zum Hauptinhalt
Glaubenssache. Welcher Religion ein Mensch angehört, sollte heute keine Rolle mehr spielen. Oder doch? Foto: PA /Godong (2), Montage: Riethmüller

© picture-alliance / Godong

Religionen: Kaum zu glauben

Unsere Autorin, Jüdin, hat sich in einen Katholiken verliebt. Jetzt kommen ihr leise Zweifel. Kann eine Beziehung funktionieren, in der die Partner verschiedenen Religion angehören?

Es läuft alles gut, man versteht sich blind, hat die gleichen Ansichten und Interessen und will ohne den anderen gar nicht mehr sein. Bis er ihr aus heiterem Himmel die Frage stellt: „Möchtest du mich zur Taufe meines Cousins begleiten?“ Hm. Möchte sie? Schwer zu sagen. Eigentlich könnte sie als Jüdin auf einen Kirchenbesuch gut verzichten. Spätestens jetzt fällt beiden wieder ein, dass sie nicht derselben Religion angehören und dass dieser Umstand den einen oder anderen Konflikt mit sich bringt.

Es ist das Jahr 2011, die Menschen sind vermeintlich aufgeschlossen, die Konfession einer Person ist scheinbar nebensächlich geworden. Ob jemand Jude, Christ oder Buddhist ist, wird nicht mehr zum Dealbreaker, sprich: Wenn ich dich mag, ist es mir erst mal egal, ob du samstags in die Synagoge oder sonntags in die Kirche gehst. Oder keins von beiden. Als jüdisches Mädchen allerdings merkt man schnell, dass es nicht ganz so unkompliziert ist. Zwar waren viele Freundinnen schon mit nicht-jüdischen Jungs zusammen, ein Thema bleibt es aber. „Er ist kein Jude oder?“, wird man direkt gefragt. Nein, Katholik. Findet auch keiner schlimm, angeblich. Es bleibt aber definitiv kein unerwähntes Detail.

Auch in seiner Familie nicht. Natürlich „stört“ es hier niemanden, dass der Sohn ein jüdisches Mädchen kennengelernt hat, das er immer öfter sieht. Aber ungewohnt ist es schon. Die Oma reagierte tatsächlich ein wenig erschrocken, als sie von der neuen Flamme ihres Enkels erfuhr. Zu Hause, in einem kleinen Dorf in Italien, kannten sie gar keine Juden. Erst seitdem sie vor gut zehn Jahren nach Deutschland gezogen sind, haben sie zum ersten Mal Berührung mit ihnen gehabt. Irgendwie ist das fast exotisch! Doch sicher wird es nichts für die Ewigkeit, die beiden sind noch so jung. Mit wem man in dem Alter eine Beziehung eingeht, hat nun wirklich sehr wenig damit zu tun, mit wem man nachher das Leben verbringen möchte. Spaß haben steht jetzt erst mal im Vordergrund und Hauptsache ist, man kann gemeinsam lachen und ist gerne zusammen.

Und die ersten Monate sind aufregend, denn nicht zuletzt dadurch, dass man mit unterschiedlichen Traditionen aufgewachsen ist, hat man dem anderen viel zu erzählen. Und zu zeigen. Sie begeistert ihn mit neuen kulinarischen Erfahrungen wie Gefilte Fisch oder gehackter Leber, und im Winter lädt er sie dann zur ausschweifenden Weihnachtsfeier im Kreise seiner Familie ein. Komisch ist das schon, immerhin hat sie nie den Drang verspürt, dieses Fest zu feiern, bei ihr gab es schließlich Chanukka. Als Kind hat ihre Familie einmal mit Bekannten „Weihnukka“ veranstaltet, aber das war dann auch das höchste der Gefühle. Heiligabend hatte für sie bisher jedes Jahr „All-you-can-drink-Party“ mit ihren nicht-christlichen Freunden bedeutet. Und ist es nicht unrecht, als Jüdin an Heiligabend feierlich zu essen und unterm Baum Geschenke auszupacken? Dabei nimmt sie mit der Einladung ja nicht automatisch seinen Glauben an, sie bleibt das jüdische Mädchen, das eben diesen Winter zu Weihnachten kommt. Und nächstes Jahr vielleicht auch.

