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Panorama: Rücktritte: Ein Ratgeber

Der Eskimo kennt viele Sorten Eis. Der Chinese kennt viele Sorten Reis.

Der Eskimo kennt viele Sorten Eis. Der Chinese kennt viele Sorten Reis. Der Politiker kennt viele Sorten von Rücktritt.

Aber welcher Rücktritt ist der schönste? Und warum tritt ein Politiker oder eine Politikerin überhaupt zurück?

Möglichkeit eins: Wegen seines Gewissens. Der Politiker sieht ein, dass er oder sie einen schweren Fehler gemacht hat und deswegen das wichtige Amt nicht mehr verdient hat. Sehr selten.

Möglichkeit zwei. Druck. Die anderen Politiker wollen nicht mit ansehen, wie das Ansehen der Regierung und die Umfragewerte der Regierungspartei in den Keller fahren, nur weil dieser Kerl da an seinem Stuhl klebt. Die Bevölkerung hält ihn für unfähig oder schuldig, also muss er weg, ganz egal, ob er wirklich schuldig ist oder nicht. Sie bearbeiten ihn, bis er endlich aufgibt. Eine häufige Variante.

Möglichkeit drei. Beweise. Es steht fest oder beinahe fest, dass der Politiker etwas ausgefressen hat. Kommt öfter mal vor.

Möglichkeit vier. Das Bauernopfer. Der Politiker tritt zurück, obwohl er oder sie sich nichts hat zu Schulden kommen lassen. Es geht aber darum, den Chef zu schützen. Nach einem Rücktritt beruhigen sich die Medien erfahrungsgemäß ein wenig. Also, ein Staatssekretär tritt für seinen Minister zurück oder ein Minister für seinen Kanzler. Sehr honorig, selbstlos. Wird deshalb nicht oft gemacht.

Möglichkeit fünf. Die Flucht. Der Politiker hat keine Lust mehr auf seinen Job. Das Politikersein hängt ihm zum Hals raus. Anderswo lässt sich mit weniger Arbeit mehr Geld verdienen. Bei der ersten sich bietenden Gelegenheit schmeißt er also den Bettel hin und tut so, als ginge es um Gott weiß was. Vor allem bei SPD-Politikern mittleren Lebensalters beliebt.

Möglichkeit sechs. Der Sachkonflikt. Die Regierung tut etwas, was dem jeweiligen Politiker gegen den Strich geht. Er sagt: Leute, da kann ich nicht mitmachen. Eine ehrenwerte Variante. Und gar nicht so selten.

Möglichkeit sieben. Der Irrtum. Ein Politiker bietet in einer internen Runde seinen Rücktritt an, in der Meinung, dass sein Chef diesen Rücktritt ablehnt. Er oder sie hält sich nämlich für unverzichtbar. Das Rücktrittsangebot wird aber häufig mit Begeisterung angenommen. Eine dumme, dumme Sache.

Möglichkeit acht. Der Scheinrücktritt. Ein Regierungschef erklärt, dass ihm Ministerin Griebelkorn oder Staatssekretär Bauer-Rebhuhn ihren Rücktritt erklärt hätten. Er spricht ihnen seinen Respekt aus. Er bedauert den Schritt zutiefst, und so weiter. In Wirklichkeit handelt es sich aber um eine Entlassung. Dass sie zurückgetreten ist, erfährt Ministerin Griebelkorn selbst erst aus dem Fernsehen. Früher nannte man so was Pech, heute heißt es: Such is life.

Möglichkeit neun. Der Edelrücktritt. Ein Politiker übernimmt Verantwortung für den Fehler eines Untergebenen. Er tritt zurück, um zu demonstrieren, dass es gewisse Fehler einfach nicht geben darf, egal, wer im Einzelfall die Schuld daran trägt. Beinahe ausgestorben.

Möglichkeit zehn. Der Rücktritt nach vorn. Es wird zurückgetreten, um für eine Weile aus der Schusslinie zu verschwinden und die eigenen Karrierechancen für die Zukunft zu wahren. Der Rücktritt ist schon der erste Schritt auf dem Weg zum Comeback. Einst meisterhaft beherrscht von Franz-Josef Strauß.

Journalisten können nicht zurücktreten. Journalisten können höchstens kündigen. Oder Politiker zum Rücktritt auffordern. Ziehen Sie endlich Konsequenzen, Herr Minister! Sie sind nicht mehr tragbar! Die Rücktrittsforderung ist die Königsdisziplin der Leitartikler. Der Moment, in dem ein Journalist daran glaubt, dass er Einfluss hat oder sogar mächtig ist. Ein Journalist sollte in seinem Leitartikel aber gleich hinzufügen, welche Rücktrittsvariante er sich wünscht. Ein schöner Neuner. Ein herrlicher Siebener. Ein sauber ausgeführter Zweier.

Man sieht an dieser Liste aber auch, dass Joschka Fischer nie wirklich rücktrittgefährdet war. Er wäre höchstens über Variante zwei zu knacken gewesen, aber so viel Druck können die Springer-Zeitungen alleine nicht machen, nicht ohne das Fernsehen.

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