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Ungebremste Abholzung. Die Vernichtung des Amazonas-Regenwaldes hat sich in den vergangenen Jahren wieder beschleunigt.

© Werner Rudhart/p-a/dpa

Regenwald-Rodungen im Amazonas: Kinder siegen vor Gericht gegen den kolumbianischen Staat

25 Kinder und Jugendliche haben die Regierung Kolumbiens verklagt, da der Staat nichts gegen den Klimawandel unternehme. Das Gericht gab ihnen Recht und forderte einen Stopp der Rodungen im Amazonas.

Der Fall war außergewöhnlich: 25 Kinder und Jugendliche hatten den kolumbianischen Staat verklagt, weil er nichts gegen die massive Abholzung des Regenwaldes unternimmt. Die Zerstörung der Natur, so argumentierten die jungen Leute, beeinträchtige durch den Treibhauseffekt ihr Recht auf Leben und Gesundheit in massiver Weise. Das Oberste Gericht Kolumbiens gab ihnen in der vergangenen Woche – überraschend – recht. Es war ein historisches Urteil: Im ersten Umweltprozess gegen einen lateinamerikanischen Staat wurde die Amazonas-Region als juristische Person anerkannt, das heißt, wie ein Mensch oder ein Unternehmen behandelt. Wer ihr Schaden zufügt, muss künftig mit Strafe rechnen.

Agrarflächen fressen sich immer weiter in den Regenwald

Das Amazonasbecken ist Schauplatz unzähliger Umweltsünden. Die Agrarflächen fressen sich jedes Jahr ein Stückchen weiter in den Wald hinein, Platz für Plantagen und Viehzucht wird ohne Rücksicht geschaffen. Der Amazonas- Fluss wird durch illegale Goldminen vergiftet, aber auch legale Bergbau- und Ölprojekte dringen immer weiter vor. Parallel dazu konzentriert sich in der Region ein wesentlicher Anteil der weltweiten Kokaproduktion. Das Amazonasbecken erstreckt sich über sieben Millionen Quadratkilometer auf den Territorien von acht Ländern. Der Großteil ist nach wie vor nur per Flugzeug, Boot oder gar nicht erreichbar. Straßen gibt es kaum. Hier leben indigene Völker, die kaum Kontakt zur übrigen Welt haben. Etwa ein Zehntel aller weltweit bekannten Tier- und Pflanzenarten sind im Einzugsgebiet des Flusses heimisch.

Abholzung soll bis 2020 komplett gestoppt werden

Das Gericht forderte den kolumbianischen Staat dazu auf, bis September dieses Jahres einen Aktionsplan vorzulegen, um die Abholzung bis 2020 komplett zu stoppen. Das ist auch das Ziel, auf das sich Kolumbien beim Pariser Klimagipfel 2015 verpflichtet hatte.

Der Wald wird oftmals einfach niedergebrannt.
Der Wald wird oftmals einfach niedergebrannt.

© Marcelo Sayao/p-a/dpa

Kolumbien ist eines der Länder, die am stärksten von den Folgen des Klimawandels betroffen sind. Die Bewahrung der verbliebenen Waldfläche, der grünen Lunge des Planeten, gilt als entscheidend für den Kampf gegen die globale Erwärmung. Die bisher ergriffenen Maßnahmen seien jedoch nicht ausreichend, betonte das Oberste Gericht in seiner Entscheidung. Im Gegenteil: In den vergangenen Jahren beschleunigte sich die Abholzung dramatisch. Allein 2016, neuere Zahlen liegen nicht vor, wurden in Kolumbien fast 2000 Quadratkilometer Regenwald gerodet, davon 700 Quadratkilometer im Amazonasbecken. Das entsprach einer Steigerung von 44 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Regenwald gilt als essentiell im Kampf gegen den Klimawandel

Experten gehen davon aus, dass die Rodungsflächen 2017 noch einmal größer wurden. Das Gericht führt in seiner Urteilsbegründung aus, es gebe keine ausreichenden Studien über die Ausmaße der Abholzungen, Umweltzerstörungen würden nicht bestraft, selbst in den Nationalparks werde Holz illegal abgeholzt.

