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Heldinnen. Ina Brunk (29, li.) und Angela Kotter (28) klären an Schulen und Unis über das Thema Organspende auf.

© Mike Wolff

Organspende: „Gerade jetzt müssen wir über Organspende reden“

Ein Gespräch mit Angela Kotter und Ina Brunk vom Berliner Verein „Junge Helden“ über ihre Arbeit an Schulen und Partys zu letzten Fragen.

Das Thema Organtransplantation macht derzeit negative Schlagzeilen, weil Mediziner Krankenakten manipuliert haben sollen, um Patienten bei der Vergabe zu bevorzugen. Hat der Skandal Auswirkungen auf die Arbeit von „Junge Helden“?

ANGELA KOTTER: Ja, auf jeden Fall. Gerade jetzt betrachten wir es noch mehr als unsere Aufgabe aufzuklären, da zurzeit so viel darüber gesprochen wird. Und dabei wenig differenziert. Zum Beispiel ist derzeit überall von einem Organspende-Skandal die Rede. Das ist falsch. Es geht um die Zuteilung der Organe und nicht um die Spende.

Euer Hauptkritikpunkt ist, dass über das Thema generell sehr abstrakt gesprochen wird. Ihr verfolgt einen anderen Ansatz, macht Veranstaltungen an Schulen und Unis, organisiert Partys. Warum?

ANGELA: Wir wollen dem Ganzen die Schwere nehmen und verfolgen deshalb einen anderen Ansatz. Gerade junge Menschen wissen noch sehr wenig über den Prozess des Spendens, wie genau das abläuft. Dass zunächst der Hirntod diagnostiziert werden muss, bevor die Organe entnommen und transplantiert werden können. Die einzelnen Schritte werden meistens nicht sehr deutlich wiedergegeben.

INA BRUNK: Die Leute, die bei den Veranstaltungen vor uns sitzen, haben wirklich ganz grundlegende Fragen. Wenn man in dem Thema drinsteckt, überträgt man ein bestimmtes Wissenslevel auch auf andere. Gerade an Schulen oder Universitäten merken wir, wo eigentlich angesetzt werden muss. Nämlich ganz am Anfang.

Mit welchen Fragen werdet ihr am häufigsten konfrontiert?

ANGELA: Eine Frage, die immer kommt, ist die nach dem Alter. Man muss 16 sein, um sein Einverständnis zur Organspende erklären zu können. Einen Widerspruch kann man schon mit 14 dokumentieren. Beides ist ohne das Einverständnis der Eltern möglich, jedoch ist es wichtig seine Entscheidung den Angehörigen mitzuteilen. Ältere Menschen sorgen sich eher, ob ihre Organe überhaupt noch für eine Spende geeignet sind. Es gibt aber keine Altersbegrenzung bei der Organspende.

INA: Viele denken, ein Organspendeausweis sei automatisch eine Einwilligungserklärung. Dass es aber fünf Entscheidungsmöglichkeiten gibt und man auch einfach „Nein“ ankreuzen kann, wissen die meisten nicht.

Warum fällt es den Leuten schwer, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen?

INA: Natürlich will man sich mit ganz vielen Themen lieber beschäftigen als mit dem eigenen Tod.

ANGELA: Viele haben auch Angst, mit einer Entscheidung ein negatives Ende zu besiegeln. Das hat fast etwas Abergläubisches. Wir versuchen zu vermitteln, dass es einem auch was geben kann, sich mit dem Tod auseinanderzusetzen. Dass man sich dadurch manche Dinge viel bewusster machen kann.

Zum Beispiel?

INA: Dass es in der Hand eines jeden Einzelnen liegt, eine selbstbestimmte Entscheidung zu treffen. Gerade junge Menschen machen sich über vieles Gedanken, angefangen bei den simpelsten Sachen. Welche Turnschuhe kaufe ich? Mache ich eine Ausbildung oder doch lieber ein Studium? Was ist mir wichtig im Leben? Da kann man eigentlich gut anknüpfen. Denn ob man seine Organe spenden will oder nicht, sollte auch eine selbstbestimmte Entscheidung sein. Für uns ist dabei jedes Ergebnis akzeptabel, selbst ein Nein. Das Einzige, wogegen wir argumentieren, ist die Gleichgültigkeit.

