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Plagiate: Warum klingen so viele Stücke ähnlich?

Die No Angels dürfen sorglos nach Belgrad fahren - ihr Song ist doch nicht geklaut. Aber auch im Eurovision Song Contest existiert, mit Nietzsche gesprochen, das Phänomen der ewigen Wiederkehr.

Alles nicht so schlimm. Die No Angels können ganz sorglos nach Belgrad fahren und beim Eurovision Song Contest für Deutschland ihr Liedchen trällern. Keine Fallstricke lauern da, keine juristischen Fußangeln. Denn das Stück „Disappear“, mit dem die No Angels in der letzten Woche den deutschen Vorentscheid gewonnen haben, ist kein Plagiat. Das sagt der NDR. Anlass für die Rechtfertigung: Kurz nach der Qualifikationsshow im Ersten hatte es, wie so oft beim Grand Prix, ein großes Bohei gegeben. Das Lied sei geklaut, meinten Kritiker. Schon im Januar habe eine Sängerin in der Pro Sieben-Talentshow von Stefan Raab den gleichen Titel gesungen. Das Lied hieß anders – „Break the Silence“, der Refrain klang ähnlich. Der NDR stellte den Fall gestern klar. Der No-Angels-Beitrag sei dem Sender schon im Dezember von der Plattenfirma Universal vorgelegt worden, also einige Wochen vor der Show bei Pro Sieben. Damit scheint der Plagiatsvorwurf vorerst vom Tisch.

Nach offizieller Definition gilt ein Plagiat als die unerlaubte Benutzung eines unfreien Werkes. Was das genau heißt, darüber macht sich zum Beispiel die Verwertungsgesellschaft Gema Gedanken, die in Deutschland die Urheberrechte von Musikern vertritt. Es kommt nicht darauf an, wie viele Töne oder Takte aufeinander folgen, sagt Gema-Sprecherin Gaby Schilcher. Für uns gilt: Sobald eine Melodie deutlich wiedererkennbar ist, handelt es sich um ein Plagiat. Die Gema bearbeitet fünf bis zehn Verdachtsfälle pro Jahr. Ob tatsächlich ein Plagiat vorliegt, entscheiden Gutachter und Gerichte, in Extremfällen drohen Schadenersatzzahlungen in Millionenhöhe.

Ernst wurde es jüngst etwa für den Berliner Skandalrapper Bushido. Ausgerechnet von der norwegischen Heavy-Metal-Band Dimmu Borgir soll Bushido eine Keyboard-Melodie gestohlen und in seinem Song „Mittelfingah“ verarbeitet haben. Prompt reagierten die Langhaarmusiker aus Skandinavien mit einem juristischen Gutachten und der Forderung nach Schadenersatz. Der Fall beweist: Nicht nur in der seichten Popwelt wird abgekupfert.

Aber dort natürlich ganz besonders. Neben den juristisch handfesten Plagiatsfällen wimmelt es in der Sphäre der populären Musik vor, man kann es so sagen: gefühlten Plagiaten. Dass Dieter Bohlens Band Modern Talking über Jahre hinweg immer wieder das im Grunde gleiche Lied unter anderen Namen veröffentlicht hat, das haben Spötter und Pop-Pessimisten schon lange gewusst. Aber solange jemand sich selbst plagiiert, wer will da klagen? Auch im Mikrokosmos des Eurovision Song Contests existiert, mit Nietzsche gesprochen, das Phänomen der ewigen Wiederkehr, diesen Eindruck könnte einer bekommen, der die Chroniken liest. Im Jahr 2006 musste sich die deutsche Country-Kapelle Texas Lightning den Vorwurf anhören, ihr Lied „No No Never“ sei von einem dänischen Grand Prix-Beitrag von 2001 abgekupfert. In den Jahren zuvor hatten mit ähnliche Angriffen erst Stefan Raab und dann die Sängerin Lou und ihr Komponist Ralph Siegel zu kämpfen. Raab habe sich bei den Spice Girls bedient, Siegel bei Wolfgang Petry, so lauteten die Vorwürfe. Wirklich hart kam es für die deutsche Grand-Prix-Delegation aber nur 1999. Damals hatte die Sängerin Corinna May mit ihrem Titel „Hör den Kindern einfach zu“ den Vorentscheid gewonnen. Zum Finale fahren durfte sie aber nicht. Denn wie sich herausstellte, hatte ihr Komponist den Song bereits auf einem anderen Album veröffentlicht.

Den No Angels hat der Plagiatsvorwurf zahlreiche Schlagzeilen beschert. Vielleicht ist die Plagiatsdiskussion ja ein Teil der Aufmerksamkeitslogik beim Grand Prix. Oder wie es ein NDR-Sprecher formuliert hat: Das gehört zum Grand Prix fast so dazu wie Windmaschinen.

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