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Panorama: Prinz, Pfarrer, Preuße

Philip Kirill könnte heute deutscher König sein. Stattdessen missioniert er in der Kleinstadt Zehdenick.

An diesem Freitagmorgen kauft der Prinz Blumen. Weil es keinen weißen Topf für die Chrysanthemen gibt, will die Verkäuferin ihm einen orangen geben, diese Farbe sei modern. „Das geht an eine 85-Jährige“, erwidert Prinz Philip Kirill von Preußen, Ururenkel des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II. Mit dem, was heute als modern gilt, hat der 43-jährige Prinz ein ziemliches Problem.

Als Pfarrer in der Kleinstadt Zehdenick eilt der agil-aufgekratzte Prinz auch an diesem sonnigen Märztag durch die kaum von Menschen gestörte Ruhe der brandenburgischen Provinz. Geburtstagsglückwünsche der evangelischen Gemeinde wollen übermittelt, Andachten gehalten werden. Er wolle „ein Menschenfänger im positiven Sinne“ sein, „das Wort Gottes verbreiten“, sagt Preußen. Selten besuchen mehr als 30 Menschen seine Gottesdienste in der für mehrere hundert Gläubige ausgelegten, vor mehr als 700 Jahren gebauten, frisch renovierten Stadtkirche. Preußen hat noch eine Menge zu tun.

Bekannt geworden ist er vor allem als Befürworter der Monarchie, als einer, der einen König an der Spitze Deutschlands einem Bundespräsidenten vorziehen würde, als jemand, der von der „Wilhelminismuskeule“ spricht, wenn er sich über die allgemein vertretene Geschichtsauffassung echauffiert, das wilhelminische Preußen sei ein Hort des Militarismus gewesen. Preußen weiß, dass der Kampf für die Krone ähnlich dem für die Kirche ein schwieriger ist. Er bleibt stehen und schaut die Kirche an, als wolle er sie mit neuen Augen betrachten und sagt: „Ich mag es, wie ordentlich das ganze Arrangement drumherum geworden ist.“ Dann läuft der Prinz weiter.

Im Gemeindehaus gegenüber plaudert der Prinz mit einer Dame, die mithilfe der Kirchenbücher den Stammbaum ihrer Familie recherchiert. Bis zu 400 Jahre zurück reichen die handschriftlichen Aufzeichnungen, „da habe ich ja Glück, dass es bei mir so gut dokumentiert ist – zumindest von der einen Seite“, sagt Preußen. Die Dame lächelt, wissend, die Leute im Ort kennen natürlich den blaublütigen Hintergrund ihres Pfarrers. Von der einen Seite – was wie eine beiläufige Bemerkung Preußens klingt, begründet das Kerntrauma seiner Jugend.

Sein Vater, Kronprinz Friedrich Wilhelm, heiratete eine Bürgerliche und wurde dafür enterbt. Die Ehe ging in die Brüche und der Prinz, der pro forma noch einer war, aber von den Hohenzollern nicht akzeptiert wurde, wuchs bei der Mutter im schleswig-holsteinischen Plön auf. „Es war schmerzhaft, nicht anerkannt zu werden, gleichzeitig empfinde ich es als Glück, diese Lebensschule durchlaufen zu haben. Standesdünkel ist mir fremd“, sagt Preußen. Mit fünf Jahren klärte seine Mutter ihn über seine besondere Herkunft auf, die für den kleinen Jungen zu einer Belastung wurde.

Mitschüler hänselten den kleinen Prinzen, „sie ließen mich spüren, dass mein Leben nicht zu meinem Namen passte“. So hatte er nicht nur keinen Vater und keine Brüder, sondern auch keinen besten Freund, entwickelte sich zunehmend zu einem schüchternen, zurückgezogenen Schüler. Auch offene Anfeindungen gab es, eine Lehrerin ließ einmal die ganze Klasse einen Aufsatz schreiben, in dem Philip Kirill verunglimpft wurde. Nur der Zuspruch des Vaters eines Mitschülers machte es möglich, dass die Lehrerin versetzt wurde. Mit 16 verbrachte der Prinz ein Jahr an einer Schule in einer US-amerikanischen Kleinstadt in Minnesota, es gefiel ihm dort, weil er nicht auffiel. Vielmehr interessierte seine Familiengeschichte einige Mitschüler, zum ersten Mal löste sich der Druck.

