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Vom Waisenkind zum Multimilliardär. Roman Abramowitsch, Besitzer des Fußballclubs Chelsea.

© REUTERS

Russische Egomanen: Der Milliardär und sein Pate

In London stehen sich die russischen Oligarchen und Ex-Freunde Abramowitsch und Beresowski gegenüber. Es ist ein Kampf zweier Urgesteine der Wendezeit, als die russische Ölindustrie privatisiert wurde.

Eine Woche im Zeugenstand im Londoner Handelsgericht, und die Welt kennt den Jung-Oligarchen Roman Abramowitsch ein bisschen besser. Kein Superreicher fasziniert die Briten so wie der 45-jährige mit dem verlegenen Lächeln. Aber seit er 2003 nach London kam und den Traditions-Fußballklub FC Chelsea kaufte, blieb „Mr. Chelsea“ stumm. Man spekulierte über seine 155-Millionen-Pfund-Scheidung von Irina, die neue Freundin Daria Zhukowa, die aus ihm einen Kunstsammler machte. Man schwärmte von seinen fünf Jachten und rätselte, ob er in seine Privat-Boeing tatsächlich ein Raketenabwehrsystem eingebaut hat. Roman Arkadjewitsch Abramowitsch sagte nichts. Doch nun, im Zeugenstand von Gerichtssaal 26 des Londoner Handelsgerichts, ergriff er das Wort. Auf Russisch sagte er: „Es war nie mein Ehrgeiz, eine öffentliche Persönlichkeit zu werden.“

Abramowitsch wird von dem 65-jährigen Alt-Oligarchen Boris Beresowski auf 3,6 Milliarden Pfund Schadenersatz verklagt. Er sei von diesem zum Verkauf seiner Anteile an der gemeinsamen Ölfirma Sibneft für einen „Bruchteil ihres Wertes“ erpresst worden – nur 800 Millionen Pfund. 2007 gelang es Beresowski nach monatelangen Versuchen in einer filmreifen Szene, Abramowitsch vor Zeugen einen Gerichtsbefehl auszuhändigen. Aus dem Dolce & Gabbana-Geschäft in der Sloane Street kommend sah er, wie er in der Hermès-Filiale verschwand. Leibwächter kämpften ihm den von Abramowitschs Begleitern blockierten Weg in die Schalabteilung frei.

Zusammen hatten sie Sibneft in der Gründerphase des russischen Oligarchen-Kapitalismus für ein lächerliches Fünfundzwanzigstel des wahren Wertes gekauft. Mit seinen guten Beziehungen zu Präsident Boris Jelzin war Beresowski damals der König der Oligarchen. Nachdem Beresowski ausgebootet war, verkaufte Abramowitsch Sibneft 2005 für 7,5 Milliarden Pfund an den staatlichen Konzern Gasprom und machte sich so bei Präsident Wladimir Putin beliebt – der seit 2000 Beresowskis Erzfeind ist.

Unweit des Protestlagers gegen die Habgier und Unmoral des Kapitalismus vor der St. Paul’s Kathedrale wird nun die schmutzige Wäsche der Oligarchen gewaschen. 100 Millionen Pfund soll der Prozess kosten, Beresowski musste sich Millionen von einem befreundeten Oligarchen leihen – gegen eine lukrative Beteiligung am erhofften Gewinn. Die Briten verfolgen das Spektakel amüsiert, schockiert, erstaunt, wie ein Theaterstück von Nikolai Gogol. Sympathien haben sie für keinen der beiden.

Er sei damals „sehr überrascht“ von Beresowskis „extravagantem Lebensstil“ gewesen, sagte Abramowitsch zu Beginn seiner einwöchigen Zeugenvernehmung und holte sich zum Beweis der eigenen Bescheidenheit in der Lunchpause ein Sandwich bei „Pret A Manger“ – umgeben von einem Bataillon von Sicherheitsbeamten. Englisch hat der Besitzer des Chelsea-Fußballclubs nicht gelernt. Er spricht per Dolmetscher. „Kryscha“ – Schutz, vor dem Kreml, und Hilfe, das sei alles, was er von Beresowski bekommen habe. Dafür sei dieser reichlich belohnt worden. Über 1,5 Milliarden Pfund habe er Beresowski, dem „kindischen Megalomanen“ in sechs Jahren zugeschoben und sei wie eine Kuh gemolken worden, um dessen „extravaganten Lebensstil“ zu finanzieren. Rechtsanwalt Laurence Rabinowitz fragt nach Abramowitschs eigenem Lebensstil und geht die Liste seiner Immobilien durch, von der Villa auf St.Barthélemy in der Karibik bis zum Château de la Croé an der Côte d’Azur, das einst dem Herzog von Windsor gehörte. „Da“, sagt er auf russisch, „Ja“.

Und: „Der Kauf von Chelsea war ein Wendepunkt in meinem Leben.“ Die Vernehmung breitet die Biografie eines Oligarchen aus. Der Vollwaise verlässt mit 16 die Schule, wird zum Militär einberufen, das Moskauer Institut für Straßenbau verlässt er ohne Abschluss. 1997 hat er seinen ersten Job als Vorarbeiter einer Schweißerkolonne. Er organisiert eine Kooperative, die Plastikspielzeug herstellt, und steigt 1991 ins Ölgeschäft ein. Zwei Jahrzehnte später wird sein Vermögen auf über 20 Milliarden Dollar geschätzt. Im Gericht erfuhr man, wie Abramowitsch Sibneft-Öl billig an von ihm selbst kontrollierte Off-Shore-Firmen verkaufte und von diesen dann zum dreifachen Preis zurückkaufte.

Wie eng war die Freundschaft der beiden Oligarchen, die Vater und Sohn sein könnten? Sie machten mindestens sechsmal gemeinsam Urlaub auf ihren Jachten, die beiden Ex-Frauen Galina und Irina waren dicke Freundinnen. Beresowski sei eine „Patenfigur“ gewesen, gibt Abramowitsch zu. Aber 2001 flog er per Hubschrauber nach Megève in den Alpen und handelte mit Beresowski die Ablösesumme aus: Eine Milliarde Dollar, um die Beziehungen zu der „Patenfigur“ zu beenden. Vatermord mit dem Scheckbuch.

Matthias Thibaut

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