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Kampfhund oder nicht? Ein Rottweiler. (Archivbild)

© dpa

Nach Tod eines Kindes: Neue Debatte um gefährliche Hunde

Ein Rottweiler hat in Wittenberg einen dreijährigen Jungen totgebissen. Es ist der dritte Fall einer tödlichen Hundeattacke auf ein kleines Kind in Deutschland in diesem Jahr. Die politische Debatte um aggressive Hunde beginnt von vorn.

Der Kampfhund hatte das Kind in dem Dorf Zörnigall bei Wittenberg am Samstagabend auf dem Grundstück seiner Urgroßmutter angegriffen. Mittlerweile wird gegen die Frau wegen Verdacht auf fahrlässige Tötung ermittelt. Im n-tv-Interview sprachen die Uroma und ihre Enkelin, die Mutter des totgebissenen Jungen. Sie sagten, sie verstehen das Verhalten des Tieres nicht. Der Hund sei mit dem Jungen groß geworden und es habe nie Probleme gegeben. Die Nachbarn dagegen sagten, dass die 76 Jahre alte Frau mit den Hunden überfordert gewesen wäre und die Tiere teilweise tagelang kein Futter bekommen hätten.

Die heutige Obduktion des Kindes soll klären, wie genau es zu Tode kam. Der Hund wird in der Pathologie für Tierkörper auf Auffälligkeiten, beispielsweise einer Tollwut oder fehlenden Impfungen untersucht.

Rottweiler war Ordnungsamt bekannt

Zudem gingen Hinweise bei der Polizeistelle ein, dass die Hunde schon vorher auffällig geworden waren. Dem zuständigen Ordnungsamt der Verwaltungsgemeinschaft Elbaue-Fläming ist nur ein Fall bekannt. Amtsleiter Werner Karius sagte, eine Nachbarin habe Anfang März die Polizei alarmiert, weil sich die Hunde auf ihrem Grundstück aufgehalten hätten und sie Angst gehabt habe. Der Zustand der Hunde sei gut gewesen, da allerdings Ordnung und Sauberkeit auf dem Grundstück zu wünschen übrig ließen, sei das Veterinäramt eingeschaltet worden, sagte Karius. Die Halterin sei ermahnt worden und auf die Einhaltung der Gefahrenabwehrverordnung hingewiesen worden, dass die Hunde beim Verlassen des Grundstücks angeleint werden müssten.

Bislang ist noch immer unklar, warum der Rüde den Jungen am Samstag totbiss, wie die Polizei in Dessau-Roßlau am Montag mitteilte.

Nach dem tödlichen Drama eröffnet Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Hövelmann (SPD) die erneute politische Debatte um das bestehende Kampfhundegesetz und die Erweiterung der Rasseliste. "Der entsetzliche Vorfall zeigt erneut, wie groß die Gefahr sein kann, die von einem aggressiven Hund ausgeht", sagte er der "Mitteldeutschen Zeitung".

Die Umstände müssten sehr genau darauf untersucht werden, ob die Bedingungen der Hundehaltung und die Begegnung mit einem dreijährigen Kind nicht unverantwortlich gewesen seien, sagte Hövelmann. "Wir können uns mit der Gefahr durch aggressive Hunde nicht abfinden", zitiert ihn die "Mitteldeutsche Zeitung". Kommunale Kontrollmöglichkeiten müssten deshalb in vollem Umfang ausgeschöpft werden. "Bei der Untersuchung des Todesfalls wird es auch um die Frage gehen, ob diese Möglichkeiten konsequent angewandt wurden", fügte er hinzu. Zugleich kündigte er an, die gesetzlichen Regelungen auf den Prüfstand zu stellen. Absoluten Schutz vor einem Angriff könne kein Gesetz bieten. Im Interesse der Sicherheit der Menschen soll nun aber neu über das Hundekampfgesetz und die Rasseliste beraten werden.

Grünen-Politikerin fordert Hundeführerschein und Hunde-TÜV

Die Berliner Abgeordnete Claudia Hämmerling (Grüne), die sich beim Thema gefährliche Hunde immer wieder engagiert, ist über den erneuten Angriff bestürzt, aber nicht verwundert. "Zwei Drittel aller Hundeangriffe passieren im eigenen Haushalt oder bei Freunden, denn häufig ist es der eigene Hund, dem man das nie zugetraut hätte, über den man plötzlich die Kontrolle verliert", sagte Hämmerling zu Tagesspiegel.de. Sie fordere darum schon lange den Hundeführerschein. Halter von Hunden sollten den richtigen Umgang mit ihrem Tier lernen und nach erfolgreicher Absolvierung eines Tests mit einer Art "grünen Plakette" ihr Tier kennzeichnen. "Das wäre eine vertrauensschaffende Maßnahme für alle. Die Menschen bekommen mit der Hundemarke gezeigt, dass Hund und Halter geprüft wurden und alles in Ordnung ist, sie keine Angst haben müssen", sagte Hämmerling.

Das Hund und Kind nie allein sein sollten, sei eine der wichtigen Grundregeln, die jeder Halter für das Zusammenleben mit seinem Tier wissen sollte. Dann könne man vor allem die heimischen Hundebeißattacken erheblich minimieren, befindet die Grünenpolitikerin. Eine Art Hunde-TÜV sollte zusätzlich den Vierbeiner in seinem Sozialverhalten und Aggressionspotential testen.

