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New Yorker Feuerwehrleute salutieren vor einem Krankenwagen, in dem einer der getöteten Polizisten transportiert wird.

© reuters

Update

Rache für Polizeigewalt?: Zwei Polizisten in New York mit Kopfschüssen getötet

Seit Wochen ziehen Amerikaner gegen übermäßige Polizeigewalt auf die Straße. Jetzt droht der Mord an zwei Ordnungshütern ihre Kampagne in Verruf zu bringen. Auch New Yorks Bürgermeister gerät in Bedrängnis. Dabei ist nicht endgültig geklärt, ob es sich wirklich um Rache handelt.

Von Andreas Oswald

Die beiden Polizisten Wenjian Liu und Rafael Ramos hielten gerade mit ihrem Streifenwagen im Schatten eines Hauses in Bedford-Stuyvesant, einem Szeneviertel in Brooklyn, als der 28 Jahre alte Ismaaiyl Brinsley sich vor die Beifahrertür stellte und durch das geschlossene Beifahrerfenster das Feuer eröffnete. Mehrere Salven feuerte der Täter ab, die beiden Polizisten wurden mehrfach am Kopf und am Oberkörper getroffen und starben. Keiner der Polizisten schaffte es, noch die eigene Waffe zu ziehen. Es war ein Überraschungsangriff, bei dem die beiden Opfer nicht die geringste Chance hatten. Der Täter flüchtete in eine U-Bahnstation und erschoss sich mit derselben Waffe, mit der er die Polizisten getötet hatte.

Der Angriff schockiert die USA. Der Täter war Afroamerikaner, der vor der Tat in einem sozialen Netzwerk angekündigt hatte, er wolle Polizisten töten. Außerdem äußerte er Wut über die Fälle Eric Garner und Michael Brown, den beiden Schwarzen, deren Tod durch Polizeigewalt das Land seit Wochen in Atem hält.

Ist die Tötung der Polizisten ein Racheakt gegen mutmaßlich rassistische weiße Polizeigewalt gegen Schwarze? Droht eine Eskalation? Erste Reaktionen der Polizei lassen erkennen, dass der Doppelmord die Kluft zwischen New Yorks Ordnungshütern und dem Bürgermeister der Millionenmetropole vertieft hat. Der Neuling im Rathaus, Bill de Blasio, hatte nach Garners Erstickungstod, wahrscheinlich durch den Würgegriff eines New Yorker Polizisten, strikte Reformen angekündigt. So sollen Beamte jetzt Kameras an der Uniform tragen, um bei ihren Einsätzen überwacht und später möglicherweise zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Die Polizeigewerkschaft gibt dem Bürgermeister Bill de Blasio die Schuld

„Heute Nacht klebt an vielen Händen Blut“, erklärte der Präsident der Polizeigewerkschaft, Patrick Lynch, nach dem Attentat. „Das Blut geht von den Stufen des Rathauses aus, vom Büro unseres Bürgermeisters.“ In Videos ist zu sehen, wie Dutzende Mitglieder der Gewerkschaft dem Stadtoberen vor dessen Pressekonferenz in Brooklyn demonstrativ den Rücken zuwenden. De Blasio, der mit einer Afroamerikanerin verheiratet ist und zwei Kinder hat, hatte kürzlich zugegeben, dass er seinen eigenen Sohn zur Vorsicht vor der Polizei geraten habe.

Sein Geständnis wurde von einigen Gewerkschaftlern als Aufruf zur Furcht vor New Yorks Ordnungshütern interpretiert. Dabei brüstet sich die Polizei mit dem Erfolg des härteren Durchgreifens. 2014 gab es bisher 300 Opfer von Mord und Totschlag. Das sei der niedrigste Stand seit mehr als 20 Jahren, rechnete die „New York Times“ am Sonntag vor.

Der Präsident des Stadtbezirks Brooklyn, Eric Adams, äußerte gegenüber dem Blatt seine Sorge, dass der Anschlag auf die beiden Beamten die Kampagne gegen Polizeigewalt beflecken werde. „Es ist furchtbar, absichtlich einen Polizisten zu erschießen. Das ist die falsche Botschaft“, klagte Adams. „Und es ist alles andere als das, was diejenigen im Sinn haben, die über Reform sprechen.“

Die Behörden versuchen fieberhaft, die Tat und ihre Vorgeschichte zu untersuchen. Nach Angaben der „New York Times“ stellte sich dabei heraus, dass Ismaaiyl Brinsley einige Zeit zuvor in Baltimore County im US-Bundesstaat Maryland seine Ex-Freundin niederschoss. Sie wurde im Magen getroffen und hat den Angriff überlebt. Im Anschluss an diese erste Tat verbreitete er über den Instagram Account seiner Ex-Freundin Hasstiraden gegen die Polizei. Fahnder verfolgten diese Aktivität und fanden heraus, dass der Täter inzwischen von Brooklyn aus seine Botschaften verbreitete. Um 14.10 Uhr Ortszeit riefen die Fahnder im 70. Polizeirevier von New York an und warnten vor einem gefährlichen Mann in Brooklyn. Um 14.45 Uhr gaben die Polizeibehörden von Baltimore County eine umfassende Warnung an ihre New Yorker Kollegen heraus, mit einem Foto des mutmaßlichen Täters. Zu spät. Genau zu diesem Zeitpunkt trat Ismaaiyl Brinsley an den Streifenwagen heran und eröffnete mit einer halbautomatischen Waffe das Feuer auf die hellhäutigen Polizisten, von denen einer asiatischstämmig und der andere ein Latino ist.

US-Präsident Barack Obama meldete sich aus seinem Weihnachtsurlaub in Hawaii: „Die Beamten, die unseren Gemeinden dienen und sie beschützen, riskieren für uns jeden Tag ihre Sicherheit.“ Dafür verdienten sie Respekt und Dankbarkeit. New Yorks Polizeichef William Bratton sagte: „Ihre Uniform und ihre Aufgabe, für die Sicherheit der Menschen in dieser Stadt zu sorgen, machte sie zur Zielscheibe.“ De Blasio verglich das Attentat mit einer „Exekution“.

"Klarheit in dem Wahnsinn schaffen"

Es war zunächst nicht eindeutig klar, ob die Tat im Zusammenhang mit den jüngsten Protesten gegen Polizeigewalt in den USA steht.  Aufschluss über das genaue Motiv müssten die  Untersuchungen liefern, betonte Bratton. Seinen Schilderungen zufolge ist vor allem nicht geklärt, ob der Täter schon vor den Schüssen auf seine ehemalige Freundin vorhatte, Polizisten zu töten, oder ob er diesen Entschluss erst nach dieser Tat in einer Art Blutrausch fasste. Vor allem müsste untersucht werden, ob er zuvor an Protesten gegen Polizeigewalt teilgenommen hat. Erste Untersuchungen ergaben offenbar, dass er dies nicht tat. Es könnte daher sein, dass es sich um eine Art Amoklauf handelte, dessen Ursache privater Natur ist.

Die „New York Times“ zitiert den Polizeichef mit den Worten: „Die Ermittler fügen jetzt die Einzelteile an Vorgängen und Motiven zusammen, um Klarheit in dem Wahnsinn zu schaffen, der sich heute in den Straßen von Brooklyn ereignet hat.“ (mit dpa)

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