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Petra Grimm

© privat

Porno-Studie: Sexfilme machen konservativ

Die Stuttgarter Professorin Petra Grimm hat den Pornografiekonsum von Jugendlichen untersucht. Den zu pauschalen Begriff "Generation Porno" lehnt sie ab.

Pornofilme mit Kindern, Sexszenen, die gewalttätig oder eklig sind – das wird von Jugendlichen heute einhellig abgelehnt. Von einer „Generation Porno“ zu sprechen, nur weil Sexfilme im Internet inzwischen leicht zugänglich sind, ist nach Ansicht der Medienwissenschaftlerin Petra Grimm deshalb völlig verfehlt. Gestern hat Grimm, Professorin an der Hochschule der Medien in Stuttgart, eine qualitative Studie vorgestellt, für die sie im Auftrag der Niedersächsischen Landesmedienanstalt und der Bayerischen Landeszentrale für Neue Medien Interviews mit Jugendlichen und Experten geführt hat. Der Titel: „Porno im Web 2.0. – Die Bedeutung sexualisierter Web-Inhalte in der Lebenswelt von Jugendlichen“. Eines geht aus den ausführlichen, in die Tiefe gehenden Gesprächen mit den 35 Jugendlichen zwischen 13 und 19 Jahren ganz eindeutig hervor: Web-Inhalte, in denen es sexuell zur Sache geht, sind heute für Heranwachsende leicht verfügbar. Teilweise werden sie mit ihnen unabsichtlich per E-Mail oder beim Herumklicken konfrontiert, teilweise steuern sie sie direkt an.

Letzteres gilt vornehmlich für die Jungen. „Für männliche Jugendliche aller Schichten ist der Umgang mit diesen Inhalten inzwischen völlig normal, sie sind Bestandteil des täglichen Medienkonsums – und die Mädchen wissen das“, erläutert Medienwissenschaftlerin Grimm im Gespräch. Eine „Dr.-Sommer-Studie“ 2009 der Jugendzeitschrift „Bravo“, für die Kinder und Jugendliche ab elf Jahren befragt wurden, hatte zuvor schon ergeben, dass 69 Prozent der Jungen und 57 Prozent der Mädchen bereits pornografische Inhalte im Netz konsumiert hatten. Über die Häufigkeit der Nutzung sagen solche Zahlen aber nichts aus. Aus den Gesprächen, die Grimm führte, kristallisiert sich nun ein eindeutiges Tabu heraus: Mädchen wie Jungen werten es als Treuebruch, wenn der Partner während einer bestehenden Beziehung nach Sex im Netz sucht.

Abgesehen davon aber scheint es nicht vieles zu geben, worüber Heranwachsende beiderlei Geschlechts sich bei diesem Thema einig sind. Zunächst einmal würden sie grundsätzlich darüber streiten, wo „Porno“ eigentlich beginnt. „Mädchen setzen die Grenze niedriger an. Für sie ist alles Pornografie, was irgendwie ‚nuttig‘ oder ‚schlampig‘ herüberkommt“, berichtet Grimm. Überhaupt stehen die Mädchen Websites mit sexualisiertem Inhalt eher ablehnend gegenüber, schon weil ihre Ekelschwelle deutlich niedriger ist. Allenfalls tolerieren sie, dass andere sich dafür interessieren. Medienwissenschaftlerin Grimm sieht denn auch mit Sorge, wie hier ein biologistisches Geschlechterrollenmodell fröhliche Urständ’ zu feiern scheint: „Junge haben eben Triebe, Mädchen haben keine“ – so oder so ähnlich haben sich viele ihrer jungen Gesprächspartner geäußert. Vor allem die Jungen aus der Gruppe der häufigen Nutzer geben denn auch an, in Phasen, in denen sie keine Freundin haben, vor dem Computer Erregung und Stimulation zu suchen. In einem Alter unter 15 hat die Mehrheit der Jugendlichen den Befragungen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zufolge noch keine sexuelle Beziehung zu einem anderen Menschen gehabt. Wenig erstaunlich also, wenn vor allem die jüngeren Nutzer die einschlägigen Seiten nach eigener Auskunft anklicken, um Wissen zu erwerben und etwas über sexuelle Techniken zu lernen.

Dass detaillierte, leicht zugängliche Filme dieses Anschauungsmaterial bieten, ist kulturgeschichtlich gesehen ein neues Phänomen. „Bilder mit sexuellem Inhalt gab es schon immer, aber man musste sich dazu selbst eine Geschichte ausdenken“, sagt Medienwissenschaftlerin Grimm. Mit ihrer Wucht könnten Filmskripts pornografischen Inhalts die Individualität der sexuellen Entwicklung überlagern, so fürchtet sie. „Das Spielerische, die Ruhe zum Ausprobieren, zur Entwicklung eigener Fantasien droht dann auf der Strecke zu bleiben.“ Bei den Jungen drohe stattdessen immenser Leistungsdruck, wenn sie sich an den erwachsenen Männern aus den Filmen orientieren. Die Mädchen, die ohnehin mehr auf die ästhetisch ansprechenden Elemente der Filme abfahren, gerieten dafür noch mehr in Gefahr, beim Vergleich mit den weiblichen Pornostars mit ihrem eigenen Aussehen zu hadern.

Damit kein Kind unabsichtlich mit freizügigen oder pornografischen Websites konfrontiert wird, fordert Grimm den Einsatz von Filterprogrammen für die Jüngeren. Der gezielten Neugier der Älteren sollte ihrer Ansicht nach dafür beim Anschauen von freizügigen Filmen gefrönt werden können, in denen nicht alle Männer „coole Checker“ und alle Frauen „haltlose Schlampen“ sind. Zusätzlich wünscht sie sich eine bessere Medienerziehung, die den kritischen Blick auf die Inhalte schult. Besonders wichtig ist der Wissenschaftlerin, die an der Hochschule für Medien als Dekanin des Fachbereichs Electronic Media tätig ist, dass Heranwachsende auch auf diesem Sektor lernen, Fiktion von Realität zu unterscheiden. „Wir dürfen der Pornoindustrie nicht die Erziehung unserer Kinder überlassen.“

Bleibt die Frage, ob wirklich alles so heiß gegessen wird, wie diese Industrie es derzeit serviert. Mehrere Dinge sprechen dagegen: Erstens gibt es eine nicht ganz kleine Gruppe von Jugendlichen, die den Porno-Angeboten ablehnend gegenüberstehen. Zweitens ist der wichtigste Einflussfaktor für die sexuelle Entwicklung von Kindern und Jugendlichen nach wie vor das Rollenvorbild ihrer Eltern. Positive Vater- und Mutterbilder können Heranwachsenden viel Sicherheit darüber vermitteln, wie ein „richtiger Mann“ oder eine „richtige Frau“ heute zu sein hat – und dem Entstehen überholter Klischees vorbeugen. Die Pornoindustrie ist also nicht allmächtig.

Dazu kommt, was sich auch in dieser Studie deutlich zeigte: Eigene Erfahrungen relativieren das Bild, das Jugendliche sich anhand der Web-Inhalte von Sexualität machen. Die Erfahrung, dass selbst das Zeigen von Unsicherheit und deutliche Abweichungen von der „Traumfigur“ sexy sein können, ist aber wohl nur offline zu haben.

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