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Beulen am Bug deuten auf das gefährliche Manöver hin.

© CCS Media Team

Patrouillenboot rammt Kreuzfahrtschiff: Treffer... und selbst versenkt

Ein Boot der venezolanischen Marine beschießt und rammt ein deutsches Kreuzfahrtschiff. Doch dann geht es selbst unter.

Was geht wohl im Kopf eines Marine-Kommandanten vor, der sein Schiff geradewegs in ein anderes hineinsteuert? Was hofft er zu erreichen? Was treibt ihn an? Im Fall des venezolanischen Offiziers der Küstenwache, der es in der Nacht zu Mittwoch auf eine schwere Kollision mit einem Kreuzfahrtschiff ankommen ließ, wäre sicher hilfreich gewesen, sich über die Bedeutung des Schiffsnamens ins Bild zu setzen, der in großen Lettern unübersehbar am Rumpf prangte: „Resolute“.

Als die „Naiguata“, ein hochmodernes Patrouillenboot mit 44 Besatzungsmitgliedern, in den Bug des weißen Kreuzfahrers krachte, bewusst und vorsätzlich, da trug der nur ein paar Schrammen davon, während das mit 80 Metern Länge nur unwesentlich kleinere Militärfahrzeug so schwer beschädigt wurde, dass es bald darauf sank. Als resolut hat sich die frühere „Hanseatic“ in der Tat erwiesen. War sie doch ursprünglich für Fahrten ins Eis gebaut und mit einer besonderen Panzerung versehen worden.

Der Vorfall ereignete sich unweit der venezolanischen Tortuga-Insel in internationalen Gewässern. Die RCGS Resolute, die von dem Hamburger Kreuzfahrt-Unternehmen Columbia Cruise Services betrieben wird, befand sich auf dem Weg von Buenos Aires nach Willemstadt auf Curaçao. An Bord der für 184 Gäste ausgelegten „Resolute“ befanden sich keine Passagiere, sondern lediglich 32 Besatzungsmitglieder. Nach Informationen des Tracking-Dienstes Vesselfinder erreichte sie am Samstag gegen Mitternacht die äußeren venezolanischen Inseln, trieb die folgenden zwei Tage allerdings, statt den direkten Kurs fortzusetzen, auf Isla de Tortuga zu.

In einem Statement erklärt die Reederei, dass die Crew Wartungsarbeitern an einer der beiden Antriebsmaschinen durchgeführt habe, als sie sich bis auf etwa 13 Meilen der Insel genähert hatte. Kurz nach Mitternacht sei das venezolanische Marinefahrzeug erschienen und habe Order gegeben, ihm nach Puerto Moreno auf der Margarita-Insel zu folgen. „Da sich die ,Resolute’ in internationalen Gewässern befand, wollte der Kapitän sich diese erhebliche Abweichung von der terminierten Reiseroute von seiner Firma bestätigen lassen.“

Kurs der "RCGS Resolute": Am 28.3. um kurz nach Mitternacht reduziert das Kreuzfahrtschiff seine Geschwindigkeit, um die Zeit bis zur terminierten Ankunft in Willemstad mit Wartungsarbeiten zu überbrücken. Die Punkte auf der Karte zeigen die Position des Schiffes, während es sich mit 1,5 Knoten der Insel Tortuga nähert. Am 30.3. kommt es an der Stelle, wo die Kurslinie einen Knick nach Norden macht, zur Kollision. Die "Resolute" entfernt sich anschließend mit 16 Knoten vom Unfallort.
Kurs der "RCGS Resolute": Am 28.3. um kurz nach Mitternacht reduziert das Kreuzfahrtschiff seine Geschwindigkeit, um die Zeit bis zur terminierten Ankunft in Willemstad mit Wartungsarbeiten zu überbrücken. Die Punkte auf der Karte zeigen die Position des Schiffes, während es sich mit 1,5 Knoten der Insel Tortuga nähert. Am 30.3. kommt es an der Stelle, wo die Kurslinie einen Knick nach Norden macht, zur Kollision. Die "Resolute" entfernt sich anschließend mit 16 Knoten vom Unfallort.