Die größten Irrtümer bei diesem Thema?

INA: Viele denken, dass ihnen nicht geholfen wird, wenn sie auf der Straße einen Unfall haben. Das ist falsch. Bei jedem, der seine Organe spenden möchte, muss erst der Hirntod diagnostiziert werden. Der kann nicht auf der Straße festgestellt werden, sondern nur auf der Intensivstation.

ANGELA: Die größte Sorge besteht darin, dass Ärzte nicht alles für einen tun und einen frühzeitig aufgeben. Wenn man die erforderlichen Schritte aber rational durchgeht, kann man den Menschen diese Angst nehmen. Außerdem ist vielen nicht klar, dass sie ganz genau aufführen können, welche Organe sie spenden wollen. Manche tun sich schwer mit der Vorstellung, ihr Herz oder die Augen zu spenden, sind aber bereit, ihre Lunge oder Leber zur Verfügung zu stellen.

Wie geht ihr im Gespräch vor?

ANGELA: Möglichst locker. Ohne Stuhlkreis und Präsentationen. Meistens zeigen wir anfangs ein Video, dadurch wird das Eis schnell gebrochen. Und das Publikum bekommt ein Gefühl von uns, davon, wie wir arbeiten.

INA: Die Leute sollen merken, dass wir keinen Experten-Vortrag halten wollen. Wir kommen, um ihnen zuzuhören und ihre Fragen zu beantworten. Bei uns darf man wirklich alles fragen. Neulich wollte jemand wissen, ob man auch ein Gehirn transplantieren kann. Durch solche Fragen lernen auch wir und bekommen Anregungen für unsere Arbeit.

Angela, vor einem Jahr ist deine Schwester Claudia gestorben, die „Junge Helden“ gegründet und dem Anliegen des Vereins durch ihre Krankheit eine Dringlichkeit vermittelt hat. Was hat sich seit ihrem Tod für den Verein verändert?

ANGELA: Wir merken natürlich jede Sekunde, dass Claudi total fehlt. Sie war der Motor des Ganzen. Doch ohne groß darüber reden zu müssen, war uns allen klar, dass es auch nach ihrem Tod weitergeht.

Ist es seither schwerer, sich Gehör zu verschaffen? Ihr seid jung, gesund, seht gut aus – nimmt man euch das Anliegen da überhaupt ab?

INA: Claudi hat natürlich mit ihrer Ausstrahlung und Persönlichkeit immer direkt Aufmerksamkeit erregt und die Menschen in ihren Bann gezogen. Das war auch für die Medien sehr interessant. Das können wir natürlich nicht ausgleichen. Aber Claudi weist uns weiterhin den Weg und hat ihre Visionen immer mit uns geteilt. So fällt es uns leicht, weiterhin in ihrem Sinne zu handeln. Und es gibt keine Veranstaltung, in der sie nicht Thema ist.

„Junge Helden“ gibt es seit fast zehn Jahren. Was ist die Bilanz eurer Arbeit?

ANGELA: Ich finde es großartig, dass sich der Verein so etabliert hat und als kompetenter Ansprechpartner für junge Leute wahrgenommen wird.

INA: Es ist schön zu sehen, was alles aus eigener Kraft entstanden ist. Claudi hat jahrelang um jeden Euro und damit den Fortbestand des Vereins gekämpft. Das ist was, worauf man mit Stolz zurückblicken kann. Wenn man sich jetzt mal anguckt, wie viele Leute einen Organspendeausweis ausgefüllt haben, dann hat sich die Zahl fast verdoppelt. Trotzdem gibt es noch viel zu tun.

Das Gespräch führte Nana Heymann.

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