Hundehalterverband hält bestehende Gesetze für ausreichend

Auch ein Hundeführerschein hätte den tragischen Vorfall von Wittenberg nicht verhindern können, sagte Udo Kopernik vom Verband für das deutsche Hundewesen zu Tagesspiegel.de. Wenn zwei fremde Hunde und ein Kleinkind einer alten Frau gleichzeitig anvertraut werden, haben hier viele erwachsene Menschen Fehler gemacht. "Ein Hundeführerschein kann dem Halter zwar eine gewisse Sachkunde vermitteln, allerdings ist der Lerneffekt beschränkt", sagt Kopernik. Wenn ein Hund stark aggressiv sei, so überfordere das auch Halter mit Grundkenntnissen. "An dieser Stelle sind die Behörden gefragt." Ein Hund rastet in den seltensten Fällen ohne Vorzeichen aus, sagt Kopernik. "Deshalb ist es so wichtig, dass die Behörden auffällige Hunde konsequent beobachten und Beschwerden auch nachgehen." Oftmals scheitere dies an den finanziellen und personellen Schwierigkeiten in den Kommunen, die für die Umsetzung der Landesgesetze zuständig seien. "Die bestehenden Regeln und Gesetze reichen unserer Ansicht nach aus", sagte Kopernik. "Sie müssen allerdings ordentlich umgesetzt werden."

Bereits das dritte von einem Hund totgebissene Kind in diesem Jahr

Jährlich sterben laut Hämmerling im Durchschnitt bis zu zwei Menschen, meistens Kinder, bei Hundebeißattacken. Der kleine Junge aus Wittenberg ist in diesem Jahr allerdings schon der dritte Fall in Deutschland, bei dem ein kleines Kind von einem Hund totgebissen wurde. Im April stieß ein Husky in Cottbus einen Kinderwagen um und biss ein erst acht Wochen altes Baby tot. Es war einer der drei eigenen Familienhunde, der den jungen Eltern ihr Kind nahm. Einen Monat später, im Mai 2010 wird ein dreijähriges Mädchen in Sachsenburg von den vier Staffordshire-Bullterriern ihrer Tante angegriffen und totgebissen. Die Urgroßmutter, die bei dem Kind war, versuchte die Kleine zu schützen und warf sich über sie. Auch sie wurde schwer verletzt.

In Wittenberg werden jetzt die Einzelheiten des Angriffs auf den dreijährigen Jungen ermittelt. Wem der Rottweiler gehörte, ist der Polizeidirektion mittlerweile bekannt. Die 76-Jährige, die auf den Jungen aufpasste, hatte neben dem Rottweiler noch eine Boxerhündin zur Pflege. Den zweiten Hund konnte sie selbst unter Kontrolle bringen. Dieser Hund wurde einem Tierheim übergeben.

Die Einsatzkräfte wurden um 19.26 Uhr alarmiert. Als die Beamten etwa zehn Minuten später eintrafen, attackierte sie der Rüde schon am Tor. Die Polizisten streckten den Rottweiler mit mehreren Schüssen nieder, um dem Notarzt den Weg zu dem Jungen frei zu machen. Das Kind lag leblos auf dem Grundstück. Der Arzt konnte nur noch den Tod des kleinen Jungen feststellen.

Kampfhund oder nicht Kampfhund?

Rottweiler gelten nicht grundsätzlich als Kampfhunde oder gefährliche Hunde. Kampfhunde seien zudem eigentlich die perfekten Haushunde, sagte Grünen-Expertin Hämmerling. Sie seien "von Natur aus faul und Schmusebacken", der falsche Umgang mit den Tieren, mache sie erst gefährlich. "Hunde sind nun einmal Raubtiere, die wir zu Haustieren gemacht haben", sagte Hämmerling. Die Kriterien für die Gefährlichkeit regelt auch in Sachsen-Anhalt seit März 2009 ein Gesetz. Demnach gilt ein Hund als gefährlich, wenn er sich – wie in diesem Fall – als bissig erwiesen oder in gefahrdrohender Weise Menschen angesprungen hat. Außerdem ist eine besondere Kampfbereitschaft des Tieres ein Kriterium. Für die Haltung solcher Hunde gelten verschärfte Bestimmungen. Der Hund, der den kleinen Jungen tötete, war laut Polizei ein Kampfhund. Unklar war, ob der Behörde die Gefährlichkeit des Tieres bekannt war.

Aus Gründen der besseren Analyse und Vorbeugung fordert der Hundehalterverband eine bessere Dokumentation von Hundeangriffen. "Die Fälle werden alle nur kommunal verzeichnet", sagte Udo Kopernik. "Das ist absolut unübersichtlich und verhindert eine genaue Analyse. Die Leute dort wissen oft auch nichts über Hunderassen, die Aufzeichnungen sind also nicht mal zuverlässig." Es sei extrem wichtig, im Einzelfall zu analysieren, was bei dem jeweiligen Hund schief gelaufen sei. "Das wäre viel effizienter, als irgendwelche pauschalen Rasselisten aufzustellen", sagte Kopernik.

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