zum Hauptinhalt

Psychologie: Jähzorn wie bei Jürgen Klopp gibt es häufig bei Männern

Dr. Jekyll und Mr. Hyde - wie kann ein sonst so positiv gestimmter Mann wie Jürgen Klopp, Trainer von Borussia Dortmund, eine solche wutgetriebene Fratze zeigen? Psychologen sagen, dass man Jähzorn bezwingen kann. Sehen Sie hier auch ein Video von dem Ausraster und ein Video mit seiner Entschuldigung.

Ein gut aussehender, gepflegter Herr im eleganten dunklen Anzug mit Weste, weißem Hemd und Krawatte. Plötzlich aufspringend, wild gestikulierend, laut schreiend, mit vor Wut verzerrten Gesichtszügen. Nach seinem denkwürdigen Ausraster gegenüber einem Schiedsrichter beim Champions-League-Spiel in Neapel wurde Jürgen Klopp, Trainer von Borussia Dortmund, von der Tribüne verbannt. Er hat später reumütig und glaubhaft um Entschuldigung gebeten.

Jähzornige Männer sind nach einem Ausraster fast immer reumütig und entschuldigen sich - wie es auch Jürgen Klopp getan hat

Aber es bleiben verstörende Bilder. Wie kann ein sonst so oft strahlender und charmanter Mann plötzlich eine so angsteinflößende Fratze bekommen? Eine Fratze, wie sie vermutlich nur eine monströse Urgewalt aus tiefster Seele hervorbringen kann? Fast fühlt man sich an die Verwandlung des Dr. Jekyll und Mr. Hyde erinnert.

Dass Menschen sich urplötzlich in brodelnde Vulkane verwandeln, kann überall passieren, im Straßenverkehr, am Arbeitsplatz und am familiären Esstisch. Es war wohl zu allen Zeiten weit verbreitet, und schon der Freiherr von Knigge hat dem Phänomen in seinem berühmten Buch über den Umgang mit Menschen ein Kapitel gewidmet.

Die Abgrenzung von Jähzorn zu "normalen" Wutausbrüchen ist schwierig

Glaubt man dem Psychotherapeuten Theodor Itten, der als Kind das Opfer eines cholerischen Onkels wurde und dem Thema vor einigen Jahren ein eigenes Buch widmete, dann ist Jähzorn sogar ausgesprochen häufig. Itten, der in Hamburg und St. Gallen praktiziert, hat für sein Buch „Jähzorn. Psychotherapeutische Antworten auf ein unberechenbares Gefühl“ rund 600 Schweizer auf der Straße und am Telefon befragt. Rund ein Viertel gab an, selbst schon Anfälle plötzlichen Zorns gehabt zu haben, rund ein Viertel berichtete, schon Opfer solcher Anfälle gewesen zu sein. Repräsentative Untersuchungen aus den USA und aus der Ukraine kommen allerdings auf deutlich niedrigere Zahlen: Vier bis sechs Prozent haben demzufolge selbst ab und an plötzliche Zornesausbrüche. Es kommt wohl darauf an, wo man die Grenze zum eher „normalen“ kleinen Wutausbruch zieht.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

In den USA kommt das Wutsyndrom als „Intermittent Explosive Disorder“ sogar als eigenes Störungsbild im Manual der psychischen Erkrankungen (DSM 5) vor. Als Kriterium gilt das Auftreten von Episoden, in denen man aggressiven Impulsen nicht widerstehen kann, teilweise gekoppelt mit tätlichen Angriffen auf Personen oder Sachen.

So weit kommt es glücklicherweise längst nicht bei jedem plötzlichen Wutanfall. Charakteristisch für das, was Psychologen und Psychiater als Störungen der Affekt- und Impulskontrolle bezeichnen, ist aber, dass spontan aufkommende, aus der Situation heraus oft höchst verständliche Gefühle nicht schnell und effektiv genug von den kognitiven Instanzen im menschlichen Gehirn im Zaum gehalten werden können. Dass körperliche Erscheinungen wie starkes Schwitzen damit einhergehen. Dass es häufig gekoppelt ist mit einem Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS). Nicht zuletzt aber, dass den Zornigen ihr Ausflippen später unangenehm ist und sie ihre Opfer um Verzeihung bitten.

Der spontane Eindruck, dass das häufiger Männern passiert, trügt nicht, er wird durch Studien belegt. „Dass Männer in einer solchen Situation häufiger körperlich sichtbar wütend werden oder sogar tätlich werden, hat auch mit hormonellen Unterschieden zu tun“, sagt Isabella Heuser, Direktorin der Klinik für Psychiatrie der Charité. Frauen lenkten ihre Gefühle der Wut eher nach innen, seien deshalb stärker gefährdet, depressiv zu werden. Testosteron hin oder her, ganz wichtig sei für den Umgang mit Aggressionen aber auch die frühe Prägung, sagt Heuser. Sie kann mit dazu beitragen, wie gut Hemmungsareale im Gehirn ausreifen.

Es kommt für Betroffenen wie Jürgen Klopp darauf an, die Situation in einem anderen Licht zu sehen

Das heißt aber nicht, dass man sich als Erwachsener damit abfinden müsste, ab und zu einen denkwürdigen Anfall von Jähzorn zu bekommen. „Psychotherapeutische Strategien haben hier hervorragende Erfolge“, berichtet Heuser. Die erste Empfehlung: Abstand gewinnen zum unangenehmen Gefühl. „Es hilft durchaus, erst einmal bis zehn zu zählen.“ Derweil dürfe man sich durchaus vorstellen, was man dem anderen gern ins Gesicht schleudern würde – und es dann bei der Fantasie belassen. Zur kognitiven Verhaltenstherapie gehört es zudem, langfristig das eigene Denken umzustrukturieren, die brenzligen Situationen also in einem anderen Licht zu sehen.

Das Problem anzugehen lohne sich, meint die Psychiaterin und Psychotherapeutin, schon weil das soziale Umfeld eines Menschen auf die Dauer auf die wiederkehrenden plötzlichen Explosionen eines Menschen entnervt reagiere. Auch wenn der prominent und beliebt ist, sich allseits entschuldigt, danach wieder charmant und freundlich wirkt und alle die Panne für eine Weile vergessen lässt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false