zum Hauptinhalt

Panorama: Risiko Chatroom

Der größte Teil der Kinder, die sich im Netz unterhalten, wird irgendwann sexuell belästigt. Was Eltern tun können – und was nicht

Berlin - Cora, elf Jahre, war glücklich. Beim Chatten im Internet hatte sie ein Mädchen kennengelernt, das Pferde ebenso gerne mochte wie sie. Über den Chat verabredete sie sich mit ihrer neuen Freundin. Doch als Cora am vereinbarten Treffpunkt ankam, wartete dort kein gleichaltriges Mädchen auf sie, sondern ein Mann, mindestens Mitte 20 Jahre – Cora hatte Glück, denn vorsichtshalber war ihre Mutter zum Treffen mitgekommen. Doch schockierte sie diese Begegnung so sehr, dass sie andere Mädchen warnen wollte. Deshalb erzählte sie der Organisation jugendschutz.net, was ihr passiert war.

Für die Organisation sind Coras Erlebnisse nichts Neues. Denn jugendschutz.net überprüft im Auftrag der Jugendministerien der Länder, wie sicher Chats sind. Das erschreckende Ergebnis: Immer wieder versuchen Pädophile, über Chats Kontakt zu Kindern aufzubauen. „Wer sich als Kind oder minderjähriger Jugendlicher in offenen Chats zu erkennen gibt, wird innerhalb von Sekunden sexuell belästigt“, sagt Friedemann Schindler, Leiter von jugendschutz.net. Grooming wird eine solche Anbahnung sexuellen Missbrauchs im Internet genannt, fast immer sind Männer die Täter.

Mit harmlosen Fragen nach Alter, Hobbys und Wohnort nehmen die Pädophilen Kontakt zu den Kindern auf. Oft fragen sie nach der Handynummer, um zu überprüfen, dass keine getarnten Erwachsenen, sondern tatsächlich Kinder vorm Bildschirm sitzen. Dann werden die Fragen intimer: „Hast du schon mal Sex gehabt?“. Oder: „Schickst du mir einen gebrauchten Slip von dir?“. Auch werden die Elf- und Zwölfjährigen von den Chatpartnern aufgefordert, Nacktbilder von sich zu mailen. So wie ihm Fall des 13-jährigen Mädchens aus Halle/Westfalen, dessen Fall vergangene Woche bekannt wurde. Ihre Bilder werden heute noch immer weltweit in der Kinderpornoszene des Internets gehandelt, vom Täter fehlt jede Spur. Für Pädophile sind die virtuellen Kommunikationsräume die ideale Plattform, um Kontakt zu potenziellen Opfern anzubahnen: Unter fiktiven Benutzernamen, den sogenannten Nicknames, können sie ihre Identität verbergen.

Vor allem aber ist das Internet ein einfacher Weg, Kontakt zu Kindern aufzunehmen: Mehr als zwei Drittel der Jugendlichen zwischen zwölf und 19 Jahren ist mehrmals pro Woche online, zeigt eine aktuelle Studie des medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest. Ein Drittel von ihnen kommuniziert in Chats – oft mit negativer Erfahrung. So haben 160 von 200 Jugendlichen bei einer Befragung durch jugendschutz.net angegeben, im Internet schon einmal sexuell belästigt worden zu sein.

„Die Kinder selbst sind oft völlig ahnungslos, was ihnen da passiert“, sagt Schindler. „Und wenn ihnen der Chatpartner doch seltsam vorkommt oder er ihnen beispielsweise Pornobilder schickt, verschweigen sie dies aus Schuldgefühl gegenüber ihren Eltern.“ All das sind Unsicherheiten, die Kinder im Internet oft zum Freiwild für Pädophile werden lassen.

Jugendschutz.net will das verhindern. Deshalb hat die Organisation über 50 Chats getestet und einen Leitfaden für Eltern und Kinder herausgegeben, wie sie sicher chatten können.

Am wenigsten Gefahr droht ihnen, wenn sie in Chats kommunizieren, die speziell auf Kinder ausgerichtet sind. Zum Beispiel toggo.de oder tivi.de. Passwörter und Anmeldeformulare sichern hier den Zugang. Und Moderatoren überprüfen jeden Satz, der zwischen den Chatpartnern hin- und hergeschickt wird. Auch gibt es Anbieter, die Kinder zunächst einen Chat-Führerschein machen lassen. Dabei lernen sie beispielsweise, Adresse und Telefonnummer niemals weiterzugeben. Und auf keinen Fall, Treffen außerhalb der virtuellen Welt zu vereinbaren. Geraten Kinder dennoch auf unsichere Seiten, sollten sie nicht in sogenannte Privaträume wechseln oder mit ihren Chatpartnern „flüstern“, denn in diesen Bereichen ist keine Kontrolle mehr möglich. Eltern sollten ihre Kinder immer wieder fragen, ob beim Chatten etwas Ungewöhnliches passiert sei. „Bei sexueller Belästigung dürfen sie nie dem Kind die Schuld geben“, sagt Schindler. Wenn Kinder Schuldgefühle haben, trauen sie sich nicht, den Eltern zu erzählen, was ihnen widerfährt.

„Hunderprozentige Sicherheit gibt es nie“, sagt Schindler. „Aber wenn Kinder und Eltern diesen Grundregeln folgen, kann ihnen so schnell nichts passieren.“

Schwierig wird es, wenn Kinder freiwillig Kontakt zu fremden Erwachsenen zulassen. Eltern können dies kaum kontrollieren – wie im jüngsten Fall der 13-Jährigen, die dem Chatbekannten Sexfotos von sich schickte.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false