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Oscar-Verleihung: Der verkannte Star

Am Dienstag werden die Oscar-Nominierungen bekannt gegeben – neben „Avatar“ ist Sandra Bullock das große Hollywood-Thema

Bekommt sie ihn oder bekommt sie ihn nicht? Am Dienstag gibt Hollywood die Oscar-Nominierungen bekannt – eine Vorentscheidung. Zwei große Themen gibt es im Vorfeld. Das eine ist James Camerons „Avatar“, der von Amerikas Rechten als linkes Propagandawerk verunglimpft wird. Das andere Thema ist der unerwartete und plötzliche Karrierehöhepunkt der mit 45 Jahren vergleichsweise alten Schauspielerin Sandra Bullock. Publikum und Kritik hatten sie schon lange nicht mehr richtig im Blick gehabt, da bricht sie Kassenrekorde mit einem Film, dem die Kritik keine Chance gegeben hatte. „The Blind Side“ walze sein Publikum mit Sentimentalitäten platt, schrieb die „New York Times“. Auch ihr zweiter Erfolgsfilm „Selbst ist die Braut“, fand dieselbe Zeitung, sei ein Sammelsurium übelster sexistischer Klischees.

Dem amerikanischen Publikum gefielen alle beide Streifen dennoch blendend. Die Komödie „Selbst ist die Braut“, in der Sandra Bullock eine bärbeißige Karrierefrau spielt, die die Liebe entdeckt, war mit 164 Millionen Dollar Umsatz im vergangenen Sommer bereits der erfolgreichste Film ihrer Karriere. „The Blind Side“ übertrumpfte diesen Rekord noch einmal deutlich und spielte bisher mehr als 200 Millionen ein. Es ist das erste Mal in der Filmgeschichte, dass eine weibliche Hauptdarstellerin so viele Menschen in einen Film lockt. Julia Roberts, Meryl Streep und Angelina Jolie ließ sie damit weit hinter sich. Mit „The Blind Side“, der im März in die deutschen Kinos kommen soll, kassierte Bullock bei den Golden Globes den Preis für die beste weibliche Hauptrolle.

Der Zuschauer kennt Sandra Bullock eher aus dem Fach romantische Komödie, „rom-com“, wie es in Hollywood heißt. Ihr Leinwandcharme bestand immer in dem Widerspruch zwischen ihrer Ungehobeltheit einerseits und ihrer gleichzeitigen Liebenswürdigkeit und Attraktivität. Ihre erfolgreichen Filme spielen sämtlich mit diesem Paradox. Alle Ausflüge ins ernste Fach waren eher zwiespältig. Eigentlich wollte Sandra Bullock nach diesen Erfahrungen vom dramatischen Fach die Finger lassen und sich auf das vertraute „rom-com“-Terrain zurückziehen. Die ernsthafte Rolle ihres Kassenschlagers „The Blind Side“ musste ihr regelrecht aufgedrängt werden. Dass ausgerechnet dieser Film nun ihr größter Erfolg geworden ist, ist für sie selbst verblüffend. „Ich glaube nicht, dass das etwas mit mir zu tun hat“, sagt sie. Der Erfolg des Films sei eine Kombination aus der Thematik und dem richtigen Timing.

Das ist natürlich zum Teil Koketterie. Selbst die „New York Times“, der „The Blind Side“ überhaupt nicht gefiel, fand Bullocks Leistung in dem Film überzeugend. Andererseits hat Sandra Bullock natürlich recht, dass ihre Interpretation einer typischen weißen Südstaaten-Mutter alleine den Erfolg des Films nicht erklärt. Es ist die Story, die Millionen in die Kinokassen spült.

„The Blind Side“ ist die wahre Geschichte von Michael Oher, einem obdachlosen schwarzen Jungen aus den Slums von Memphis, der von einer wohlhabenden weißen Familie adoptiert wird. Familienhenne Sandra Bullock ist dabei die treibende Kraft, kämpft aus christlicher Überzeugung heraus gegen die Widerstände ihrer Umgebung, bringt den analphabetischen, verstörten Jungen durch die Highschool und bis ans College. Dort endet der Film – der echte Oher ist heute Footballprofi bei den Baltimore Ravens und spielt um die Meisterschaft. Es ist eine anrührende Geschichte von der Überwindung übermächtiger sozialer Hindernisse und passt alleine der Rassenthematik wegen bestens in die Obama-Ära. Beim Großstadtpublikum von New York und Los Angeles fiel er dennoch genau wie bei der Kritik durch. Die Massen strömten eher dort in den Film, wo er auch spielt: im Süden. Die größten Zuschauerzahlen erreichte „The Blind Side“ in Städten wie Dallas, Nashville und Birmingham, Alabama.

Für die zynischen Großstädter ist der Film ein wenig zu zuckersüß erbaulich. Im Vordergrund stehen die guten christlichen Werte der Sandra-Bullock-Figur und ihre blütenreine Tugendhaftigkeit, die, wie ein Kritiker schrieb, nach einer Weile nicht nur langweilig, sondern auch eitel wirkt. Um den schwarzen Jungen, dessen vorwiegende Aufgabe es in dem Film ist, dankbar zu sein, geht es im Grunde überhaupt nicht. Das weiße christliche Publikum im Süden, eine immer noch mächtige Konsumentengruppe, verliebte sich hingegen in die Story. Die Frage ist nun, auf welche Seite sich Hollywood schlägt – auf die der Kritik oder die des Massenpublikums. Wenn die Oscar-Verleihungen der vergangenen Jahre Aussagekraft haben, dürfte Sandra Bullock wohl auch im besten Jahr ihrer Karriere leer ausgehen. Die Tendenz bei der Academy of Motion Pictures geht hin zu unabhängigen, anspruchsvollen Produktionen. Zu dieser Kategorie gehört „The Blind Side“ trotz der Thematik nicht.

Sandra Bullock, die mit ihrem Mann Jesse James – einem ganzkörpertätowierten TV-Moderator für Motorradsendungen – in Texas wohnt, dürfte das nicht weiter stören. „Ich habe vor einiger Zeit aufgehört zu versuchen, jeden glücklich zu machen“, sagte sie. Derzeit macht Bullock ihr Publikum glücklich. Das reicht ihr.

Sebastian Moll[New York]

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