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Rekorderprobt. Der 30 Meter lange Trimaran „Qingdao“ hat 2008 unter anderem Namen die Welt schon in kürzester Zeit umsegelt.

© Jiang Yongtao

Nordostpassage unter Segeln: Mit Speed ins Nirgendwo

Der Trimaran "Qingdao" will in drei Wochen die Nordostpassage von Murmansk nach Alaska durchsegeln.

Es ist der Traum der Seefahrt, dem Erdball ein Schnippchen zu schlagen und die Kugel auf eine Weise zu umrunden, dass sich die Strecke verkürzt. Bei einer richtigen Kugel geht das nicht. Bei der Erde schon. Sie auf dem kürzesten Bogen zu befahren, ist der Ehrgeiz der Seehandelsnationen seit Erfindung der Meridiane. Die Nordostpassage verbindet Europa und Asien auf einem solchen Bogen, verspricht eine Verkürzung der Handelswege gegenüber der Normalroute, die entlang des Äquators führt, um ein Drittel. Dennoch ist die Nordroute auch ein Mythos des Unbeherrschbaren.

Wie viele sind hier schon gescheitert auf dem Weg entlang der sibirischen Küste, stets bedroht von einer sich durch Wind und Strömung verschiebenden Eismasse. Sie taut nur wenige Wochen pro Jahr so weit ab, dass sich schmale Durchfahrten öffnen. Und manchmal auch gar nicht.

Längst hat das Packeis nicht mehr die Ausdehnung

Der Klimawandel hat das geändert. Längst hat das Packeis nicht mehr die Ausdehnung und unerbittliche Konsistenz, an der die Handelsroutenträume zerbrechen müssen. Von Frachtschiffen wird die Nordostpassage trotzdem kaum genutzt. Denn der Ölpreis ist niedrig. Zudem ist das Genehmigungsverfahren der russischen Behörden zäh und mit quälend umständlichen Auflagen verbunden. Vor zwei Jahren vereitelten die Beamten in Murmansk den Plan des deutschen Abenteurers Arved Fuchs, zum Franz-Josef-Land und damit weit in die Polregion vorzustoßen, einfach weil ihnen danach war. Und auch sonst birgt die abgelegene Route nördlich um Sibirien herum manche Gefahr. Seekarten sind ungenau. Siedlungen oder Häfen gibt es nicht. Zuweilen bahnen sich Eisbrecher den Weg durch die Arktis und könnten Hilfe leisten.

Die harten Männer tragen heute ein Red-Bull-Emblem

Die Nordostpassage ist also weiterhin harten Männern vorbehalten, die auf sich selbst gestellt sein wollen. Diese tragen heute ein Red-Bull-Emblem im Segel und streben nach Rekorden. Sie verlassen sich wie der Chinese Guo Chuan auf Hightech, um der Arktis ein kleines bisschen ihres Geheimnisses zu entlocken. Seit dem 3. September ist der Skipper mit einem hochmodernen Trimaran von Murmansk aus Richtung Osten unterwegs. Das Ziel: die Passage bis zum anderen Ende, der Beringstraße, wo Russland und Alaska aneinander grenzen, erstmals unter Segeln zu bewältigen. Drei Wochen sind dafür veranschlagt. Bereits nach fünf Tagen hatte die sechsköpfige Crew mit dem deutschen Navigator Boris Herrmann bereits die Hälfte der Strecke zurückgelegt und befand sich östlich des Kaps Tscheljuskin, des nördlichsten Punkts Sibiriens.

Es ist einer der einsamsten Orte der Erde. In seinem Tagesbericht für "FAZ.net" erzählt Herrmann von dem andauernden Nebel, der ihm in dieser Tauwetterzone die Sicht nimmt. Einmal taucht dicht vor ihnen bei völliger Windstille ein großer Eisberg auf, dem sie nur knapp ausweichen können, dann sind es Belugawale, die Herrmann auf dem Radar für treibende Eisplatten hält. In zermürbender Anspannung rauschen die Segler mit bis zu 60 Stundenkilometern durch eine von nur wenigen Schiffen je befahrene Region.

Das Segelschiff Adolf Erik Nordenskjöld hatte auch einen Dampfantrieb

Nebel war es auch, der den Entdecker der Nordostpassage, Vitus Bering, 1727 um die Früchte seiner Arbeit brachte. Er hatte die nach ihm benannte Meerenge zwischen den Kontinenten längst passiert, aber sehen konnte er sie bei der von Nebelbänken verhangenen Sicht nicht. Erst der englische Seefahrer James Cook sollte ein halbes Jahrhundert später das Glück haben, beide Erdteile erblicken zu können und die Durchfahrt als solche zu erkennen. Die vollständige Durchquerung der Nordostpassage gelang aber erst dem schwedischen Mineralogen Adolf Erik Nordenskjöld 1879. Sein Segelschiff hatte auch einen Dampfantrieb. Es fror im Eis fest und musste überwintern. Nordenskjöld zählte zu den wenigen Entdeckern jener Ära, die lebend und unversehrt zurückkehrten. Auf der Suche nach der nordwestlichen Durchfahrt spielten sich auf der anderen Seite der Polkappe derweil Tragödien ab, die ganze Schiffsmannschaften verschwinden ließen. Der norwegische Polarforscher Roald Amundsen brauchte drei Jahre, bevor er 1906 die Nordwestpassage durchqueren konnte.

Seinen Trip an die Packeisgrenze versteht Skipper Chuan als Friedensfahrt

Speed ist heute das Rezept, um der Gefahr des sich schließenden Eises zu entgehen. Wie schnell der 30 Meter lange Trimaran "Qingdao" sein kann, hat er unter dem Namen "Idec" mit einer Rekordumrundung des Globus bereits 2008 demonstriert. Und auch sein neuer Skipper Chuan ist in seiner zur Segelmacht aufstrebenden Heimat ein Held, seit er als erster Chinese die Welt einhand und nonstop auf einer Segeljacht umfuhr. Die Vita des 50-jährigen Luftfahrttechnikers liest sich wie eine Folge von Pionierleistungen. Dabei ist sie vor allem Zeugnis des verspäteten Ehrgeizes, überall dort, wo die großen Seefahrernationen ihre Spuren hinterlassen haben, dasselbe als erster Chinese zu tun.

Seinen Trip an die Packeisgrenze versteht Chuan als Friedensfahrt. An seiner Seite fährt mit Boris Herrmann der zurzeit versierteste Profisegler aus Deutschland mit, der ebenfalls mehrfach im Rennmodus die Welt umsegelt und Rekorde gesammelt hat. Nur einen Tag nach Verlassen des Hafens von Murmansk erfuhr Crewmitglied Quentin Monegier, dass er Vater geworden war. Als der Franzose gefragt wird, ob das schlimm für ihn sei, nur ein Foto von seinem Kind auf seinem Handy zu haben, da schüttelt er sich vor Kälte und antwortet: "Nein, gar nicht. Ich muss jetzt nach draußen."

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