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Panorama: "Nur weil Du dich beruflich verbesserst, soll ich mitgehen?"

WIESBADEN .In Deutschland ist die Zahl der Ehescheidungen im vergangenen Jahr auf einen neuen Höchststand geklettert.

WIESBADEN .In Deutschland ist die Zahl der Ehescheidungen im vergangenen Jahr auf einen neuen Höchststand geklettert.Wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch berichtete, ließen 187 802 Paare den Bund fürs Leben wieder auflösen.Das waren sieben Prozent mehr als 1996.Am häufigsten gingen die Paare im siebten Jahr auseinander.Noch kräftiger als im Bundesdurchschnitt stieg die Zahl der Scheidungen in den neuen Bundesländern: Sie nahm um 16,6 Prozent auf 26 537 zu.

Den Antrag auf Scheidung stellen nach wie vor überwiegend die Frauen (61,3 Prozent).In den meisten Fällen (87,5 Prozent) stimmten die Ehemänner zu.Von 1000 Ehen seien zehn Paare auseinandergegangen.Im vergangenen Jahr waren 163 112 minderjährige Kinder von der Scheidung ihrer Eltern betroffen, 9,6 Prozent mehr als 1996.

"Unglück in Beziehungen hat es früher genauso gegeben wie heute.Allerdings wurden daraus keine Konsequenzen gezogen." Hans-Werner Bierhoff, Wissenschaftler der Ruhr-Universität Bochum, glaubt nicht, daß die Zahl der unbefriedigenden Bindungen heute größer ist als vor 40 Jahren.

Die deutschen Scheidungszahlen lägen international gesehen im mittleren Bereich - jedoch mit bemerkenswertem Trend nach oben.Den absoluten Spitzenplatz nehmen die USA ein, wo "jede zweite Ehe die Chance hat, geschieden zu werden".Es sehe so aus, als ob auch Deutschland diesem Trend folge.

Viele gesellschaftliche, persönliche und soziale Entwicklungen in den USA seien mit etwa zehnjähriger Verzögerung auch in Deutschland auszumachen.Ein Beispiel sei die hohe Berufsmobilität, die belastend auf viele Beziehungen wirke.Dazu komme ein steigender Anteil berufstätiger Frauen, die, akademisch vorgebildet, eine anspruchsvolle Tätigkeit ausübten.

Die Bereitschaft, die eigene Tätigkeit aufzugeben, sinke, wenn beide eine anspruchsvolle Arbeit hätten."Nur weil Du dich verbesserst, soll ich mitgehen?" - das sei dann die Frage, wenn der jeweils andere Partner selbst attraktive berufliche Möglichkeiten für sich sehe.Viel eher als früher werde heute gefragt: "Was bringt mir eine Beziehung?" Nach Ansicht Bierhoffs ist "die Sensibilität für positive Erfahrungen größer".Frauen wie Männer warteten auf diese positiven Gefühle.Träten sie nicht ein, sei die Schlußfolgerung, daß die Bindung schlecht sei.Die Ansprüche an eine Beziehung seien auf beiden Seiten deutlich gestiegen.

Zugleich seien die "Kosten" einer Trennung gesunken: "Wir sind heute eine sehr individualistische Gesellschaft, die darauf setzt, daß jeder sich seine Wünsche erfüllt und sich selbst verwirklicht." Daraus wiederum entstehe die Frage: "Ist die Beziehung Teil dieser Selbstverwirklichung oder sollte ich eine Alternative wählen?"

Hinzu komme die größere Bedeutung der "romantischen Liebe".Je länger ein Paar zusammen sei, desto wahrscheinlicher, daß diese Empfindungen nachlassen."Das kann Fragen in Gang setzen wie: Will ich nicht lieber eine neue romantische Beziehung anfangen?" In der heutigen Gesellschaft gibt es diese Möglichkeit: "Die Alternativen sind da."

ANTJE SCHWARZ (AP)

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