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Panorama: Phänomen Brummton: Nur für feine Ohren

Wer nicht hören will, muss fühlen. Das alte Sprichwort bekommt in diesen Wochen eine neue Bedeutung: Gerade diejenigen, die dauernd hören, was sie am liebsten nicht mehr hören wollen, fühlen sich ganz hundsmiserabel.

Wer nicht hören will, muss fühlen. Das alte Sprichwort bekommt in diesen Wochen eine neue Bedeutung: Gerade diejenigen, die dauernd hören, was sie am liebsten nicht mehr hören wollen, fühlen sich ganz hundsmiserabel. Das Umweltministerium von Baden-Württemberg geht derzeit den Klagen von Menschen nach, denen ein anhaltender, tiefer Brummton nicht nur den Nachtschlaf raubt, sondern auch Kopfschmerzen, anhaltende Infekte und Magen-Darm-Beschwerden einbringt.

Im Hörforschungszentrum der Universität Tübingen will man dem Geräusch nun wissenschaftlich auf die Spur kommen, das derzeit bevorzugt Bürger aus Baden-Württemberg plagt, aber auch aus Berlin gemeldet worden ist: "Wir versuchen, das Brummen mit Frequenz- und Lautstärkeanalysen genauer zu bestimmen", sagt Hals-Nasen-Ohren-Ärztin Annette Limberger.

Unter 20 Hertz

Doch mit den bisher eingesetzten Messeinrichtungen war das noch nicht möglich. Sensiblere Geräte sollen bald Aufschluss bringen. Ebenfalls noch nicht erfolgreich war der Versuch, den Betroffenen im Forschungslabor etwas vorzuspielen, das dem Brummen nahekommen sollte: "Die Töne, die wir ihnen vorspielten, waren immer zu hoch." Das Original-Brummen scheint im Frequenzbereich unter 20 Hertz zu liegen. Auch der Schallpegel, gemessen in Dezibel, ist offensichtlich sehr niedrig. "Das Geräusch verursacht ein allgemeines Unwohlsein, ist aber für das Gehör sicher nicht schädlich", meint die Gehör-Spezialistin.

Nun wollen die Tübinger herausfinden, ob die Opfer des nächtlichen Brummens insgesamt auf Geräusche empfindlicher reagieren als Otto Normalhörer. Das wäre eine mögliche Erklärung dafür, warum ein Ton, für den Familie und Nachbarn taub sind, die Geplagten verfolgt. "Wir wissen, dass etwa fünf Prozent der Bevölkerung ein besonders sensibles Gehör haben und auch durch Lärm gefährdeter sind." So hat eine Studie an Bundeswehrsoldaten, die vor und nach einer Schießübung untersucht wurden, ergeben: Bei einer Minderheit war direkt danach ein Hörschaden messbar, der sich allerdings schnell wieder verlor.

Unklar ist aber noch, auf welcher Teilstrecke die Menschen mit den feinen Ohren empfindlicher reagieren. Denn der Vorgang des Hörens ist kompliziert: Zuerst kommen Schallschwingungen der Luft am Trommelfell an, das sie in Bewegungsenergie umwandelt, die auf die Kette der Gehörknöchelchen übertragen werden kann. Im Mittelohr wird sie in Druckenergie umgewandelt und in das eigentliche Hörorgan im Innenohr weitergeleitet. In Form von elektrischen Impulsen wandern sie auf den Hörbahnen weiter ins Gehirn. Schwerhörigkeit - ein Problem, unter dem in einer älter werdenden Gesellschaft weit mehr Menschen leiden als unter dem zu guten Hören - kann ihre Ursache weiter außen haben, im Gehörgang, im Trommelfell oder im Mittelohr. Sind die feinen Haarzellen im Innenohr geschädigt oder ist die Weiterleitung ins Verarbeitungszentrum Gehirn gestört, so spricht man von Schallempfindungs-Schwerhörigkeit. Hauptursache ist Lärm, also Geräusche über 90 Dezibel.

Eine Schädigung des Innenohrs ist meist auch die Voraussetzung dafür, dass Menschen ständig auf einem oder beiden Ohren ein lästiges Klingeln, Summen, Rauschen, Pfeifen oder Zischen hören. Solche Ohrgeräusche, denen kein objektiv messbares, auch von anderen wahrnehmbares Geräusch zugrunde liegt, werden Tinnitus genannt. Oft gehen sie mit einem Hörsturz, einem plötzlich auftretenden, einseitigen Hörverlust einher. Aber auch eine Mittelohrentzündung, Blutdruckprobleme oder Verkalkung der Ohrgefäße können der Auslöser sein. "Im Ohr selber ist dann etwas kaputt gegangen. Das Gehirn vermisst gewohnte Informationen und schafft sie sich selber", erklärt die Hals-Nasen-Ohren-Ärztin Annette Limberger. Das Gehirn, ohne das ohnehin keine Sinneseindrücke möglich wären, koppelt sich hier vom Ohr ab, arbeitet selbständig, dafür aber umso heftiger. Bei der letztjährigen Jahresversammlung der Hals-Nasen-Ohrenärzte in Berlin wurde berichtet, dass es Münchner Nuklearmedizinern mit dem modernen Positronen-Emmissions-Tomografie-Verfahren (PET) erstmals gelungen ist, die veränderten Hörempfindungen von Tinnitus-Opfern sichtbar zu machen: Tatsächlich zeigte sich, dass bei den Geräuschgeplagten der Stoffwechsel der Großhirnrinde in jenen Arealen erhöht ist, in denen akustische Signale verarbeitet werden.

Könnte auch der fragliche Brummton ein Höreindruck sein, den das Gehirn sich ohne äußeren Geräusch-Anlass schafft? Vor allem, wenn andere schon darüber berichteten und man sich nun selbst leicht einbilden kann, dass ... ? Dagegen spricht nach Ansicht von Annette Limberger, dass der störende Ton von allen Betroffenen ähnlich beschrieben wird. Mit geschätzten 20 Hertz wäre das Brummen an der unteren Hörgrenze des Menschen angesiedelt. Als Quelle diskutieren Experten weiterhin Elektrosmog und Mobilfunkantennen. Dass die tiefen, leisen Töne praktisch nur nachts vernommen werden, ist mit größerer Ruhe in der Umgebung, aber auch mit der besonderen Bedeutung zu erklären, die der Gehörsinn bei geschlossenen Augen und im Dunkeln für den Menschen hat: Besonders unsere Vorfahren, die die Nacht im Freien verbrachten, waren darauf angewiesen, mangelnde Sicht durch das Spitzen der Ohren zu kompensieren. Als Sinnesorgan haben die den Vorteil, immer offen zu sein, was auch modernen Menschen bei der nächtlichen Fürsorge für weinende Säuglinge oder in der Abwehr durch die Wohnung schleichender Einbrecher hilft. Ein Vorteil, der sich leicht in einen Nachteil verkehrt, wenn Geräusche den modernen Menschen den Schlaf rauben, die eigentlich keine Gefahr signalisieren. Dann wäre es besser, auch akustisch abschalten zu können, wenn man sich aufs Ohr legt, statt pausenlos ganz Ohr zu sein.

Adelheid Müller-Lissner

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