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Ölpest: Die amphibische Katastrophe

Da draußen treibt es. Auf dem Meer. Weit weg. Als "schwarzes Gold" wird es in Louisiana gepriesen. Noch immer. Das Desaster ist bislang nicht angekommen im Bewusstsein der Amerikaner. Doch alle wissen, dass das Öl an Land gespült und Urlaubsstrände verseuchen wird. Was dann?

Der Himmel ist grau und wolkenverhangen. Grollend jagt Welle um Welle an den Strand. Ein kräftiger Wind zerrt an den breitkrempigen Hüten von einem Dutzend Gestalten, die gebückt im Sand mit Rechen, Schaufeln und Putzlappen hantieren. Die meisten tragen gelbe Schutzkleidung und Schnürstiefel mit dicker Sohle. Die Hände stecken in giftgrünen Plastikhandschuhen. Dan, ihr Anführer, trägt einen weißen Schutzanzug, der im Knöchelbereich und an den Knien braune Flecken aufweist. Sein rechtes Knie berührt fast den Boden, als er mit einem großen weißen Tuch über den Sand wischt und es, nun dunkel verfärbt, an einen Kollegen weiterreicht. Der steht hinter ihm mit einem offenen Plastiksack, der langsam schwerer wird und sich mit Abfall füllt. Die Lappen saugen das Öl auf und binden es.

Zwei Meter neben ihm drück Joe eine Schaufel vorsichtig unter einen handtellergroßen braunen Glibber, hebt ihn vom Sand ab und kippt ihn in einen Plastiksack. Rechts wie links ist der Strand mit braunen Flecken übersäht. Manche sind nur fingerkuppengroß, andere haben Armes Länge. Es ist Rohöl vermutlich aus dem Bohrloch, das die Explosion der Bohrinsel „Deepwater Horizon“ am 20. April in eine unkontrolliert sprudelnde Giftquelle verwandelt hat. Dieser Strand auf der Insel Grand Terre, die dem Marschland des Mississippideltas vorgelagert ist, liegt rund 80 Kilometer nordwestlich der Unglücksstelle. 45 Tage hat das Öl für seine Reise bis hierher gebraucht.

So sehen also die Vorboten der Apokalypse aus, die der Südküste der USA droht. Noch lauert die eigentliche Gefahr da draußen in den Tiefen des Golfs von Mexiko. Die Medien berichten schon seit Wochen über „die größte Umweltkatastrophe in der Geschichte der USA“. Weit über hundert Millionen Liter sind inzwischen ins Meer geströmt, das übertrumpft das Tankerunglück der „Exxon Valdez“ in Alaska 1989 bei weitem. Doch damals waren die Folgen binnen weniger Tage zu sehen: ölverschmierte Küstenstreifen über 2100 Kilometer Länge, und mehr als 100 000 tote Seevögel.

Das aktuelle Desaster hat die Gestalt einer schleichenden, nur langsam an Land kriechenden Katastrophe. In einer Tiefe von 1500 Metern beginnt es, als brodelnder schwarz-brauner Ölvulkan. Bis zu diesem Wochenende, sechseinhalb Wochen nach dem Unglück, wurden aus den vier Bundesstaaten Louisiana, Alabama, Mississippi und Florida vereinzelte Ölverschmutzungen an Strandabschnitten gemeldet, die sich zusammen auf 160 Kilometer addieren. Der Großteil betrifft vorgelagerte Inseln, ohne Straßen- oder Fähranbindung. Offizielle Stellen melden einige hundert tote Vögel.

Der Versuch, sich dort, wo die Folgen am schlimmsten sein müssten, einen eigenen Eindruck vom Ausmaß der Ölpest zu verschaffen, gleicht der Suche nach einem Phantom. Zweieinhalb Stunden dauert die Autofahrt von New Orleans nach Grand Isle, dem südlichsten Punkt am Westrand des wie ein Lungengewebe verzweigten Mississippideltas. Der Weg führt durch sattgrünes, baumloses Marschland. Ibisse und verschiedene Reiherarten sind zu sehen. Am Hafen von Grand Isle tummeln sich Schwärme von Braunpelikanen. Delphine durchpflügen das Hafenbecken.

