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Drogen zerstörten ihr Leben. Sängerin Amy Winehouse. Foto: AFP

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Neuerscheinung: Amy Winehouse und der Schmerz des Vaters

Mitch Winehouse hat ein Buch über seine Tochter geschrieben. Es ist ein Dokument der Ausweglosigkeit und Sprachlosigkeit. Und das Protokoll eines langsamen, unaufhaltsamen Absturzes.

Einem Vater stirbt das Kind. Schlimmeres gibt es nicht. Das Kind, in diesem Fall, war drogen- und alkoholabhängig, musikalisch hochbegabt, weltberühmt und unwiederbringlich in den Falschen verliebt. Angehörigen von Süchtigen wird in Therapien und Selbsthilfegruppen immer wieder gesagt, dass der Süchtige selbst den Schritt zum Entzug gehen muss, dass man ihn sogar, eventuell, bis ganz nach unten stürzen lassen muss, ihm nicht mehr helfen darf, weil nur Ausweglosigkeit und Abhängigkeitserkenntnis zur Änderung führt. Eltern können solche Ratschläge selten befolgen.

Auch Mitch Winehouse hat bis zum Ende versucht, seine Tochter beim Entzug zu unterstützen. Gestorben ist Amy trotzdem. Das macht das Buch, das er über sie verfasst hat, schlichtweg zu einem tieftraurigen Dokument. Und zur minutiösen Dokumentation einer Sucht.

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Da ist es, egal, wie es geschrieben ist, ob es schön malt oder verleumdet (das Böse hat die Gestalt von Amys Ehemann und Drogenkumpel Blake Fielder-Civil und seiner Familie), egal auch, wie oft es sich in kitschige Vater-Tochter-Bilder flüchtet: Der Schmerz, der aus den teilweise banalen Sätzen spricht, ist – vielleicht sogar unfreiwillig – furchterregend authentisch, vor allem durch die Redundanz der Geschichten.

Immer wieder beschwört Mitch Winehouse das Vorbildverhältnis, das er zu seiner jüngsten Tochter pflegt, wie er ihr den Musikfloh ins Ohr gesungen hat, wie sie es ihm bis an ihr Lebensende dankte. Er erinnert sich, anscheinend anhand von seinen Tagebuchaufzeichnungen, an jeden grässlichen alkohol- oder drogenverhangenen Tag seiner Tochter, kann jeden Hoffnungsstrahl rekapitulieren, und dass er keine neuen, keine eleganteren, keine beeindruckenderen Worte für die Dramatik von Amys langem Absturz findet, passt gut zur Sprachlosigkeit eines Angehörigen, der zuschaut, wie sich seine Tochter langsam und fast genüsslich selbst zu Tode quält.

Bis auf sehr wenige Ansätze hat Mitch Winehouse auch darauf verzichtet, Amys Verhalten psychologisch zu erklären. Wohl, weil er nicht kann: Dem Vater der Soulsängerin ist nicht klar, was da schief- gelaufen ist, also schiebt er es teilweise auf den Kontakt zu Amys unguter Lebensliebe Blake, teilweise lässt er es einfach ungesagt.

Der Leser begreift zwar, dass Amys Verhalten bereits in der Kindheit durch eine fast unbändige Sehnsucht nach Aufmerksamkeit geprägt war, die sich in der egoistischen, selbstzerstörerischen, suchtkranken Erwachsenen-Amy fortsetzt – schließlich fordert jeder Absturz, der nicht zum Tod führt, dass sich jemand ernsthaft und besorgt mit einem beschäftigt.

Doch wieso das so ist, muss offenbleiben: Das zu verstehen, ist Mitch Winehouse nicht geeignet. Die Vorwürfe, die Eltern sich machen, führen auch in diesem Fall ins Nichts. Denn selbst wenn es einen Zusammenhang zwischen Kindheitserlebnissen, Erziehungsmaßnahmen, der frühen Trennung von Mitch und Janis Winehouse und Amys Konsumverhalten gäbe: Hätten sie nur gewusst, wie, sie hätten ihr Kind vor dem Tod bewahrt.

Goldesel Amy und ihr erbärmlicher Abgang

Es bleiben zudem befremdende Fragen zur Goldeselfunktion Amys offen. Wieso geht sie immer und immer wieder auf Tour, obwohl sie selbst, Mitch und alle Umstehenden wissen, wie sehr es sie unter Druck setzt? Wieso ist die finanzielle Situation Amys offenbar so krude, dass Mitch ihr einerseits in gefühlt wöchentlichen Abständen neue Häuser, Wohnungen und die dazu passenden Umzüge kauft und organisiert, andererseits aber nach wie vor als Taxifahrer arbeitet oder Probleme bei kleinen Rechnungen hat?

Es scheint dem Autor, der das Buch mithilfe eines Ghostwriters in wenigen Monaten schrieb, nach Eigenaussage wichtig zu sein, die Stiftung zur Hilfe von Jugendlichen finanziell anzudicken, die er nach Amys Tod gründete, und von deren Relevanz auf mehreren Seiten die Rede ist. Was intentional selbstredend, wie alle Charityprojekte, tadellos bleibt – solange nicht zwielichtige Machenschaften aufgedeckt werden.

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Am Ende, nach Amys erbärmlichen Abgang, hat man das Gefühl, dass es Mitch - neben den üblichen, verständlichen Stolzer-Vater-Eitelkeiten und neben einer gewissen kathartischen Funktion wohl tatsächlich darum ging, die letzten Wochen seiner Tochter als Aufwärtstrend zu begreifen, und anderslautende Schlagzeilen zu berichtigen: Sie habe immer längere Trockenphasen gehabt, sei voller Energie gewesen, habe sich mit dem neuen Boyfriend wohl gefühlt, habe wieder gearbeitet.

Fast verzweifelt klammert er sich an die für ihn neu gewonnenen Erkenntnisse, dass Süchtige eben Rückschläge erleiden, dass es aber trotzdem besser werden kann. Und er mag recht gehabt haben damit. Umso trauriger ist die Realität.

Einigermaßen drastisch, doch lange nicht so bitter, wie es sein könnte, schildert Mitch außerdem das Verhältnis zur Presse: Er versucht, der legendär-unverschämten und menschenverachtenden British Yellow Press mit ihren impertinenten Paparazzis tatsächlich seine Gefühle zu offenbaren, und ist ein paar Mal über die relative Zurückhaltung der Fotografen erstaunt, die seine Tochter ansonsten auf Schritt und Tritt belästigten.

Die in deutlichen Worten und erbarmungslos gedisste Familie von Amys Ehemann dagegen kratzt vermutlich bereits an der Anwalttür. Oder schreibt ein eigenes Buch über ihre Sicht der Dinge: Wie Amy sich ihren Blake schnappte, um ihn zu Drogen zu verführen. Nicht ohne Grund spricht man von Befangenheit der Familienangehörigen, wenn es um Strafprozesse geht.

„Meine Tochter Amy“ ist vor allem so trostlos, weil am Ende allein die Erkenntnis bleibt, dass Suchtkrankheiten trotz Bemühungen auf allen Ebenen erst den Menschen vereinnahmen, ihn dann charakterlich verändern und schließlich zum Tod führen können. Und es bleibt das schwer zu ertragende Gefühl, als Elternteil irgendwie verantwortlich gewesen zu sein, dass das eigene Kind diesen Weg nimmt.

Das ist keine Neuigkeit, keine Erklärung, sondern eine schlichte Bestandsaufnahme. Es ist nicht glamourös, nicht mal besonders voyeuristisch. Es zeigt einfach nur, wie beschissen das Leben sein kann.

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