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Ein Maßkrug wiegt zwei Kilo. Sibylle Schulz, Bedienung im Hofbräu-Zelt.

© Guyton

Oktoberfest: Der schönste Job der Welt

Wenn Arbeit süchtig macht: Sie stemmt Maßkrüge, läuft viele Kilometer und schlichtet Streit, wenn sich Besucher verhauen wollen – aus dem Leben einer Oktoberfest-Bedienung.

Am Abend wurde es gegen später ein bisschen brenzlig. „Hier saßen ein ganz Breiter und ein ganz Schmaler nebeneinander“, erzählt Sibylle Schulz und deutet im Hofbräu-Festzelt auf eine Bierbank. „Die wurden immer lauter, haben sich angebrüllt und wollten mit dem Schlägern anfangen.“ Was macht da eine Wiesn-Bedienung im vollen, dröhnenden, biertrunkenen Zelt? „Reden und resolut sein“, sagt Sibylle Schulz. Dem Schmalen hat sie gesagt, dass er sich zwei Tische weiter hinsetzen soll, da hätte er mehr Platz und auch nette Leute um sich. Sie hat ihn gleich mitgenommen, er war zufrieden. „So funktioniert das in den meisten Fällen gut“, sagt die 47-jährige Bedienung auf dem Münchner Oktoberfest. „Wir wollen ja fröhlich feiern und nicht aggressiv sein.“

Wenn das Zelt am Morgen um zehn Uhr öffnet, ist noch nicht viel los. Sybille Schulz schaut, ob die zehn Tische im Innenbereich, für die sie gemeinsam mit einer Kollegin zuständig ist, sauber sind. Sie legt die Speisekarte aus. Ein junger Mann kommt ganz alleine, bestellt eine Maß Bier. 9,35 Euro kostet sie, er gibt zehn. Da sitzt er dann und schaut zufrieden. Eine Gruppe Italiener in bayerischer Tracht nimmt einen Tisch ein und beginnt den Vormittag mit den gefüllten, goldgelb schimmernden Literkrügen, die das HB-Initial samt Krone darüber ziert.

Im Hintergrund läuft die Festzeltmaschinerie schon auf vollen Touren. Die Schankkellner zapfen. Die Hendlbrater hantieren am Grill, die ersten Vögel landen mit knusprig-brauner Haut auf den Tellern. Am Eingang vom Büro hängen seitenweise die Reservierungslisten für den Tag. Privatpersonen bestellen Tische, ebenso Firmen, der Wiesnbesuch gehört bei Unternehmen in München zur Tradition. Der Energieversorger Eon kommt und das Personal der DZ-Bank. Die Konsulatsmitarbeiter von Weißrussland wollen ebenso trinken und schunkeln wie Bayerns CSU-Finanzminister Markus Söder mit großem Gefolge.

Wie wird man Wiesn-Kellnerin? Sibylle Schulz wirft das rotbraune Haar nach hinten – „eine lange Geschichte“. Seit 22 Jahren ist die Frau, die in Augsburg lebt, mit dabei. Anfangs hat die gelernte Buchhalterin das zusammen mit Freundinnen gemacht, die studierten. 1990 kostete das Maß Bier noch sieben D-Mark. „Die Wiesn hat mich nicht mehr losgelassen“, erzählt die Frau, 14 Jahre lang ist sie nun im Hofbräu-Zelt. Wie hält sie diese Arbeit aus? „Es gibt nur Sucht oder Flucht.“ Die einen laufen nach ein paar Tagen weg, weil sie mit Lärm, Stress und den langen Wegen überhaupt nicht zurechtkommen. „Und den anderen gefällt das, die blühen richtig auf.“ Die wenigsten Männer sind Rüpel, die meisten sind reizend zu den Frauen, freuen sich, wenn sie ihr Bier bekommen. Überall stößt die Bedienung auf erwartungsfrohe Gesichter, fühlt sich im Mittelpunkt, wenn sie mit ihren vielen Maßkrügen zwischen den Reihen jongliert und anerkennende Blicke auf sich zieht. Sibylle Schulz liebt den Trubel, die vielen Menschen, die freundliche Atmosphäre, das Feiern. Für sie ist es der schönste Job der Welt. Sibylle Schulz hat drei Kinder im Alter von 13, 21 und 23 Jahren und einen Mann, der Musiker ist. Für die 16 Wiesn-Tage nimmt sie extra Urlaub, denn sie arbeitet normalerweise weiter als Buchhalterin. Über diese Münchner Zeit sagt sie: „Da kann ich die ganzen Sachen von daheim völlig hinter mir lassen.“

Einstellungsvoraussetzung: trainierte Oberarme

Ein Prosit. Die meisten Gäste kommen in bayerischer Tracht, vor allem die Ausländer.
Ein Prosit. Die meisten Gäste kommen in bayerischer Tracht, vor allem die Ausländer.

