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Blumen wässern in der Unterführung: Der alte Busbahnhof von Tel Aviv hat eine neue Bestimmung gefunden.

© Lissy Kaufmann

Neues Leben im ehemals größten Busbahnhof der Welt: Der Koloss von Tel Aviv

Der Zentrale Busbahnhof in Tel Aviv war einmal der größte der Welt – ehe er zusehends vergammelte. Nun kümmern sich junge Israelis darum, ihn zu einem Treffpunkt der Kreativen zu machen.

Am Eingang zu Etage drei des weißen Elefanten steht Robert Ungar mit einem Wasserschlauch in der Hand und gießt die kleinen Sträucher in den Plastiktöpfen. Oben rauschen im Minutentakt Busse vorbei. Hier unten fließt das Blumenwasser den schrägen Eingangsweg hinunter bis zum verschlossenen Gittertor und versickert davor im Abwasserschacht.

Das hier war einst einer der Eingänge zum Zentralen Busbahnhof Tel Avivs – viel zu groß gebaut für eine so kleine Stadt. Und so verkümmerten nach und nach auch einige Eingänge und Etagen des siebenstöckigen Gebäudes. „The white elephant“, nennen die Einwohner ihren Bahnhof – im Englischen eine Redewendung für etwas, was mehr Ärger macht, als dass es nutzt. „Dieser Eingang war jahrelang nur eine Müllhalde, von oben hat jeder seinen Abfall heruntergeworfen“, sagt der 32-jährige Robert und zwickt zwei vertrocknete Blütenblätter ab. Yoav Shafranek, 28, buddelt derweil in der Erde. Er hat von seinem Balkon zu Hause kleine Bohnensträucher mitgebracht, die er heute hier anpflanzt.

Die einstige Müllhalde ist zum Treffpunkt geworden

Robert, Yoav und gut ein Dutzend anderer junger Israelis des Kollektivs „Onya“ hübschen den Elefanten auf und locken auch neugierige Nachbarn an. Die Müllhalde ist ein Treffpunkt geworden. Vor anderthalb Jahren hat das Team aus Architekten, Pädagogen, Designern und Hobbygärtnern ehrenamtlich begonnen, an dem stillgelegten Eingang und im Gebäude Blumen zu pflanzen, ein Bewässerungssystem mit dem Wasser aus den Klimaanlagen zu installieren, Bänke zu bauen und eine Ecke im Wartebereich im siebten Stock zu einer Bücherei zu verwandeln.

Immer mehr junge Tel Aviver hauchen dem Elefanten neues Leben ein. Junge Künstler und Designer haben leer stehende Läden in der fünften Etage in Ateliers verwandelt. Einheimische und Touristen besichtigen bei Führungen die verschachtelten Stockwerke, schlendern vorbei an Nagelstudios, Thaifood-Läden und Zoohandlungen. Es gibt zwei Kirchen, eine Synagoge, zwei Theater. Das klingt nach Leben. Dennoch stauben in dieser Bahnhofsstadt mehrere Etagen immer weiter ein, auch einige Kinosäle haben jahrelang keine Besucher mehr gesehen.

Robert Ungar schließt das Eingangstor auf. Kühl, ruhig und duster ist es. Von oben dringen Neonlicht, Musik- und Wortfetzen bis hier in den dritten Stock, der unter der Erde liegt. Der vierte Stock ist das Erdgeschoss. Ein Wahnsinnsbau. „Es riecht nach billigem Marihuana, frisch gebackenem Brot und Pisse“, sagt Robert und knipst die Taschenlampe an seinem Smartphone an. „Hier gibt es auch einen Atomschutzbunker. Außerdem haben sich Fledermäuse eingenistet. Alle haben ihren Platz. Die Fledermäuse, die Ratten und wir.“ Er aber will hinauf in den siebten Stock, in der begrünten Bücherecke nach dem Rechten sehen.

Es ist dem Größenwahnsinn des bereits verstorbenen Architekten Ram Karmi zuzuschreiben, dass der Süden Tel Avivs, ein Ort der Armen und der Flüchtlinge, der Drogenabhängigen und Prostituierten, auch mit einem Monster zu kämpfen hat. In den 60er Jahren geplant, in den 90er Jahren fertiggestellt, war der Busbahnhof in Tel Aviv lange der größte der Welt – in einer 400 000-Einwohner-Stadt. Nun musste Tel Aviv diesen Rang an Neu-Delhi mit seinen geschätzten 20 Millionen Einwohnern abtreten.

Wenn er diese Zahlen herunterrattert, klingt Miki Ziv fast ein bisschen stolz. Schließlich ist er der Manager dieses Riesenbahnhofs, der auch ein Einkaufszentrum werden sollte, auf 220 000 Quadratmetern. Aber nur noch 600 Läden sind heute in Betrieb, 600 stehen leer. Knapp 70 000 Menschen kämen hier täglich an oder reisten ab, in rund 5000 Bussen.

Das Gebäude einzureißen, wäre wohl zu teuer geworden

Das Gebäude einzureißen, wäre zu teuer und zu langwierig, ist sich Robert sicher. Er hat Architektur studiert und sich in seiner Abschlussarbeit mit der Tachana Merkazit, wie der Bahnhof auf Hebräisch heißt, auseinandergesetzt. „In den 60ern bot der Architekt der Stadt an, hier einen Bahnhof zu bauen. Er finanzierte das Vorhaben, indem er Leuten Ladenflächen verkaufte und ihnen sagte: ‚Wenn es fertig ist, gehört es euch.‘ So besitzen heute Tausende einen Teil des Bahnhofs, alle haben Mitspracherecht. Es würde Jahre dauern, bis man da zu einer Entscheidung kommt.“

Und so versuchen er und andere Kreative, in kleinen, aber flinken Schritten einzelne Ecken des Bahnhofs zu nutzen und zu verändern. Auf Etage fünf zum Beispiel: der Künstler Gidi Gilam. Wenn er in seinem Studio sitzt, wackelt alle paar Minuten die Decke, es quietscht, brummt und ruckelt, wenn oben ein Bus vorbeifährt. „Ich höre das schon gar nicht mehr“, sagt Gidi. Seit drei Jahren arbeitet er hier, malt vor allem abstrakte Porträts. „Hier kann ich Menschen aus verschiedenen sozialen Schichten und mit unterschiedlicher Herkunft beobachten. Hier treffen sich Akrobaten, Breakdancer und jeden Abend gegen sieben Uhr auch Kinder von philippinischen Einwanderern, die Tänze einstudieren.“

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