Mit der Zeit wird aus einer belanglosen Liebelei schnell mal was Ernstes. Und obwohl das Thema Religion bisher nicht ständig im Raum stand, drängt es sich immer öfter ins Alltagsleben. Meist sind es Kleinigkeiten, etwa wenn er mit Speck kochen will und vergisst, dass sie kein Schweinefleisch isst. Sie findet es immer wieder ärgerlich, wenn er für sie beide Freitagabend-Verabredungen trifft, ohne Rücksicht darauf, dass sie am Schabbat gerne länger mit ihrer Familie zusammensitzt. Und dass er behauptet, von koscherem Wein Kopfschmerzen zu bekommen. Ihn dagegen nervt es, dass sie sich den Unterschied zwischen Kommunion und Konfirmation nicht merken kann und viel mehr noch, wie sie die Nase rümpft über seine neuen Schuhe – weil sie angeblich aussehen wie Springerstiefel.

Trotz kleinerer Unstimmigkeiten bleibt man natürlich zusammen und auch wenn nicht gleich morgen geheiratet wird, sieht man zumindest die Option einer gemeinsamen Zukunft. Allerdings schimmert das Verfallsdatum der Beziehung spätestens dann durch, wenn man anfängt, übers Kinderkriegen zu fantasieren. „Ist doch egal, dass er Katholik ist, dein Baby wird sowieso jüdisch“, sagen ihre Vertrauten dann. Doch auch wenn im Judentum die Mutter ihre Religion an die Kinder weitergibt, so hat der Mann doch gerne ein gewisses Mitspracherecht, und wahrscheinlich stellt er sich die Erziehung ein bisschen anders vor als sie.

Sommerurlaub in Italien oder Israel? Feiern wir Karneval oder Purim? Für diese Fragen lassen sich leicht Kompromisse finden, für andere wiederum gibt es keinen Mittelweg. Immerhin kann man einen Sohn ja nicht zur Hälfte beschneiden und zur anderen taufen lassen. Und selbst wenn keine Kinder geplant sind, wo wird geheiratet: Kirche vs. Chuppa, was nun?

Im ersten Moment fühlt sie sich wohl geneigt, ihm Vorwürfe zu machen, er solle Verständnis haben für ihre Bräuche, die sie unbedingt am Leben halten möchte, immerhin sind Juden ihre Traditionen besonders wichtig. Woran das liegt, lässt sich in wenigen Sätzen kaum erklären. Ein Grund dafür ist sicherlich, dass Juden als Minderheit von jeher daran gewöhnt sind, zusammenzuhalten und für ihre Daseinsberechtigung, ihre (Glaubens-)Freiheit zu kämpfen. Dass es aber auch Christen gibt, denen ihre Religion sehr am Herzen liegt, darf man dabei nicht vergessen, und ausgerechnet einen solchen hat sie sich geangelt.

Wenn zwei traditionsbewusste Menschen unterschiedlicher Konfessionen zusammenfinden, ist Kompromissbereitschaft unvermeidlich. Aber sicherlich nicht einfach. Wenn man für grundlegende Fragen gemeinsam keine Lösung finden kann, ist ein Zusammensein von vornherein unmöglich, ab einem gewissen Punkt muss man sich daher klar werden: Bin ich bereit, für diesen Menschen etwas aufzugeben, oder will ich an meinen Werten und Gewohnheiten unter allen Umständen festhalten? Welche Opfer muss ich für die Liebe bringen und wie kommt er mir entgegen? Ist es mir wichtig, dass mein Partner konvertiert oder funktioniert es auch so?

Kein Zweifel: Es ist offensichtlich leichter, wenn beide dem gleichen Glauben angehören, ähnliche Erfahrungen gemacht und die gleichen Feiertage erlebt haben. Mancher Konflikt entsteht so gar nicht erst und niemand muss auf seinen heiß geliebten Speck verzichten. Aber wie so oft im Leben ist nicht immer alles schwarz oder weiß. Und der einfachste Weg ist nicht automatisch der beste.

Laura Pomer

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false