© Vesselfinder.com

Doch der Kommandant der „Naiguata“ zeigte wenig Geduld und wartete nicht auf die Antwort des Kapitäns. Schüsse wurden abgefeuert „und kurz darauf fuhr das Marinefahrzeug mit hoher Geschwindigkeit und in einem Winkel von 135 Grad auf die ,Resolute’ zu in der Absicht, sie zu rammen. Es versuchte auf diese Weise, den Bug des Schiffes Richtung venezolanischer Hoheitsgewässer zu drücken.“

Als die „RCGS Resolute“ 1991 – damals noch unter anderem Namen – vom Stapel lief, war sie eigens für Kreuzfahrten in arktische Regionen gebaut worden. Um für Fahrten ins Eis versichert zu sein, hatte man ihren Rumpf verstärkt und mit besonderen Stahlplatten versehen. Als „Hanseatic“ unternahm das 122-Meter-Schiff in den Folgejahren etliche Reisen in den hohen Norden sowie in die Antarktis. Sie durchquerte die Nordostpassage und kam dem Nordpol 2014 näher als irgendein Passagierschiff je zuvor.

Auf ihren anspruchsvollen Reisen, auf denen die Gäste alle Annehmlichkeiten eines Fünf-Sterne-Luxus genießen konnten, kam es hin und wieder zu gefährlichen Situationen. So lief sie mehrfach auf Grund, und erlangte eine gewisse Bekanntheit, als ihr ein Brückenfenster in einem Sturm vor Neuseeland von einer Monsterwelle eingeschlagen wurde und sie nach dem Ausfall der elektrischen Systeme, antriebslos in der See lag.

Die "Resolute" blieb eine Stunde am Ort des Unfalls

Vor zwei Jahren wurde das Schiff von Hapag-Lloyd verkauft. Doch in den Diensten des neuen Besitzers war ihr zunächst kein Glück beschieden. Erst verzögerte ein Werftbrand die Instandsetzung, dann beendete ein Krankheitsfall an Bord die Reise in die Antarktis vorzeitig, wodurch die Betreiber One Ocean Expeditions in wirtschaftliche Nöte gerieten. Schließlich wurde die „Resolute“ den Winter über wegen ausstehender Zahlungen in Buenos Aires festgehalten.

Zu welchem Zweck sich das Schiff mit reduzierter Crew – die Sollstärke beträgt 125 Mitglieder – auf dem Weg nach Curaçao befunden hat, ließ sich bis Redaktionsschluss nicht in Erfahrung bringen. Da das Schiff mit einem Zeitpuffer in Argentinien aufgebrochen war und sich eine verfrühte Ankunft abzeichnete, wurde die verbleibende Zeit auf See für Arbeiten an einer der beiden Hauptmaschinen genutzt. Die andere war zu jeder Zeit auf „stand-by“ und einsatzbereit, erklärt die Reederei. "Ein früheres Einlaufen nach Curaçao (oder umliegende Häfen) war keine Option, da alle Häfen aufgrund der Covid-Pandemie für Kreuzfahrtschiffe geschlossen sind. Curaçao hatte uns lediglich im Vorhinein einen technischen Stop in Willemstad zum Bunkern und Verproviantieren genehmigt."

Es dürfte dieser Umstand gewesen sein, ein im Meer driftendes Passagierschiff ohne Passagiere, der das Interesse der venezolanischen Küstenwache an der „Resolute“ geweckt hat. Präsident Nicolás Maduro sprach in einem offiziellen Statement von „einem Akt der Aggression und Piraterie“.

Beim Aufprall bohrte sich der verstärkte Bugwulst in den Rumpf der 2012 erbauten „Naiguata“ und schlitzte ihn offenkundig auf. Nach Angaben der Reederei blieb die „Resolute“ eine Stunde lang am Ort des Unfalls, um mögliche Schiffbrüchige zu retten. Dann setzte sie ihre Fahrt mit Erlaubnis der zuständigen Seenotkoordinierungsstelle fort. Sie liegt nun im Hafen von Curaçao. Sämtliche Besatzungsmitglieder der „Naiguata“ wurden gerettet. Es dürfte ein einmaliger Fall in der Seefahrtsgeschichte sein, dass ein ziviles Passagierfahrzeug ein Kriegsschiff versenkt und davonkommt.

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