Unterwegs trifft man Krabbenfischer wie Clark Fontaine. Er schimpft, dass die Regierung so viele Fanggründe gesperrt habe. Er bringe nur noch halb so viel „Shrimp“ herein. Dafür sei der Kilopreis stark gestiegen. Seine größte Sorge: Dass Wind und Wellen Öl ins Marschland drücken und den Nährboden für Krabben verseuchen. „Dann überschwemmen beschissene Kommunistenländer wie Vietnam unseren Markt mit ihrem Shrimp.“

Hinweise auf das nahende Unheil sind vielerorts zu sehen. „Beach closed“ warnen Tafeln, Polizeiwagen blockieren den Zugang. „For rent“ steht an Ferienhäusern und an den Buden der Bootsverleiher. Am 1. Juni hat die Hauptsaison begonnen. Vor einem Jahr um diese Zeit habe das Geschäft gebrummt, klagt Curtis, ein wettergegerbter 63-Jähriger mit weißem Rauschebart. Vor fünf Jahren ist er aus Arizona hierher gezogen, um einen Campingplatz aufzubauen und sich so seinen Lebensabend zu vergolden. Kurz danach zerstörte Hurrikan „Katrina“ den Traum. Jetzt stirbt er zum zweiten Mal. Die Kunden stornieren wegen der Ölpest. Präsident Obama ist am Freitag nach Grand Isle geflogen und hat Hilfe versprochen.

Die Freiflächen um das „Sand Dollar Motel“ am Hafen von Grand Isle sind zugeparkt mit mobilen Notfallzentralen der Küstenwache und der Polizei, dem Fuhrpark der Nationalgarde und des „Fishery and Wildlife Department“ – als würde eine Invasion vorbereitet. Die Luft schwirrt von Kommandos, die in Funkgeräte gebrüllt werden, und aufheulenden Außenbordern. In dichter Abfolge legen Boote an und ab. Manche sind mit Ölsperren beladen, die vor besonders bedrohten Strandabschnitten ausgebracht werden sollen. Andere mit Transportkäfigen für verölte Vögel. Wieder andere mit Reinigungsteams, die in ihren Schutzanzügen aussehen, als gelte es, eine tödliche Seuche zu bekämpfen. Hinter Fahrwassermarkierungen und kleinen Inseln öffnet sich das Meer. Da draußen ist das Öl, das lange als das „schwarze Gold“ von Louisiana gepriesen wurde, neuerdings jedoch für Verderben steht.

Wer den großen Ölteppich sehen wolle, der müsse aufs Meer hinausfliegen, hatten die Experten der Küstenwache gesagt. Die verschmutzten Strandabschnitte seien zumeist nur per Boot zu erreichen. Aber das Wetter ist launisch. „Tornadogefahr, alles sofort umkehren“, quäkte es aus dem Funkgerät, als wir einen Strand nahe Port Fourchant, wenige Kilometer westlich Grand Isle, erreichen. Dort war eine Woche zuvor Öl angelandet. Mehrere Tage hatte es gedauert, den Bereich zu säubern, auch wegen Unterbrechungen durch Gewitter. „Sicherheit kommt zuerst“, betont Brennan Matherne, der 29-jährige Medienbeauftragte der Gemeinde. „Bei Unwettern in der Umgebung werden alle Helfer zurückgerufen: Blitzschlaggefahr.“

Über Mittag geht schwerer Regen nieder. Nachmittags klart es auf, die Küstenwache gibt grünes Licht für die Inspektionsfahrt nach Grand Terre mit einem Scat-Team. Das Kürzel steht für Shoreline Cleanup Assessment Technique. So ein Team bewertet den Verschmutzungsgrad und entscheidet über die Reinigungstechnik. Zwanzig Minuten dauert die Fahrt über das Bayou Fifi. Möwen und Braunpelikane begleiten das Boot, Delphine springen. Abends werden zwei ölverschmierte Pelikane die Fernsehnachrichten beherrschen, die einige Kilometer von hier gefunden wurden.

Im Boot sitzt auch Ivor Vanheerden. Der Meeresbiologe an der Staatlichen Universität von Louisiana ist nun wissenschaftlicher Berater im Kampf gegen die Ölpest. Er ist einer der von BP angeheuerten Experten. Am Morgen sei die Meldung über den Ölbefall von Grand Terre hereingekommen, erklärt er. Nun muss er entscheiden, was zu tun ist. Fotos, die mit einem GPS-Signal verbunden sind, erleichtern die Kartierung im Computerzeitalter. Manchmal werden Bulldozer benötigt, um große öldurchtränkte Bodenabschnitte abzutragen, das ist aber selten, sagt Vanheerden. Meist genügen Putzkolonnen mit Schaufel und Lappen. Und oft gebe es Fehlalarm durch Laien, die dunkle Torfballen oder Bodenverfärbungen mit natürlicher Ursache für Folgen der Ölpest halten.