„Die Rechnung ist einfach: Wenn wir den Amazonasregenwald nicht bewahren, verlieren wir den Kampf gegen den Klimawandel“, sagt Analiz Vergara von WWF Kolumbien, und ergänzt: „Der Regenwald im Amazonas ist eine der größten Kohlenstoffreserven der Welt. Wenn die Bäume abgeholzt werden, werden Millionen Tonnen Kohlenstoff freigesetzt – was den Klimawandel deutlich verschärfen würde.“

Etwa ein Fünftel des Regenwaldes wurde bereits abgeholzt

In den vergangenen 50 Jahren wurden etwa 17 Prozent der Gesamtfläche des Regenwaldes im Amazonasbecken abgeholzt. Kolumbien hat nur einen Anteil von etwa sieben Prozent an der Gesamtfläche des Amazonas. Für die übrigen Länder aber hat das Urteil keine Auswirkungen. In Ecuador etwa plant die Regierung aktuell, große Teile des Waldes für den Öl-und Bergbau freizugeben. In Brasilien ist die Situation noch dramatischer: Nachdem die Rodungen bis 2012 stark zurückgingen, kehrte sich ab 2013 der Trend wieder um. 2016 wurden etwa 8000 Quadratkilometer Regenwald vernichtet, die Rodungen nahmen um 30 Prozent zu. Seit Amtsantritt von Präsident Michel Temer Mitte 2016 wurden mehrere Schutzgebiete teils drastisch verkleinert und die Umweltausgaben des Landes auf die Hälfte zusammengestrichen. Nun soll auch das Verbot, Regenwald für Zuckerrohrplantagen zu roden, fallen. In den übrigen Amazonas-Staaten sieht es kaum besser aus.

Auch in Kolumbien wird es nicht leicht, die Forderung des Gerichts umzusetzen. Im Land fanden bis vor Kurzem bewaffnete Konflikte statt. Viele Gebiete kontrollierte die Farc-Guerilla – was ihre Umwelt aber auch rettete, meinen Experten. „Die Farc war in vielen Teilen Kolumbiens die Umweltautorität“, meinte etwa der Umweltexperte Julio Carrizosa kürzlich im Interview mit der Tageszeitung „El Tiempo“. Durch den Friedensprozess änderte sich nun die Lage. Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet 2016, im Jahr des Friedensabkommens zwischen Farc und kolumbianischer Regierung, die Rodungen wieder massiv zunahmen. In den Farc-Gebieten waren Rodungen streng sanktioniert, multinationale Unternehmen wagten sich aus Sicherheitsgründen nicht in die Region. Kriminelle Banden nutzen nun das Machtvakuum und treiben den Koka-Anbau massiv voran.

Kinder sollen nun an Aktionsplan beteiligt werden

Umweltschützer sind besorgt und betonen dennoch, die Strategie zur Bewahrung des Waldes dürfe nicht auf Angst beruhen. Da könnte das Urteil des Obersten Gerichtes zur rechten Zeit kommen: Es verpflichtet den Staat nicht nur zu schärferen Sanktionen, sondern auch zu pädagogischen Maßnahmen, um die Umweltzerstörung zu verhindern.

Alle Maßnahmen sollen in Zusammenarbeit mit den 25 jungen Klägern geplant werden. Auch das war eine ihrer Forderungen: „Wir sind diejenigen, die von den Auswirkungen des Klimawandels am meisten betroffen sein werden“, schrieben die Kinder und Jugendlichen in ihrer Klageschrift, „aber auch die, die am wenigsten Einfluss darauf nehmen können.“ Nun haben sie die Möglichkeit, über ihre Zukunft aktiv mit zu entscheiden. Und die Zeit drängt.

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