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Panorama: Rattlesnakejagd: Einmal Klapperschlange, gut durch, bitte

Die verschlafene Kleinstadt Sweetwater liegt im weiten, kargen Westen von Texas. Ihre rund 12 000 Einwohner leben von Landwirtschaft und Kleinindustrie.

Die verschlafene Kleinstadt Sweetwater liegt im weiten, kargen Westen von Texas. Ihre rund 12 000 Einwohner leben von Landwirtschaft und Kleinindustrie. Die Sommer sind brütend heiß und lang, im Winter weht ein eiskalter Wind von Norden her über die Prärie. Einmal im Jahr jedoch endet der Dornröschenschlaf von Sweetwater mit einem Paukenschlag. Jeden März kommen rund 20 000 Besucher zum Rattlesnake-Festival, denn Sweetwater ist die Klapperschlangen-Hauptstadt der Welt. Hier werden im Frühjahr Tausende von Schlangen gefangen.

Rattlesnakejagd im amerikanischen Westen, das ist für neugierige Besucher ein Erlebnis, für viele Einheimische jedoch ein ganz normales Hobby. Die Texaner Brent Howard und Brent Burnett fangen seit ihrer Kindheit Klapperschlangen. Natürlich auch im Jahr 2001. Am Rande eines kleinen Canyons halten die Jäger und laden die Ausrüstung von ihrem Pickup: Greifeisen, Spiegel, Benzinkanister, eine Holzkiste und die unentbehrliche Kühlbox mit den Bierflaschen. Die beiden klettern über den Rand der Schlucht. Unter den Felsen vermuten sie ein Nest, denn Klapperschlangen nisten gern unter Überhängen.

Die Männer reflektieren mit einem Spiegel Sonnenlicht unter den Felsüberhang. Dann signalisieren sie: Schlange! Mit einem Mal sind die beiden wachsam. Aus einem Kanister sprühen sie mit einer feinen Düse Bezinwolken unter den Felsen. Klapperschlangen hassen den Geruch. Alle blicken auf den Felsen. Dann kommt die Schlange heraus. Die Männer packen den Rattler blitzschnell mit Greifeisen. Es ist eine mittelgroße Schlange, die ärgerlich klappert. Die Jäger haben sie dicht hinter dem Kopf gepackt. Der Rattler wandert in ihre Holzkiste. Jagd erfolgreich, ein Grund für eine weitere Runde Bier.

In der Festhalle von Sweetwater ist unterdessen das Fest in vollem Gange. Hunderte von Besuchern drängen sich um die Schlangengrube, die Ausstellungstische und die Hamburgerstände. Die Luft ist erfüllt vom Schnarren und vom beißenden Gestank der Reptilien. Dies ist das Volksfest des Jahres für die ganze Region. Man trinkt, feiert und tanzt. Rund um die Stadthalle erstreckt sich ein Heerlager von Zelten und Campingwagen. Dazwischen brutzelt unter freiem Himmel Fleisch auf unzähligen Grills. Es gibt Flohmärkte und eine Schusswaffenbörse. Und jedes Jahr wieder wird ein Mädchen aus Sweetwater zur "Miss Snake Charmer" gekürt.

In diesem Jahr wurden für das Festival mehr als 2000 Schlangen gefangen. In der Festhalle gehen die Rattlesnakes unter den Augen der Bevölkerung ihren letzten Weg. Sie werden einzeln gemessen und gewogen. An der nächsten Station wird ihnen das Gift abgezapft, für Medizin und Forschung. Männer in weißen Kitteln handhaben die Reptilien mit schnellen und geübten Griffen. Am letzten Tisch, vor dem sich die Menge drängt, werden die Schlangen geköpft und gehäutet. Aus der Haut entstehen Handtaschen und Gürtel. Das Fleisch wird verkauft oder gleich hier in der Festhalle gebraten. Denn Rattlesnake ist für Kenner eine Delikatesse.

Klapperschlangen greifen übrigens nur an, wenn sie bedroht werden. Man muss buchstäblich auf sie treten, denn sie gehen Ärger lieber aus dem Weg. Und die Schlange kann auch nur über eine Strecke zuschlagen, die etwa der halben Länge ihres Körpers entspricht. Ihrer Ausrottung entkommen die Schlangen vor allem, weil sie hoch spezialisiert sind. Sie sind Meister der Tarnung, und die Weibchen haben jährlich bis zu 15 Junge. Und wenn die Klapperschlange ihre langen Giftzähne verliert, ist innerhalb von Stunden ein zweites Zahnpaar bissbereit. Geht auch dieses verloren, wachsen in zwei bis drei Tagen neue Zähne nach.

Die Bewohner von Sweetwater scheinen eine Art Hassliebe zu den Reptilien zu pflegen. Sie jagen sie, aber widmen ihnen ein ganzes Festival. Die Rancher wissen auch, dass es Unfug wäre, die Klapperschlangen ganz auszurotten. Denn die Reptilien halten zum Beispiel Baumwollfelder und Gemüseplantagen frei von Ungeziefer. Fest steht: Die Schlangen vermehren sich so schnell, dass die Texaner in jedem Frühjahr wieder Tausende von ihnen fangen können.

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