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Komm her, Süßer. Cristiano Ronaldo (rechts) und Marcelo von Real Madrid vollführen nach einem Tor den Tanz zu Telós Song. So wurde das Lied berühmt.

© REUTERS

Pop-Phänomen: Ach, wenn ich dich kriege

Ein 160 Sekunden langer Ohrwurm: Der Brasilianer Michel Teló bringt die Welt zum Tanzen. Das Phänomen des globalen Nummer-Eins-Hits „Ai, se eu te pego“.

Madrids Fußballstar Cristiano Ronaldo hat’s gemacht, Marco Reus von Borussia Mönchengladbach, genauso der Tennisstar Rafael Nadal und die brasilianische Fußballhoffnung Neymar. Einen Arm vorgestreckt, den zweiten hinterher, die Hände auf die Brust geworfen, dazu mit der Hüfte gekreist und eine imaginäre Tanzpartnerin herangezogen. Auf Sportplätzen und in Diskotheken zwischen Moskau und Rio kann man die kleine laszive Choreografie seit Monaten beobachten. Schuld ist der Hit „Ai, se eu te pego“ des bislang völlig unbekannten brasilianischen Sängers Michel Teló.

In Deutschland besetzt die fröhliche Nummer seit nun 13 Wochen den ersten Platz der Single-Charts. Aber auch in Frankreich, Österreich, Polen, Holland und Italien lag oder liegt Teló an der Spitze. In Brasilien und vielen Ländern Lateinamerikas sowieso. Selten hat der Begriff Welterfolg also besser gepasst, und vielleicht ist „Ai, se eu te pego“ damit auch so etwas wie der erste globale Hit, der die neue Weltordnung widerspiegelt, in der Brasilien den Ton mit angibt. Auch kulturell.

Was also macht „Ai, se eu te pego“ so erfolgreich? Und das mitten im Winter? Das Stück ist ein klassischer Sommerhit im Stile von „Lambada“, der letzten auf portugiesisch gesungenen Nummer eins in Deutschland. 1989 war das, der „Lambada“ stand zehn Wochen lang oben, und in den Tanzschulen standen sie Schlange, um die Schritte zu lernen. Diese sind nun einfacher – und obszöner. Wenn man brav ist, übersetzt man „Ai, se eu te pego“ mit: „Wenn ich dich kriege“. Gemeint ist allerdings „Wenn ich dich ins Bett kriege“. Das Verb pegar ist im brasilianischen Portugiesisch vieldeutig eindeutig. Erotische Versprechungen scheinen also in Kombination mit einprägsamen Tanzschritten eine Hit-Voraussetzung zu sein.

Sunnyboy. Michel Telós Ehe zerbrach am Erfolg seines Hits. Er spielt trotzdem weiter.
Sunnyboy. Michel Telós Ehe zerbrach am Erfolg seines Hits. Er spielt trotzdem weiter.

© picture alliance / dpa

Allerdings hat auch Michel Teló einen Großteil des Erfolgs Youtube zu verdanken. Alles begann, als dort letzten November ein Video auftauchte, in dem der brasilianische Dribbelkünstler Neymar in der Kabine des FC Santos ausgelassen zu „Ai, se eu te pego“ tanzte. Das Video wurde mehr als acht Millionen Mal angeklickt. Einige Tage später machte der portugiesische Fußballstar Cristiano Ronaldo die gleichen Bewegungen, als er eins seiner Tore für Real Madrid geschossen hatte. Mit einem Mal bekam Telós Liedchen Aufmerksamkeit. Bis heute haben fast 225 Millionen Menschen sein Video angesteuert. Nun tauchen fast täglich neue Filmchen auf, in denen Menschen auf der ganzen Welt zu Telós nur 160 Sekunden langem Ohrwurm die Hüften kreisen lassen. Am skurrilsten dürfte eine Aufnahme von elf israelischen Fallschirmjägern sein, die den Tanz in voller Kampfmontur aufführen, während hinter ihnen palästinensische Fahnen flattern.

Dabei existiert der Song schon seit 2008. Im Original ist er ein Forró. Das ist ein traditioneller Musikstil aus dem Nordosten Brasiliens. Teló machte aus der Vorlage einen Sertanejo Universitário. Die Sertanejos sind Liebesschnulzen ohne Tiefgang. Sie stammen aus dem landwirtschaftlich geprägten Hinterland Brasiliens und sind in dem Riesenreich weit erfolgreicher als Samba und Bossa Nova, die die europäische Vorstellung von brasilianischer Musik geprägt haben.

Ein Sertanejo Universitário ist nun nicht etwa die intellektuelle Variante des Genres, sondern richtet sich an ein jüngeres, tanzwütiges Publikum. Er wird in der Mehrzahl von männlichen weißen Musikern gespielt und dreht sich inhaltlich ausschließlich um Beziehungen, Party und schöne Frauen. Das charakteristische Instrument ist das Akkordeon. In Brasilien sagt man zwar: „Das Akkordeon weint.“ Doch in Telós Hit, in dem es die eingängige Melodielinie zu einer Offbeat-Gitarre spielt, scheint es lauthals zu lachen.

Rund 240 Millionen Menschen in Lateinamerika, Afrika und Europa sprechen Portugiesisch, das dennoch nicht als Weltsprache gilt. Nun wird „Ai, se eu te pego“ in die verschiedensten Idiome übertragen, von Bayerisch bis Hebräisch. Dennoch hat der 31-jährige Teló etwas Bemerkenswertes geschafft. Sangen brasilianische Musiker, die internationalen Erfolg anstrebten, bisher auf Englisch, hat Teló den Markt auf Portugiesisch erobert. Zwar hat auch er eine englische Version veröffentlicht, doch die wurde nicht annähernd so bekannt wie das Original.

Dauerlächler Michel Teló aus dem südlichen Bundesstaat Paraná mag zwar äußerlich Ähnlichkeiten mit Dieter Bohlen haben. Tatsächlich steht der Mann mit dem Bubengesicht schon auf der Bühne, seit er zwölf ist. Er beherrscht Klavier, Akkordeon und Gitarre und spielte jahrelang in verschiedenen Bands.

Und welche Geschichte wird nun in dem Song erzählt, den Jugendliche auch in Berlins öffentlichen Verkehrsmitteln immer öfter versuchen, originalgetreu wiederzugeben? Hier eine kleine Übersetzungshilfe: Ein Mann geht Samstagabend in die Disco (balada) und sieht eine schöne Frau (delícia). Er findet sie superheiß und muss ihr sagen, dass sie ihn mit ihrer Schönheit „umbringt“ (nossa, nossa, assim você me mata). Er nimmt all seinen Mut zusammen und sagt ihr frech: „Ach, wenn ich dich kriege“.

Michel Telós Ehe zerbrach nach drei Jahren über dem Erfolg des Songs in der Frauenwelt. Er lacht trotzdem weiter.

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