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Nordrhein-Westfalens Verkehrsminister Michael Groschek steht am Freitag in Kaarst (Nordrhein-Westfalen) vor einer mobilen Sichtschutzwand.

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Update

Nordrhein-Westfalen: Erstes Bundesland setzt Sichtschutzwände gegen Gaffer ein

Bei Unfällen auf der Autobahn wird Gaffern künftig die Sicht versperrt. Nordrhein-Westfalen setzt dafür als erstes Bundesland mobile Sichtschutzwände ein. Das Problem habe "erschreckende Ausmaße" angenommen, sagt der Verkehrsminister des Bundeslandes.

Nordrhein-Westfalen setzt als erstes Bundesland mobile Sichtschutzwände gegen Schaulustige ein. Nordrhein-Westfalens Verkehrsminister Michael Groschek (SPD) hat die Neuanschaffung an diesem Freitag in Kaarst bei Düsseldorf vorgestellt. Die Wände sollen Unfallopfer auf Autobahnen vor neugierigen Blicken schützen.

Immer wieder berichten Rettungskräfte von Problemen mit Gaffern: Sie verursachen Staus auf der Gegenfahrbahn, behindern die Retter anstatt zu helfen oder sie filmen das Geschehen und die Unfallopfer sogar mit ihren Handy-Kameras. Der Bund der Steuerzahler NRW äußerte Zweifel an der Neuanschaffung. So sei es fraglich, ob sich die Staus auf der Gegenfahrbahn nicht längst gebildet hätten, bevor die mobilen Wände herangeschafft und aufgebaut werden können. "Wir werden prüfen, ob Nutzen und Kosten in einem angemessenen Verhältnis stehen", kündigte eine Sprecherin an.

Pressefotografen sollen weiter durchgelassen werden

Der Deutsche Journalisten-Verband in Nordrhein-Westfalen mahnte, die Arbeit der Pressefotografen dürfe nicht behindert werden. "Als Schutz der Unfallopfer ist die Maßnahme zu begrüßen", sagte eine Sprecherin. Man gehe aber davon aus, dass Pressefotografen durchgelassen würden.

Bislang hatten Rettungskräfte die Unfallopfer bei der Bergung mit Decken und Tüchern vor neugierigen Blicken abgeschirmt. In letzter Zeit hatte die Polizei mehrfach Verfahren gegen Schaulustige eingeleitet, die zum Teil sogar die Aufforderungen der Polizisten, das Filmen einzustellen, ignoriert hatten. Gaffern drohen mindestens 60 Euro Bußgeld und ein Punkt in Flensburg.

Fast eine halbe Million Euro aus Bundesmitteln hat der Landesbetrieb Straßenbau (Straßen.NRW) in insgesamt zwölf Sichtschutzsysteme investiert. „Wir geben mit diesen Sichtschutzwänden den Opfern ein Stück Würde zurück“, sagt der Verkehrsminister und sieht das Geld gut investiert. Die Wände sollen nun auf die einzelnen Straßenmeistereien verteilt werden.

Bereits 2008 hatte Nordrhein-Westfalen den Test einer solchen Sichtschutzwand angekündigt. Das in den Niederlanden entwickelte System bestand damals aus 40 Blenden auf einem Anhänger, die aufgestellt über eine Strecke von 100 Metern reichten. Die rund zwei Meter hohe Wand sollte in Minuten aufgebaut sein und selbst starkem Wind standhalten.

Mehr Würde für die Opfer

„Stau durch Gaffer“, „Schaulustige behindern Rettungskräfte“, „Beamte schreiben Dutzende Anzeigen gegen Gaffer“ - das sind Polizeimeldungen der vergangenen Wochen. Das Verhalten sei ein „Problem, das erschreckende Ausmaße angenommen hat“, sagt Groschek am Freitag in Kaarst bei Düsseldorf. „Das Smartphone gehört nicht auf Unfallopfer gerichtet“, kritisiert der Minister und blickt düster. Was sich an Unfallstellen landauf, landab abspielt, sei „ein Phänomen, das mit der natürlichen Neugier nichts mehr zu tun hat“: „Es gibt eine epidemiehafte Foto- und Selfie-Manie auf unseren Straßen“. Rettungskräfte berichten: Die meist männlichen Gaffer filmen Verletzte und sogar Sterbende, stellen die Aufnahmen ins Internet. Groschek wird deutlich: Das Verhalten sei „geschmacklos“ und „beschränkt“.

Die Idee kommt aus den Niederlanden, wo die Wände bereits seit vielen Jahren im Einsatz sind. In einem Pilotversuch, der ein Jahr dauerte, war im Raum Düsseldorf unter den kritischen Augen der Polizei beobachtet worden, dass sich Staus auflösen und der Verkehr wieder fließt, sobald die Wände aufgebaut sind. Das bestätigt Jürgen Bongartz, der den Versuch für die Autobahnpolizei begleitet hat.

Sieben bis acht Mal im Jahr im Einsatz

Die 2,10 Meter hohen Wände sind mit dunkelgrüner Plane bespannt und haben quadratische und runde Klappen, durch die der Wind rauschen kann, damit er sie nicht umreißt. Das funktioniert allerdings nur bis Windstärke 5. Jeweils 100 Meter Sichtschutz sind auf einem Anhänger untergebracht. Zwölf der Anhänger sind ab sofort über NRW verteilt auf den Autobahnmeistereien stationiert. Jede Wand werde voraussichtlich sieben bis acht Mal im Jahr zum Einsatz kommen. Je nach Unfallort dauere es bis zu 100 Minuten, ehe der Schutz herbeigeschafft und aufgebaut sei.

Nach einem Unfall hat die Polizei das Auto mit einem Tuch abgedeckt. Nordrhein-Westfalen will nun als erstes Bundesland mobile Sichtschutzwände gegen Schaulustige einsetzen.
Nach einem Unfall hat die Polizei das Auto mit einem Tuch abgedeckt. Nordrhein-Westfalen will nun als erstes Bundesland mobile Sichtschutzwände gegen Schaulustige einsetzen.

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Zweifel des Steuerzahlerbundes, ob die Wände rechtzeitig an der Einsatzstelle sind, Kosten und Nutzen in einem angemessenen Verhältnis stehen, kontert der Landesbetrieb Straßen.NRW: Ein fünf Kilometer langer Stau auf einer stark befahrenen Autobahn mit dreieinhalb Stunden Dauer verursache durch den Zeitverlust der Wartenden einen volkswirtschaftlichen Schaden von rund 200 000 Euro. Jeder Einsatz der Sichtschutzwand schlage dagegen nur mit rund 2000 Euro zu Buche. Es gebe schon Anfragen aus anderen Bundesländern. „Volkswirtschaftlich rechnet sich das allemal“, sagt der Minister.

Beim Einwand, Brummi-Fahrer könnten aus dem Führerhaus über die Wand hinwegfilmen, nimmt Groschek die Lkw-Fahrer in Schutz: Die seien schließlich Profis und nicht das Problem. Wenn er sich da mal nicht irrt: Nach einem Unfall im März auf der A1 bei Dortmund zeigte die Polizei 14 mutmaßliche Gaffer an - 12 von ihnen waren Lkw-Fahrer. (dpa)

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