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Karneval der Demokratie in Pasewalk

© Peter van Heesen

Neuer Reiseführer: Vorpommern und das Vorurteil

Rechts nur auf der Landkarte: Die Amadeu-Antonio-Stiftung will zeigen, dass der Landstrich zwischen Vorpommern und Stettin nicht nur Ödnis und Nazis hervorbringt.

Von Matthias Meisner

Kaum ein Landstrich in Deutschland ist so von Negativ-Klischees behaftet wie Vorpommern. Abgesehen von den Touristen-Hochburgen an der Ostsee: öde Orte, Jugendliche, die in der Heimat Perspektiven vermissen und sie im Westen suchen, Neonazis. Zu viele Neonazis. Davon zu überzeugen, dass der Nordosten Deutschlands ganz anders ist, ist eine Heidenarbeit. Die Amadeu-Antonio-Stiftung, die seit Jahren mit großen Engagement Initiativen für Zivilgesellschaft und demokratische Kultur fördert, hat jetzt einen wichtigen Beitrag geleistet. „Region in Aktion – eine Reise durch Vorpommern“ heißt der von ihr herausgebene Reiseführer. 166 Seiten, die zeigen, dass Vorpommern ganz anders ist. Oder dass es zumindest sehr viele Menschen gibt, die Vorurteile bekämpfen – durch ganz praktische Arbeit.
„Nur noch auf der Landkarte rechts“ sei Vorpommern, schreibt Timo Reinfrank von der Stiftung im Vorwort. Er spricht gar vom „Prototyp“ für ein erfolgreiches Bürgerengagement auf dem Lande. Bei dem geht es dann eben nicht nur um Antifa-Initiativen, die Neonazis Paroli bieten. Sondern um Theater, Bildungshäuser, einen Duftgarten, Kirchengemeinden und Gastwirtschaften. Ganz konkret etwa die Gutsanlage Schloss Bröllin, die zum Ort künstlerischen Schaffens geworden ist. Oder das Otto-Lilienthal-Museum in Anklam. Lilienthal gehört dazu, weil er eben nicht „nur“ Flugpionier war. Im Reiseführer heißt es: „Als Humanist war es sein Traum, dass der technische Fortschritt den Menschen Frieden bringe und seine Erfindungen Länder verbindend und Völker versöhnend wirken sollen.“

Die Broschüre ist zweisprachig, deutsch-polnisch

Die Broschüre ist zweisprachig, deutsch-polnisch. Da geht es nicht nur um eine besondere politische Korrektheit. „Vorpommern und die Region ohne die Metropole Stettin vor der Haustür und die vielen polnischsprachigen Zuwanderinnen und Zuwanderer zu denken, wäre schon fast fahrlässig“, erklärt Reinfrank. Viele Stettiner haben die Gegend für sich entdeckt – der Großstadt mit ihren hohen Mieten überdrüssig. 2008 hieß es im Tagesspiegel über die aus Stettin übergesiedelten Polen in Löcknitz, einem Ort direkt an der Grenze: „Die, die kommen, sind jung, gut ausgebildet. Einige gründen Unternehmen und schaffen damit Arbeitsplätze. Es sind Leute, die diese Gegend braucht, um aus ihrer Tristesse zu entkommen.

Uecker-Randow und Ostvorpommern Hochburgen der NPD

„Region in Aktion“ will nicht schönreden, sondern nur das andere Bild stärken. Gerade der strukturschwache Landstrich zieht noch immer viele Rechtsextremisten an. Nach der Landtagswahl 2011 verkündete das „Netz gegen Nazis“ die „traurigste Nachricht des Tages“: Die Demokraten könnten sich noch so sehr anstrengen, gegen die Lethargie der Nichtwähler kämen sie nicht an. „So bekam die NPD erneut knapp sechs Prozent und sitzt wieder im Landtag.“ Zweistellige Wahlkreise bekam die NPD damals in Uecker-Randow und Ostvorpommern.

"Reichsbürger" wollen Deutschland in den Grenzen von 1937 zurück

In der Broschüre thematisiert werden auch selbsternannte „Reichsbürger, die neben ihrer Leidenschaft für biologischen Anbau und traditionelles Handwerk „noch ganz andere Interessen“ haben – „wie die Forderung der Wiederherstellung Deutschlands in den Grenzen von 1937“. Ein wichtiges Thema, wie Timo Reinfrank meint: „Der viele Platz in der Region und die Offenheit der Menschen werden zunehmend von Rechtsextremen ausgenutzt, indem sie sich einmieten oder Immobilien kaufen, um dort ihre menschenverachtende Propaganda zu verbreiten.“
Ein einmal gefestigtes Image ist schwer zu korrigieren. Immer gibt es Rückschläge. 2010 veröffentlichte die „taz“ eine Reportage über Anklam. Die NPD sah die Stadt als „nationalen Leuchtturm“, wollte an einem Juli-Wochenende hier demonstrieren. „Kein Ort für Neonazis“ lautete die Mahnung der Bürger. Dieser Appell hing auf einem großen Banner am Rathausbalkon, auf sechs Großaufstellern an den Zufahrtsstraßen und weiteren 200 Plakaten. Über Nacht war alles weg und keiner wollte etwas gesehen haben. Im Internet jubilierten Rechtsextreme, „demokratische Bürger“ hätten „nahezu alle Hinterlassenschaften der demokratischen Provokation entfernt“.

Auch der Schweriner Ministerpräsident Erwin Sellering weiß um das Imageproblem seines Landes. Umso mehr schwärmt er von der „tollen Idee“, den sozialen Netzwerken, Initiativen und Projekten mit dem Reisebuch ein Forum zu geben. „Es kommt auf die Kraft, die Courage und das Engagement jedes Einzelnen an“, appelliert er. Inzwischen würden Tausende Menschen „aufstehen und Flagge zeigen, wenn Rechtsextreme ihr Unwesen treiben“. Demokratie müsse „immer und immer wieder neu erklärt, errungen und beschützt werden“, schrieb der SPD-Politiker an die Amadeu-Antonio-Stiftung. Ihren Namen trägt die Stiftung zu Ehren eines aus Angola stammenden Arbeiters, der im November 1990 von Skinheads in Eberswalde ins Koma geprügelt wurde. Er starb, ohne aus dem Koma erwacht zu sein.

Platz in der Broschüre der Stiftung hat auch Fahrenwalde bekommen. Ein 364-Einwohner-Dorf, Feldsteinhäuser, ein paar Kraniche. Bürgermeister Walter Krümmel, der 1990 aus Magdeburg dorthin gekommen ist, wünscht sich „junge Leute und Arbeitsplätze, wobei sich das natürlich gegenseitig bedingt“. Manchmal müsse man weg sein, um das Schöne zu erkennen, sagt er. „Aber es wäre gut, wenn die Leute wiederkämen.“ Derzeit - man will sich wünschen: noch - steht im Veranstaltungskalender der Kulturscheune des Ortes nur das mittwöchliche Rentnertreffen.
Den Reiseführer gibt es gegen einen Unkostenbeitrag bei der Amadeu-Antonio-Stiftung, Linienstraße 139, 10115 Berlin, Telefon 030/24088610. Im Internet: www.amadeu-antonio-stiftung.de

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