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Presseschau: Reaktionen auf Grass' Gedicht

Mit seinem Gedicht hat der Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Günter Grass international einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Hier finden Sie Auszüge aus Meinungsartikeln ausländischer Tageszeitungen.

Die liberale israelische Tageszeitung Haaretz findet kritische Worte für Grass' Gedicht: "Dies ist der erste Fehler: Es hätte eben nicht gesagt werden müssen, weil es bereits von anderen gesagt wurde, Israel inklusive. Seit Monaten diskutiert die Welt darüber, ob ein präventiver Militärschlag gegen Iran dessen Atomprogramm stoppen könnte. Argumente dafür oder dagegen müssen die Wirksamkeit und mögliche Folge eines solchen Vorgehens mitbedenken. Die Debatte spielt sich auf der strategischen, operationalen und moralischen Ebene ab, Grass' Kommentar fügt dieser Debatte nichts hinzu. (...) Grass' Gleichsetzung von Israel mit dem Iran ist ungerecht, weil Israel - anders als Iran - nie gedroht hat, ein anderes Land von der Weltkarte auszuradieren. Anders als Grass' scheinheilige Verse behaupten, würde eine Militäraktion seitens Israel zur Vernichtung des iranischen Volkes führen, denn wie bereits bekannt wurde, richtet sich der angedrohte Einsatz ausschließlich gegen die iranische Atomanlage. ... Sie können sich also entspannen, Herr Grass. Sie haben zwar ein pathetisches Gedicht geschrieben, sind aber keineswegs anti-semitisch. (...) Aber verwenden Sie den letzten Tropfen Tinte das nächste Mal für einen Ihrer wunderschönen Romane."

Die New York Times hat das Gedicht am Mittwoch entgegen vieler Ankündigungen nicht veröffentlicht, erinnert aber an eine andere von Grass ausgelöste Kontroverse: "[Grass'] moralische Autorität, einst unantastbar, wurde 2006 untergraben, nachdem Grass Vergangenheit in Hitlers Waffen-SS bekannt geworden war. Grass behauptete, als eingezogener 17-Jähriger nie einen Schuss abgefeuert zu haben. Aber sein spätes Eingeständnis hat Fragen nach seinem langen Zögern aufgeworfen."

Die italienische La Repubblica hat Günter Grass' Gedicht veröffentlicht und bedenkt dieses mit den Worten: "Günter Grass tritt wieder auf den Plan. Und er tut dies mit einem lyrischen Text, der dazu bestimmt ist, einen Streit auszulösen. (...) Das Ergebnis seines Gedichts besteht allein darin, ein konfuses Rauschen zu erzeugen, eine unmögliche Gleichstellung Israels mit dem Iran, eine unglaubwürdige Verdrängung jener Bedrohung, die das Regime in Teheran für Jerusalem darstellt.(...) Es wird jedoch kein Gedicht sein, das Europa aus dieser Ecke herausholt. Und sicherlich nicht dieses Gedicht."

Die liberal-konservative Tageszeitung Corriere della Sera aus Italien meint: "Grass hat schon immer sehr gute Werbung in eigener Sache betrieben. (...) Dies beweist er nun mit der Veröffentlichung eines Gedichts gegen Israel. Mit kühler Marketingstrategie hat er mehrere Zeitungen ausgewählt, um seine Brechtsche Schmährede gegen die große Lüge vom Stapel zu lassen. (...) Grass ist gerissen. Er hat umsichtig die zu erwartenden Anschuldigungen gleich mit gedichtet. Das Problem ist, dass die Anschuldigungen, gegen die Grass sich vorbeugend schützt, alle wahr sind. (...) Etwa die 'ureigenen Verbrechen' seines Landes. Sicher, die Vergangenheit ist nicht leicht zu bewältigen, doch kann es sich Grass nicht leisten, ironische Worte zu benutzen über ein so heikles Thema wie die Unterstützung des deutschen Volks bei der Judenvernichtung in Europa. Über solch eine Gefühllosigkeit kann auch die Gedichtform nicht hinwegtäuschen."

Der Standard aus Österreich zeigt sich empört: "Ach ja, die Welt kann so herrlich einfach sein. Vorausgesetzt, man hat ein unerschütterliches Welt- und Feindbild. Weiß genau, wo das Gute zu Hause ist und wo das Böse wohnt. Und kennt die großen wie die kleinen Teufel dieser Erde. Günter Grass, immer noch Deutschlands Großschriftsteller und selbst ernanntes Gewissen der Nation, ist ein derartiger Allwisser. Einer, der gerne selbstverliebt den Finger hebt, um Klage zu führen, ja anzugreifen. (...) Was gesagt werden muss" heißt das Pamphlet - es hätte in Stammtischmanier auch "Man wird ja noch mal sagen dürfen ..." überschrieben sein können -, das am Mittwoch in mehreren bekannten Zeitungen erschienen ist. (...) Diese 69 Zeilen inhaltlich einseitig zu nennen, wäre eine ungerechtfertigte Untertreibung. Vielmehr handelt es sich um ein Sorge heuchelndes Machwerk, das in Wirklichkeit Jerusalem als gefährlichen Kriegstreiber denunziert. (...) Mit wohlgesetzten, arglos harmlos daherkommenden Sätzen macht Grass aus Israel einen kriegslüsternen Dämon. Wenn das kein Erstschlag ist."

Die Neue Zürcher Zeitung aus der Schweiz beklagt: "Wie man es besser macht, hat Mitte März der israelische Schriftsteller David Grossman demonstriert. (...) Auch Grossman warnt vehement vor einem atomaren Präventivschlag seines Landes. Er rügt die Hermetik von Netanyahus Gedankenwelt, bezweifelt, dass ein israelischer Angriff das iranische Atomprogramm ausschalten könnte, und er hat einen Blick für die skandalöse Kälte, mit welcher die militärischen Planspiele die Opfer unter der Zivilbevölkerung Irans ignorieren. (...) Grossman lieferte eine dezidierte politische Analyse. Grass schreibt ein schwammiges politisches Gedicht. Der Präzeptor Germaniae nutzt die Lyrik, um ichsüchtig und undifferenziert sein zu dürfen."

Die konservative tschechische Tageszeitung Lidové noviny fragt: "Weshalb wirft er [Grass] Israel und den Iran in einen Topf? Hat er noch nie etwas von den iranischen Drohungen gehört, Israel von der Landkarte auszuradieren? (...) Er unterstützt das Bestreben, dem jüdischen Staat die Legitimation zu nehmen. Gefährlich für Israel sind weder die Altnazis noch die Neonazis. Die schänden hauptsächlich die schon toten Juden. Gefährlich sind Leute wie Grass, die den lebenden Juden und ihrem Staat das Recht auf Verteidigung absprechen."

Auch das American Jewish Committee zeigte sich "entsetzt über Günter Grass' neuerlichen Versuch, Israel zu delegitimieren".

Im Iran stieß Grass' Gedicht auf positive Resonanz. Press TV, ein staatlicher, englischsprachiger Kanal lobte Grass für seine "scharfe Kritik an der Heuchelei der westlichen Welt angesichts des nuklearen Arsenals in Israel."

Weltweit twitterten User zum Thema #grass. In Deutschland zitiert der Nutzer Israfocus Henryk M. Broder: "Günter Grass - nicht ganz dicht, aber ein Dichter." Bluest Puma zwitschert: "Krass, Herr #grass! Literaturpreisgewinner auf Stammtisch-Niveau." Und User Vinny kann in Grass' Gedicht "Anti-Israelismus, aber keinen Antisemitismus finden".

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