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Prozess: Es geht nicht um Gefühle

Sie war ihm verfallen - doch er war nur auf ihr Geld aus. Am Montag beginnt der Prozess gegen den mutmaßlichen Erpresser und Heiratsschwindler der Unternehmerin Susanne Klatten.

„Ich habe häufig genug den Fehler gemacht, mich Menschen zu öffnen, die dieses Vertrauen nicht verdient haben. Dann wird man zum Opfer. Das ärgert einen. Das tut weh. Und ich frage mich hinterher: Wie konnte das passieren?“ So hat es Susanne Klatten, die reichste Frau Deutschlands, in einem Interview mit der „Financial Times Deutschland“ formuliert, nachdem sie bei der Polizei Strafanzeige gegen Helg S. gestellt hatte.

Dabei kann die Justiz allenfalls den kleineren Teil des – man muss auch an dieser Stelle sagen: mutmaßlichen – Betrugs sühnen. Jenen, der sich in Euro beziffern lässt. Für den Kern der Tat, für die verletzten Gefühle, für den Betrug an der Seele ist die Strafjustiz nicht zuständig. Liebesbetrüger sind nicht so selten. Offizielle Statistiken gibt es nicht, noch nicht einmal über Heiratsschwindler. Höchst unsichere Schätzungen sprechen von bis zu 10 000 Frauen, die jährlich Opfer von Liebesschwindlern werden. Die wenigsten Täter landen vor Gericht. Weil die wenigsten Opfer Anzeige erstatten.

Dieses Mal ist das Opfer prominent

Nur weil dieses Mal eines der Opfer so bekannt ist, erregt der am kommenden Montag vor dem Münchner Landgericht beginnende Prozess öffentliches Aufsehen. Die Unternehmerin Susanne Klatten, Tochter von Herbert Quandt, besitzt unter anderem Anteile an der BMW AG und am Chemiekonzern Altana. Susanne Klatten ist so bekannt, dass man sie, um den Fall begreifbar zu machen, beim Namen nennen muss, während der Angeklagte nach der Rechtsprechung inzwischen einen Anspruch darauf hat, anonym bleiben zu dürfen.

Der Schweizer Helg S., heute 44, soll, so beschreibt es die Anklage und so schildert es das Opfer, Susanne Klatten im Sommer 2007 im Wellnesshotel „Lanserhof“ nahe Innsbruck kennengelernt haben. Seine Versuche, eine Beziehung aufzubauen, scheitern zunächst. Im August soll es dann zu einem Treffen im Münchner Hotel „Holiday Inn“ gekommen sein, während dessen heimliche Videoaufnahmen von Intimitäten gemacht worden sein sollen. Helg S. soll sich als Sonderberater der Schweizer Regierung ausgegeben haben, der in Krisengebieten unterwegs sei. Wenige Tage danach soll sich der Liebesschwindler telefonisch bei Susanne Klatten gemeldet und behauptet haben, in den USA einen Verkehrsunfall verschuldet zu haben. Er benötige sieben Millionen Euro, um das querschnittsgelähmte Kind zu unterstützen. Klatten glaubt ihm; die Milliardärin übergibt ihm den gewünschten Betrag am 11. September in der Tiefgarage eines Hotels.

Im Oktober bricht Susanne Klatten die Beziehung zu Helg S. ab. Daraufhin soll der jetzt Angeklagte ihr zwei der heimlich aufgenommenen Video-Prints geschickt und von seinem Opfer 49 Millionen Euro gefordert haben. Sonst würde er die Videos an den Ehemann, an die Vorstände der Unternehmen, an denen Klatten beteiligt ist, und an die Presse schicken. Später soll er seine Forderung auf 14 Millionen reduziert haben. Susanne Klatten erstattet im Januar 2008 Strafanzeige; ihr Mann unterstützt sie dabei. In dem Interview sagt sie dazu später: „Das war ein Moment der Klarheit: Du bist jetzt Opfer und du musst dich wehren.“

Klatten ist nicht das einzige Opfer

Am 14. Januar 2008 wird Helg S. auf einem Autobahnrastplatz in Tirol verhaftet, als er auf die Übergabe der 14 Millionen Euro wartet. Bald wird sich herausstellen, dass Susanne Klatten nicht das einzige Opfer war. Allein in München werden drei weitere Betrugs- und Erpressungsfälle mitverhandelt. Eine Frau soll dem Liebesbetrüger 300 000 Euro gezahlt haben, eine andere 600 000. Ein weiteres Opfer weigerte sich zu zahlen. Helg S. ist in der Schweiz bereits wegen „Nötigung und Verletzung des Geheim- und Privatbereichs durch Aufnahmegeräte“ verurteilt. Eine weitere Anzeige wurde zurückgezogen. Andere Opfer sollen nach Medienberichten keine Anzeige erstattet haben.

Juristisch wird die vergebliche Forderung der 14 Millionen Euro in der Anklage als Erpressungsversuch gewertet. Das ist relativ klar. Die erfolgreiche „Bitte“ um die sieben Millionen wertet die Anklage als Betrug.

Ein Name taucht in der Anklageschrift nicht auf. Es ist der des Italieners Ernano B., der zunächst sogar als Drahtzieher galt. Dieser Verdacht ließ sich strafrechtlich offenbar nicht erhärten. Der 68-jährige Ernano B. wurde vor wenigen Tagen aus der italienischen Untersuchungshaft entlassen, obwohl er bei der Festnahme von Helg S. mit auf dem Autobahnparkplatz war und an dem Tag, als das Erpressungsvideo gefertigt wurde, das Zimmer neben dem von Helg S. gemietet hatte. Ursprünglich war vermutet worden, Ernano B. habe die erpresserische Videoaufzeichnung angefertigt. Der Mann ist ein Sektenguru, der nach Medienberichten einen bestimmenden Einfluss auf Helg S. gehabt haben und mithilfe seiner Anhängerschar reich geworden sein soll.

Stefan Geiger

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