zum Hauptinhalt
Die Zahl der Brutvögel in Deutschland ist stark zurückgegangen.

© Nestor Bachmann/ dpa

Rückgang bei Brutvögeln um bis zu 90 Prozent: Naturschützer fordern Systemwechsel in EU-Agrarpolitik

In Deutschland nimmt die Zahl der Wintervögel immer weiter ab. Naturschützer warnen vor einem dramatischen Rückgang der Brutpaare auf Agrarflächen.

Es könnte an der milden Witterung oder einem tatsächlichen Rückgang der Vogelpopulationen liegen, selbst Zufall ist nicht ausgeschlossen. Das Ergebnis einer großen Vogelzählaktion fällt erneut niedriger aus als im langjährigen Vergleich. 143 000 Naturliebhaber meldeten im Januar die Sichtung von im Schnitt 37,3 Vögeln pro Garten innerhalb einer Stunde. 3,6 Millionen Vögel wurden bundesweit gezählt, wie der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) am Donnerstag mitteilte.

Die Aktion „Stunde der Wintervögel“ findet einmal im Jahr statt. 2019 meldete der Nabu noch einen Wert von fast genau 37 Vögeln. Doch liege er deutlich unter dem langjährigen Mittel von fast 40 Vögeln pro Garten. Dass ein und derselbe Vogel mehrfach gezählt wird, ist bei dieser Aktion jedoch nicht auszuschließen.

Dennoch sei laut Nabu seit Beginn der Zählaktion 2011 ein abnehmender Trend festzustellen. Die bisherigen Daten zeigten, dass die Zahl der Vögel in den Gärten umso geringer ausfalle, je milder und schneeärmer der Winter sei, so Nabu-Bundesgeschäftsführer Leif Miller. Denn erst bei Kälte und Schnee suchten viele Waldvögel die Gärten der etwas wärmeren Siedlungen auf.

Bei manchen Vogelarten scheinen auch Krankheiten hinter ihrem selteneren Erscheinen zu stecken: Bei Grünfinken vermutet der Nabu Parasiten als Ursache. Und die Amselzahl verharre auf niedrigem Niveau, seitdem viele Vögel im vorigen Winter an dem tödlichen Usutu-Virus verendeten.

Zudem kann aus zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen geschlossen werden, dass die Dichte der Singvögel in Deutschland abgenommen hat. Faktoren, die hier eine Rolle spielen, sind ein geringeres Nahrungsangebot aufgrund des sogenannten Insektensterbens sowie Lebensraumverlust und Belastung durch verschiedene Auswirkungen der modernen Landwirtschaft.

Zahl der Brutvögel hat deutlich abgenommen

Erst am Mittwoch hatte eine Auswertung des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) gezeigt, dass die Zahl der Brutvögel in Deutschland stark zurückgegangen ist. Die aktuelle Analyse aus Tausenden Datensätzen entstand im Rahmen des Vogelschutzberichts, den die Bundesregierung alle sechs Jahre an die EU-Kommission schickt. Das Ergebnis: Deutschland hat im Zeitraum von 1992 bis 2016 mehr als sieben Millionen Brutpaare, die in festen Regionen brüten, verloren. Damit lebten etwa acht Prozent weniger Brutvögel in Deutschland als noch 24 Jahre zuvor. Vor allem auf Wiesen, Weiden und Äckern halte der Rückgang an.

„In den offenen Agrarlandschaften ist der Bestand an Brutpaaren über ein Vierteljahrhundert um etwa zwei Millionen zurückgegangen. Eine Trendwende zeichnet sich bislang nicht ab“, erklärte Beate Jessel, Präsidentin des Bundesamtes. Das unterstreiche die Dringlichkeit von Reformen in der Landwirtschaftspolitik.

Die Bestände von Rebhuhn und Kiebitz etwa haben dem Bundesamt zufolge seit 1992 um fast 90 Prozent abgenommen. „Ähnlich dramatisch“ sei die Lage bei Uferschnepfe, Bekassine und Braunkehlchen. Auch die Turteltaube ist nach Angaben des Dachverbandes Deutscher Avifaunisten in weiten Teilen Deutschlands nicht mehr anzutreffen.

"Wir brauchen jetzt einen Systemwechsel in der EU-Agrarpolitik"

„Wirklich beängstigend ist die Situation der Vogelarten unserer Agrarlandschaften“, sagte Nabu-Vogelschutzexperte Marius Adrion dem Tagesspiegel. Die Gesamtzahl dieser Vögel habe in Deutschland seit 1980 sogar um rund 34 Prozent abgenommen. Das seien rund zehn Millionen Vogelbrutpaare, die es heute nicht mehr gibt. „Und ihr Verschwinden hält an“, sagt Adrion. Die Bekämpfung des Artensterbens auf Feldern und Wiesen sei derzeit die wichtigste Aufgabe des Vogelschutzes.

Einen Grund sieht Adrion in der Intensivierung der Landwirtschaft, unter der die meisten dieser Arten leiden. „Und die schreitet bisher ungebremst voran.“ Dazu gehöre die zunehmende Mechanisierung der Landwirtschaft mit immer größeren Feldern, die weniger Restflächen wie Baumreihen, Wegränder oder Hecken zurücklasse.

„Vögel verraten uns sehr genau, wenn es in einer Landschaft Probleme gibt – und auf unseren Wiesen und Feldern schrillen die Alarmglocken“, sagt Adrion. „Wir brauchen jetzt einen Systemwechsel in der EU-Agrarpolitik.“ Für Landwirte müsse es sich künftig lohnen, Platz für die Natur und ihre Arten zu schaffen.

Etwas besser sieht es zumindest in den Wäldern aus. Die Bestände sollen sich in den vergangenen Jahren deutlich erholt haben, ebenso in Siedlungen. Im Zeitraum 2005 bis 2016 seien etwa 1,5 Millionen Waldvögel dazugekommen. Die Ursache für diese Entwicklung sei noch nicht ganz verstanden. (mit dpa)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false