Nach Grand Terre ist das Öl zurückgekommen. Vor einer Woche war Vanheerden schon mal hier, hatten Dan und seine Mannschaft schon mal saubergemacht: fünf Tage Arbeit für wenige hundert Meter. 40 bis 50 Säcke füllen sie pro Stunde; jeder enthält 30 Kilo Sondermüll, die abtransportiert und deponiert werden müssen. Es ist eine Sisyphusarbeit. Solange es um 160 Kilometer schmutzigen Strand geht, scheint sie beherrschbar. Eine kleine Armee von Helfern ist im Einsatz: 1900 Schiffe und rund 20 000 Menschen, teils Fischer, die derzeit nicht fischen können, teils Nationalgardisten und Soldaten. Die Küstenwache hat Personal von der nördlichen Atlantikküste an den Golf verlegt.

Was aber wird, wenn das Öl massiv anschwappt? Dans Team braucht mehrere Tage, um wenige hundert Meter Strand zu säubern. Wie will man tausende Kilometer Ölverseuchung beherrschen?

Alles sei „manageable“, behaupten die Politiker in Louisiana. Oft suchen sie sich für ihre Auftritte Venice am östlichen Hauptarm des Mississippi aus, zweieinhalb Autostunden in anderer Richtung von New Orleans entfernt, wo BP erstmals einer aufgebrachten Versammlung von Fischern das Ausmaß des Unglücks offenbarte. Nun gibt der republikanische Gouverneur Bobby Jindal auf einer Pressekonferenz an der Hafenpier als oberstes Ziel aus, zu verhindern, dass das Öl das Land erreicht. Er benutzt eine militärische Sprache: „Wir müssen unser Land verteidigen. Wir müssen unsere Lebensweise verteidigen.“ Die ebenfalls republikanischen Bürgermeister und Hafenmeister der Küstenorte tun es ihm nach. Wenn genug Ölsperren da sind, wenn man künstliche „Barrier Islands“ aus Sand aufschütte, wenn BP genug Helfer bezahle, sei das Schlimmste abzuwenden, heißt es. In der Präsidentschaftswahl 2008 hat Louisiana zu 59 Prozent für John McCain gestimmt.

Wie man das Land schützt, darüber gehen die Meinungen auseinander. Der Krisenstab des Präsidenten folgt nur zögerlich der Forderung nach künstlichen Schutzinseln aus Sand. Aber dann platzt in Jindals Ausführungen an diesem Tag die Nachricht hinein, fünf solcher Projekte seien genehmigt. Er ist mitten in einer Strafpredigt gegen „unsere Regierung, die nichts tut und neue Ausreden erfindet“. Nun dankt er Obama, dass er „endlich auf uns hört“. Meeresbiologe Vanheerden hält den Plan für Aktionismus. Sinnvoller sei es, die natürlichen „Barrier Islands“ langfristig wiederherzustellen. Alles Aufgeschüttete werde der nächste Sturm wegschwemmen.

Kein Lokalpolitiker möchte die Energiepolitik ändern, die Ölabhängigkeit verringern. Billy Nungesser, Chef des Bezirks Plaquemines, zu dem Venice gehört, sagt: „Bloß keine voreiligen Schlüsse ziehen!“ Die Stimme des korpulenten Mannes ist heiser von den vielen Interviews. „Fischerei und Ölfirmen leben gut zusammen“, krächzt er. Jede Familie bezieht Einkommen aus beiden Bereichen.

Aber jetzt stehen in den Vorgärten handgemalte Schilder. „BP + Obama nehmen uns die Arbeit.“ Patrick Shay, Besitzer eines Seafood-Restaurants, hat einen Friedhof am Straßenrand errichtet: 18 Reihen weißer Holzkreuze mit Aufschriften wie Schwarzflossenthunfisch, Möwe, Delphin, Grillen am Strand, Sandburgen, Sommerfreuden, Schnorcheln.

Am 1. Juni hat die Hurrikansaison begonnen. Meteorologen sagen ungewohnt viele Wirbelstürme voraus. Noch liegen einige Kilometer zwischen dem großen Ölteppich und der Küste. Wenn ein Hurrikan das braune Gift in die Marschen drückt, die als Nährboden der Krabben dienen und das Hinterland vor Sturm und Erosion schützen – es wäre wohl das Todesurteil für das Ökosystem. Und für das, was den Menschen im Delta am wertvollsten ist: ihre Lebensart.

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