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Panorama: Organisierte Romantik

Renee Olstead kann singen und Schach spielen. Nur Improvisieren muss die 15-Jährige noch lernen

Kurz vor dem Auftritt sitzt Renee Olstead in der Maske und lässt sich Haarspray in die langen roten Locken sprühen. Weil die Prozedur kein Ende nehmen will, redet sie mit der Maskenbildnerin. Zum Beispiel darüber, wie sie zum Jazz kam: Sie habe im Film „Pleasantville“ ein so schönes Lied gehört, ganz gerührt sei sie davon gewesen. Bis zum Ende des Abspanns blieb sie sitzen, um herauszufinden, dass die Sängerin Etta James hieß. Heute sei sie ein großer Fan von Etta.

Das Mädchen aus der Maske ist gerade mal 15 Jahre alt, kommt aus Texas, und als „Pleasantville“ im Kino lief, war sie neun. Natürlich entdeckt eine Neunjährige, die gerne „AC/DC“ hört, den Jazz zufällig im Kino – alles andere wäre doch ziemlich seltsam. Dass sie allerdings soeben selbst eine Jazzplatte veröffentlicht hat, gerade von ihrer ersten Europatournee zurückgekehrt ist und nun von der internationalen Presse auf Händen getragen wird, das lässt Zweifel daran aufkommen, ob es sich hier wirklich um Zufall handelt. Oder nicht eher um eine durchorganisierte Karriere.

In der Tat verläuft das Leben der Renee Olstead seit ihrer frühen Kindheit nach Plan. Sie soll ein Superstar im Showbiz werden, ganz egal ob als Schauspielern oder Sängerin. Nicht durch künstlerische Berufung erreicht man dieses Ziel, sondern indem man die Disziplinen eines Mehrkampfes beherrschen lernt. Olstead hat früh damit begonnen, Werbespots zu drehen, sie ist in Fernsehcomedys wie „Still Standing“ zu sehen gewesen, und sie hat kleinere Rollen in großen Filmen gespielt, etwa in Clint Eastwoods „Space Cowboys“ und „End of Days“ mit Arnold Schwarzenegger. Auch musikalisch hat sie früh viel ausprobiert. Das neue Album mit dem einfachen Titel „Renee Olstead“ ist bereits ihre dritte CD, zwei wenig erfolgreiche Versuche als Country-Sängerin liegen bereits hinter ihr. Im Internetportal imdb.com findet man eine Kurzbiografie: „Sie ist ein vollkommener Entertainer. Zu ihren besonderen Fähigkeiten gehören: Gesang, Geige, Stimmenimitation, Zeichensprache, Tanz, Cartoon-Zeichnen, Schach und Basketball.“

Man ist versucht, Renee Olstead abzutun als künstliches Produkt, als Retortenstarlet. Wenn da nicht diese Stimme wäre. Sie swingt durch die großen Klassiker des „Great American Songbook“, als sei sie zwanzig Jahre älter und stamme aus einer anderen Zeit. Zwar fehlt ihr noch das richtige Maß, wenn sie die ersten Takte von George Gershwins „Summertime“ im Vibrato ertränkt. Doch ihre Stimme ist voll wie die einer werdenden Diva, und wie lässig sie mit dem Rhythmus spielt, verrät, dass sie bei Ella Fitzgerald und Billie Holiday selbst das Ein- und Ausatmen studiert hat. In Renee Olsteads Musik ist zwar so gut wie kein Platz für Improvisationen, doch dafür reproduziert sie exakt jene Cocktail-Stimmung, die man seit Jahrzehnten mit dem Jazz verbindet. Das ist vor allem das Verdienst des Produzenten David Foster, der schon mit Michael Jackson, Celine Dion und Whitney Houston gearbeitet hat. Er weiß, welche Studiomusiker man braucht, um den Big-Band-Sound Frank Sinatras zu kopieren. Und er versteht es, mit einem Streichorchester das letzte bisschen Romantik aus den Songs hervorzukitzeln. So ist ein Album entstanden, das sehr an Robbie Williams’ „Swing When You’re Winning“ erinnert.

Auf ihrer Website erwarten einige Fans bereits, dass Renee bald ähnlich viele Grammys gewinnen wird wie Norah Jones vor zwei Jahren. Doch die beiden lassen sich kaum vergleichen. Olstead fehlt bei aller Virtuosität, was die zehn Jahre ältere Jones auszeichnet: schon nach einem einzigen Ton wieder erkennbar zu sein. Noch hört man bei Renee Olstead das Mädchen heraus, das Jazzsängerin spielt.

Gespielt war übrigens auch die Szene, in der sie ihrer Maskenbildnerin von „Pleasantville“ erzählt. Sie stammt aus einem PR-Video, in dem Olstead auf auswendig gelernte Fragen auswendig gelernte Antworten gibt. Aber wer kann mit 15 schon improvisieren?

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