© AFP

Das dunkelblaue Einheitsdirndl mit weißer Bluse muss sie sich selbst besorgen, die weiß-blau karierte Hofbräu-Schürze bekommt sie zur Verfügung gestellt. Sie zeigt auf ihre schwarzen Sportschuhe: „Die sind super. Total solide und bequem.“ Das müssen sie auch sein. Mit einem Schrittzähler wurde einmal ermittelt, dass eine Wiesn-Bedienung in den zwei Wochen 230 Kilometer läuft. Sibylle Schulz sagt: „Da kann ich fast zweimal von München nach Augsburg und wieder zurück wandern.“

Als ziemlich bayerisch und eher ruhiger gilt das Hofbräu-Zelt, jedenfalls ist es nicht so überdreht und hipp wie andere. „Wir sind hier eine große Familie, das Arbeitsklima ist toll“, sagt sie. 220 Kolleginnen hat sie hier, die auch bedienen. Die meisten kennen sich. Und die Festwirtin Margot Steinberg, Tochter des Wienerwald-Gründers und einstigen Hendl-Königs Friedrich Jahn, grüßt jeden Angestellten und nimmt sich manchmal auch Zeit für einen kleinen Plausch.

Durch ihr entschiedenes, sicheres Auftreten macht Sibylle Schulz jedem schnell deutlich: Die Bedienung ist hier keine Untergebene des Gastes, sondern eine Respektsperson. Bei den Massen, die Tag für Tag ins Zelt kommen, hat sie auch Stammgäste. „Die wissen, wo ich bin und setzen sich bei mir hin.“ Aus dem Ausschnitt blitzt bei ihr ein kleines bisschen keck ein Tattoo mit einer roten Rose hervor. Doch Anmache oder Belästigung lässt sie überhaupt nicht zu. Was ist, wenn ihr ein Betrunkener in den Ausschnitt greifen will? „Das macht der nur ein halbes Mal“, sagt sie. „So weit kommt der gar nicht, ich lasse mich nicht anfassen und begrapschen.“ Drei Watschn hat sie bisher an Gäste verteilt. Das ist nicht viel in einer so langen Zeit. „Bei einer hat sogar der Festwirt Applaus geklatscht.“ Aber Watschn gibt es nur im Notfall. Schlagen die Besucher über die Stränge, tanzen auf den Bänken, schütten das Bier aus den Krügen, dann lautet ihr Rezept: „Freundlich reden, das hilft am meisten.“ Wenn das gar nichts bringt, wenn die Leute gewalttätig werden oder als Bierleichen zu enden drohen, dann ruft sie den Sicherheitsdienst des Zeltes.

Die Oberarme müssen ziemlich gut trainiert sein. Ein leerer Hofbräu-Maßkrug wiegt 1,2 Kilogramm, gefüllt sind es über zwei Kilo. 14 Krüge auf einmal kann Sibylle Schulz beim Bedienen tragen. „Das sollte man aber nicht machen“, sagt sie. „Vor allem, wenn es voll ist und viel Gedrängel herrscht.“ Es ist zu gefährlich.

Sie arbeitet 13 Stunden am Tag, freie Tage gibt es nicht. Ein großes Geheimnis wird um den Verdienst gemacht. Über die Festwirte heißt es, sie würden nach dem Oktoberfest immer mit dem Spaten ausrücken, um neue Geldverstecke zu graben. Dass sie einen guten Lohn und ordentlich Trinkgeld bekommt, gibt Sibylle Schulz offen zu. Aber was verdient eine Bedienung? „Wenn ein Facharbeiter in der Fabrik 16 Tage lang Doppelschichten arbeiten würde“, sagt sie, „dann käme er auf das gleiche Geld.“

Jetzt ist das „Italiener-Wochenende“ auf der Wiesn, Halbzeit. Da meiden die Münchner das Fest eher, während nicht nur Italiener, sondern Gäste aus vielen Ländern dieser Welt das Gelände fluten. In bayerischer Tracht. Für das Personal bedeutet das maximalen Stress in den Zelten. Doch was heißt hier Zelt? Der offizielle Begriff für diese Bauwerke, die bis zu 10 000 Besucher fassen, lautet anders: Festhalle. Schon Monate vorher errichten Handwerker die Holzkonstruktionen, die so groß sind wie ein Fußballfeld. Es gibt darin Blöcke, Boxen und Balkone. In 16 Tagen werden bei Hofbräu 550 000 Liter Bier getrunken und 70 000 halbe Hendl verzehrt.

„Gegen Ende der Wiesn wird es schon anstrengend“, sagt Sibylle Schulz. „Das Tragen, vor allem aber das Laufen.“ Sie hat in München bei Bekannten ein Quartier. Wenn sie gegen Mitternacht dort eintrifft, trinkt sie meistens nur noch einen Tee – „und selten mal ein Glas Sekt“.

Am Zelt herrscht zu dieser Zeit aber weiter keine Ruhe. Die Reinigungstrupps kommen, mit Putzgerät und Dampfstrahler bringen sie alles wieder auf Vordermann. Bis zum frühen Morgen. Die Bierfahrer kommen. Sie liefern die vollen Fässer. Dann geht es wieder los.

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