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Zum Gedenken. Weiße Rosen erinnern an die Opfer des Amoklaufes. Foto: dpa

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Panorama: Nicht wieder gutzumachen

Zum dritten Mal jährt sich der Amoklauf von Winnenden. Jetzt fordert die Stadt 14 Millionen Euro von den Eltern des Täters.

Auf dem weißen Trauerflor steht in goldenen Buchstaben: „Es bleibt von Euch Liebe und Erinnerung.“ Ein Gesteck aus weiß-gelben Blumen steht auf dem Brunnen des Winnender Marktplatzes, dazu für jedes Opfer ein einzelne weiße Rose. Rund 400 Menschen haben sich am Sonntag im Nieselregen zusammengefunden, um der Toten vom 11. März 2009 zu gedenken. Damals erschoss der 17-jährige Tim K. in seiner früheren Schule acht Mädchen, einen Jungen und drei Lehrerinnen. Auf der Flucht tötete er in einem nahen Park einen Arbeiter. In einem Autohaus in Wendlingen brachte Tim K. erst zwei Männer um, dann tötete er sich selbst.

„Immer noch“, sagt Pfarrer Reimar Krauß erdrücken die Erinnerungen „an die unfassbare Schreckenstat“ viele Menschen. Doch inzwischen geht es auch um die finanziellen Folgen des Amoklaufs. Die Stadt verlangt von den Eltern des Täters 14 Millionen Euro. Es handle sich dabei um „die zur Bewältigung des Amokereignisses angefallenen Kosten“, erklärt Jens Rabe, Rechtsanwalt der Stadt, im Juristendeutsch.

Oberbürgermeister Hartmut Holzwarth hat alles akkurat auflisten lassen, vom Einsatz der Rettungskräfte, der Psychologen und Notfallseelsorger bis zum Umbau des Tatortes, der städtischen Albertville-Realschule. Selbst die Gedenkfeier anlässlich des ersten Jahrestages mit Bundespräsident Horst Köhler – „ein fünfstelliger Betrag“ – ist auf der Regressliste mit den vielen tausend Einzelposten zu finden. Dass alles ersetzt wird, glaubt der Anwalt indes nicht: „Es wird deutlich weniger sein.“Der Oberbürgermeister sieht sich von Amts wegen zum Geldeintreiben verpflichtet. „Es gibt eine Rechtspflicht, Schaden von der Stadt abzuwenden.“ Für ihn gilt das Verursacherprinzip: „Es gibt jemand, der verantwortlich ist für diese Situation, die ja nicht vom Himmel gefallen ist.“

Gemeint ist der Vater des Täters, der Unternehmer Jörg K.. Das Landgericht Stuttgart hat ihn bereits vor rund einem Jahr unter anderem wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz und wegen fahrlässiger Tötung zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Der Sportschütze hatte seine Beretta-Pistole nicht vorschriftsmäßig in einem sicheren Schrank verwahrt, sondern zwischen Kleider gesteckt. Auch die Munition lag im Haus herum.

Bei der Verkündung des Urteils – gegen das Jörg K. Revision beantragt hat - hatte der Richter bereits angedeutet, dass auf den Vater hohe Forderungen zukommen würden. Dazu gehören Ansprüche von Angehörigen der Getöteten sowie Schmerzensgeld für mehrere Verletzte. Jetzt vertritt allein die Kanzlei von Jens Rabe 29 Mandanten, deren Vorstellungen im fünfstelligen Bereich liegen.

Die Anwälte der Stadt sind im Gespräch mit den Haftpflichtversicherungen der Eltern des Täters. Angestrebt wird eine außergerichtliche Einigung. Gelingt dies nicht, wird vor einem Zivilgericht geklagt. Der Stadtchef geht davon aus, dass auch die Eltern zahlen können: „Es scheint durchaus Vermögen da zu sein.“ Der gelernte Dekorateur Jörg K. hatte ein auf industrielle Verpackung und Montage spezialisiertes Kleinunternehmen aufgebaut. Vor seinem Prozess übertrug er Geschäftsführung und Besitz an seine Frau.

Am Sonntag allerdings ist in Winnenden von Geld keine Rede. Zusätzlich zu der Gedenkfeier am Morgen hat der Jugendgemeinderat für den Abend eine Lichterkette durch die Stadt organisiert, den Tag über werden mehrere Gottesdienste abgehalten. Und auch für Gisela Mayer spielt Geld keine Rolle. Sie, eine der Gründerinnen des „Aktionsbündnisses Amoklauf Winnenden“, hat an jenem 11. März 2009 ihre Tochter Nina verloren, eine beliebte Lehrerin, die wenig später 25 Jahre alt geworden wäre. Gisela Mayer verzichtet auf Regress: „Unseren Schaden kann man nicht wiedergutmachen.“

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