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Randale: Gewalt in Pariser Vororten weitet sich aus

Die seit Tagen andauernde Welle der Gewalt in den Vorstädten von Paris hat weiter zugenommen. In der vergangenen Nacht registrierte die Polizei mehr als 150 Brandstiftungen. Ein Ende der Gewalt ist nicht abzusehen.

Paris - «Ein Funke reicht aus, und das ganze Viertel explodiert in unkontrollierter Gewalt», sagt ein Polizist in Clichy-sous-Bois nordöstlich von Paris. Dort hatte die Welle der Randale mit brennenden Autos und Straßenschlachten vor fast einer Woche begonnen, die inzwischen die Problemviertel im Norden und Nordosten der Hauptstadt erreicht hat. In diesen heruntergekommenen Wohngebieten, wo zum Teil 80 Prozent Muslime leben, wo die Arbeitslosigkeit grassiert und wo auf offener Straße mit Drogen gehandelt wird, scheinen andere Gesetze zu gelten.

Vermummte Jugendliche lassen sich von Polizisten in Furcht erregender schwarzer Kampfausrüstung nicht einschüchtern. Sie werfen mit Steinen und Molotow-Cocktails, laufen dann in alle Richtungen davon, um sich einige Straßen weiter neu zu sammeln. Bilder brennender Autos im Fernsehen heizen die Stimmung an, und die anrückende Polizei wirkt auf die kampfbereiten Jugendbanden wie ein rotes Tuch. «Wir haben es satt, von Polizisten wie Dreck behandelt zu werden», zitiert die Tageszeitung «Le Parisien» (Mittwochsausgabe) einen Jugendlichen aus Bondy.

Sie fühlen sich als Opfer und Ausgestoßene der Gesellschaft, und der überaus energische Innenminister Nicolas Sarkozy hat mit seinen ordnungspolitischen Parolen Öl in das Feuer gegossen. In den Problemvierteln gilt Sarkozy schon seit langem als «Minister der Unterdrückung». Auf jeden Fall hat sich der Anwärter auf das Präsidentenamt 2007 ins politische Abseits manövriert. Seine Forderung, die Vorstädte vom «Gesindel» zu befreien und mit einem «Hochdruckreiniger» zu säubern, sind auch innerhalb der konservativen Regierung auf Kritik gestoßen. Der Minister für Chancengleichheit Azouz Begag, der als einziger der Ministerrunde selbst aus einer unruhigen Vorstadt von Lyon stammt, hat Sarkozy «kriegerische Worte» vorgeworfen. «Nötig ist eine Beruhigung, um die Situation nicht weiter verschärfen», sagte der Minister.

Premierminister Dominique de Villepin hat die Gelegenheit ergriffen, sich in dieser Situation als Vermittler besänftigend in den Vordergrund zu spielen. Ihm dürfte diese Zurechtweisung seines schärfsten Rivalen für die Präsidentenwahl nicht ungelegen kommen. «Sarkozy brennt sich die Flügel in den Problemvierteln an», höhnte die satirische Zeitung «Le Carnard enchaîné» (Mittwochsausgabe). Die Familien der beiden verstorbenen Jugendlichen aus Clichy-sous-Bois, deren Tod durch Stromschläge in einem Transformator am vergangenen Donnerstag die Unruhen ausgelöst hatten, haben ein Treffen mit Sarkozy abgelehnt. Stattdessen trafen sie sich mit Villepin, der für eine Rückkehr zu Ruhe und Ordnung plädierte und Aufklärung des Todesumstände versprach.

Politiker aller Parteien beklagen immer wieder, dass Brandstiftungen und Randale in den tristen Vierteln an den Stadträndern ein seit Jahrzehnten ungelöstes Problem ist, das je nach politischer Großwetterlage totgeschwiegen oder angeprangert wird. Jede Nacht, so eine Schätzung der Tageszeitung «Le Monde», brennen irgendwo im Land etwa 30 Autos ab. Und über die Hintergründe herrscht auch seit langer Zeit Klarheit: «Wirkliche Integration, das bedeutet, dass jeder eine Arbeit finden und sich eine Wohnung leisten kann. Sonst geht die Randale bald irgendwo anders wieder los», sagt der Sozialarbeiter André Decroix. (tso/dpa)

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