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Panorama: "Rachsucht": Der mörderische Prinz

Die einst ausufernden Diskussionen über die Unterschiede zwischen E- und U-Literatur sind in letzter Zeit aus der Mode gekommen. Wer heute immer noch mit diesen derart antiquierten Kategorien operiert, macht sich unweigerlich des intellektuellen Snobismus verdächtig, und überhaupt hat so einer nicht begriffen, dass man heutzutage in Sachen Rezeption mit allgemeiner E-U-Phorie am besten fährt.

Die einst ausufernden Diskussionen über die Unterschiede zwischen E- und U-Literatur sind in letzter Zeit aus der Mode gekommen. Wer heute immer noch mit diesen derart antiquierten Kategorien operiert, macht sich unweigerlich des intellektuellen Snobismus verdächtig, und überhaupt hat so einer nicht begriffen, dass man heutzutage in Sachen Rezeption mit allgemeiner E-U-Phorie am besten fährt.

Da auch die Frage "Krimi oder nicht Krimi" eine heikle ist, wollen wir sie im Fall von René Appel und seinem neuen Roman gar nicht erst stellen. Fest steht nur, dass der niederländische Autor hierzulande mit Krimis bekannt geworden ist und sein neues, bei Nagel & Kimche erschienes Buch "Rachsucht" ebenfalls Elemente dieser Gattung aufweist. Es treten Kriminelle darin auf und Kommissare, wobei die Ersteren den Letzteren eindeutig die Show stehlen. Das Buch handelt von einer Liebe, die zum Alptraum wird. Die Hauptrollen spielen Manon und Roy, zwei Amsterdamer Jugendliche, die sich über die Tristesse ihres Durchschnittsdaseins mit Disco-Lärm und Dosenbier hinwegzutrösten versuchen und ihre Wunder und Wertvorstellungen aus Soapoperas beziehen.

Am Anfang läuft eigentlich alles prächtig. Roy und Manon ziehen zusammen. Manon ist glücklich, dem Kleinbürgermief der elterlichen Stube entkommen zu sein, um sich bei Roy dann selber als Hausmütterchen zu gebärden. Das freut wiederum den Möchtegern-Rebellen Roy, der sich gerne die Socken wäschen lässt, während er für die Finanzen sorgt.

Womit genau er Geld verdient, verrät Roy seiner Manon nicht, denn es würde ihr nicht gefallen: Er klaut Autos. Dies allein wäre noch kein Problem, würde Roy nicht einen Auftrag vermasseln und bei seinem Chef plötzlich sehr viele Schulden haben. Aus lauter Geldnot bringt er jemanden um, Manon allerdings merkt es und verrät ihn, er wird verhaftet, kommt mangels Beweisen wieder frei und hat fortan nur noch eines im Sinn: Rache.

Es geht hier also nicht um die Aufklärung eines Verbrechens, sondern um dessen Verlauf und die Folgen - eine Variante, deren sich mitunter auch ambitioniertere Fernsehkrimis bedienen. Diese Form funktioniert natürlich nur, wenn die Psychologie und das Umfeld des Täters glaubwürdig genug dargestellt werden. René Appel beschränkt sich klugerweise auf wenige Figuren und zeichnet diese dafür umso präziser. Das Porträt Manons, die in naiver Romantik ihren Traumprinzen-Roy anhimmelt und plötzlich neben einem Mörder erwacht, ist ebenso gelungen wie das des mörderischen Prinzen selber.

Roy könnte einem Lehrbuch für Sozialarbeiter entstiegen sein und wirkt trotzdem nicht hölzern, weil Appel ihn mit einem Geruch, einem Gang ausstattet, ihn zu einem Menschen macht. Appel zeigt, wie eine Schwärmerei zwischen Teenagern sich in tödliche Leidenschaft verwandelt, er demonstriert am Beispiel der verzweifelt verliebten Manon, was das Wort "Gewissensbisse" wirklich bedeutet. Dabei gelingt es ihm, von wenigen Durchhängern abgesehen, die Spannung bis zum Schluss aufrecht zu erhalten.

"Rachsucht" ist eine sauber erzählte Geschichte, ohne metaphysischen Tiefsinn, ohne poetische Höhenflüge. Gut gemachte Unterhaltungsliteratur möchte man sagen, wagt es aber nicht, und erklärt deshalb: Suspense für Fortgeschrittene.

Sacha Verna

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