo gibt es Impflücken?

Nach einem RKI-Bericht von 2020 ist ein Problem, dass ein Teil der Kinder deutlich später als empfohlen geimpft wird. Damals waren von den 24 Monate alten Kindern erst 68 Prozent zweimal gegen Masern geimpft, bei der Einschulung waren es 93 Prozent. Rund 35.000 Kinder bis sechs Jahre hatten nach diesen Zahlen überhaupt keine Masernimpfung. Allerdings gibt es bei den Erwachsenen noch größere Lücken. Der Deutsche Ethikrat hielt es 2019 daher nicht für gerechtfertigt, eine Impfpflicht für sämtliche Kinder einzuführen.

10. Wer ist von der Impflicht ausgenommen?

Ausgenommen sind alle, die vor 1971 geboren sind. Bei den Älteren geht man davon aus, dass sie höchstwahrscheinlich sowieso einmal die Masern hatten. Denn die Impfung wird in der Bundesrepublik erst seit 1974 empfohlen. In der DDR war sie seit 1970 für Kinder Pflicht.

11. Was sagten bisher die Gerichte?

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat 2021 eine Impfpflicht in Tschechien unter anderem gegen die Masern gebilligt, die ebenfalls mit Geldbußen und verwehrtem Kita-Zugang durchgesetzt wird.

Das Bundesverfassungsgericht wies im Frühjahr eine Klage gegen die Corona-Impfpflicht für das Pflege- und Gesundheitspersonal ab: Die Abwägung des Gesetzgebers, „dem Schutz vulnerabler Menschen den Vorrang vor einer in jeder Hinsicht freien Impfentscheidung“ zu geben, sei nicht zu beanstanden. Dabei ging es allerdings um eine spezielle Berufsgruppe und eine Pandemie mit vielen Unbekannten.

Anja Semmelroch - dpa

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