Zurück in Deutschland, integrierte sich Philip Kirill zunehmend in die evangelische Gemeinde, bei den Freizeiten und den Gottesdiensten suchte er nach Antworten. „Ich hatte immer viele Fragen, doch zunächst schien die ganze Sache mit Gott etwas abstrakt. Doch dann begriff ich: Gott meint mich persönlich“, sagt der Prinz. Den Enthusiasmus, mit dem er heute das verschlafene Zehdenick für Gott und Jesus zu begeistern versucht, hatte Preußen nicht von Beginn an, es war eine langsame Entwicklung hinein in die kirchlichen Strukturen.

Er entschied sich zunächst für ein Jurastudium, wie auch seine Mutter das einmal gemacht hatte. Sie wechselte jedoch zur Pharmazeutik, weil ihr dieses Feld einträglicher erschien und zugleich mehr Zeit für die Familie versprach. Auch Philip Kirill hielt es nur vier Semester aus, „ich hatte das Gefühl, durch meinen Glauben neu geboren worden zu sein, dem musste ich Rechnung tragen“, sagt er. Die Mutter war bestürzt über seine Entscheidung, Grundschullehrer zu werden, sie fürchtete, der stets so gute Schüler werde nun unterfordert und unter seinen Möglichkeiten bleiben. Diesmal zog der Prinz sein Studium durch – um danach auch noch im Eiltempo Theologie zu studieren. „Ich habe geheiratet und wir bekamen die Kinder eines nach dem anderen, ich musste dann für meine Familie sorgen“, sagt er, mittlerweile Vater von sechs Kindern. Doch nicht nur seine Studien änderten sich, mit zunehmenden Alter lernte der Prinz aufgrund seines sozialen Engagements nicht nur immer mehr Adelige kennen, also jene Kreise, die ihn so lange abgelehnt hatten. Er traf auch Menschen, denen Kaisertum und Adel sympathisch waren. „Es ist ja auch kurios. Adelshochzeiten im Ausland finden viele Deutsche toll, aber bei uns darf es das nicht geben“, sagt er. Als Grund für diesen Umstand nennt er das „emotionale Wertevakuum“, unter dem die deutsche Gesellschaft leide.

Eben jenes Vakuum könnte seiner Ansicht nach ein König an Stelle eines Präsidenten ausfüllen. Philip Kirill schwenkt energisch den Kopf, nein, es gehe nicht um Wulff oder Gauck, auf den er sich übrigens durchaus freue. Es gehe darum, dass nur ein Monarch die „Herzensebene“ der Menschen erreichen könne, deshalb sei eine parlamentarische Monarchie, wie sie in Schweden oder England funktioniere, auch für Deutschland am besten. Ob er selbst auf den Thron steigen würde, wenn noch einer zu besetzen wäre? „Darum geht es nicht“, sagt Preußen, „aber wenn es – rein theoretisch – eine solche Aufgabe gäbe, würde ich mich nicht verweigern.“ Preußen geht es um eine Politik, die nicht in Parteigrenzen verhaftet ist, schon während seines Studiums hatte er sich sowohl bei der Friedrich-Ebert- als auch bei der Adenauer-Stiftung beworben. Seine Überparteilichkeit ging so weit, dass er 2011 der Rechtsaußen-Wochenzeitung „Junge Freiheit“ ein Interview gab. „Ich würde auch dem Neuen Deutschland eines geben“, sagt er.

Den Prinzen drängt es jetzt weiter, auf die sauberen Straßen der Stadt, in der er noch so viel zu tun hat. In der Grundschule, die wie scheinbar alles in Zehdenick unweit der Kirche liegt, begrüßen ihn die Kinder fröhlich mit „Hallo Grizzly“. Er spiele mit ihnen nach dem Religionsunterricht immer Bärenjagd, erklärt der Prinz. Allerdings würde bei ihm nicht der Bär die Kinder jagen, sondern andersherum. So wird auch der Menschenjäger im Namen Gottes, der König von Deutschland hätte werden können, einmal zum selbst Gejagten.

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