zum Hauptinhalt
Die Pannen in der russischen Raumfahrt häufen sich.

© AFP

Russische Rakete stürzt über Sibirien ab: Fehlgriff nach den Sternen

Russlands Raumfahrt hat erneut Probleme mit den Triebwerken seiner Raketen. Am Samstag stürzte eine Trägerrakete mit einem Satelliten an Bord über Sibirien ab.

Der Unfall geschah kurz nach dem Start. Etwa eine Minute bevor sich am Samstag der mexikanische Satellit vom der dritten Stufe der russischen Trägerrakete trennen sollte, versagten deren Triebwerke. Ihre Trümmer gingen über Sibirien, östlich des Baikalsees, nieder. Suchtrupps sind bereits unterwegs, um sie zu bergen. Bisher ist allerdings nicht einmal der genaue Unglücksort bekannt. Vermutet wird er in der Nähe der Siedlung Petrowsk-Sabaikalsk. Deren Bewohner sahen den Absturz zwar nicht, berichteten einem russischen Radiosender allerdings, sie hätten es dreimal laut knallen hören. Die Gegend ist dünn besiedelt, daher kamen Menschen wohl nicht zu Schaden. Jedoch wird befürchtet, dass der hochgiftige Raketentreibstoff bei der Explosion in der Atmosphäre verdampft oder gar an der Absturzstelle in den Boden eingesickert ist.

Russland fürchtet um seinen Ruf

Die Trägerrakete Proton M, mit der die russische Raumfahrtagentur Roskosmos vom Weltraumbahnhof Baikonur in Kasachstan den mexikanischen Telekommunikationssatelliten ins All hieven sollte, ist bewährt und gilt als sicher. So sicher, dass der Start live auf der Website der Agentur übertragen wurde. Der Unfall, fürchtet Juri Karasch, Mitglied der Weltraumakademie, werde das internationale Ansehen der Raumfahrtnation Russland nachhaltig beschädigen. Das Einzige, was Moskau derzeit auf dem internationalen Markt anbieten kann, seien Dienstleistungen beim Start von Satelliten und Raumfahrzeugen. Durch die Pannen der letzten Zeit würde Russland indes auch in diesem Segment mehr und mehr an Boden verlieren. Die Situation, sagte er bei Radio Echo Moskwy, sei „dramatisch“. Tatsächlich klappt bei Russlands Raumfahrt derzeit wenig. Nur kurz vor dem Absturz der Proton-Rakete mit dem mexikanischen Satelliten misslang eine Kurskorrektur der ISS. Die Raumstation muss, weil sie im Lauf der Zeit an Höhe verliert, immer wieder auf die programmierte Umlaufbahn angehoben werden. Dazu sollte am Samstag der Antrieb des Raumfrachters „Progress M-26“ genutzt werden, die Bodenstation bekam von dessen Motor jedoch kein Betriebsbereitschaftssignal.

ISS-Besatzung muss sich gedulden

Ähnliche Probleme gab es bereits Ende April beim Start eines Transporters der gleichen Serie, der die ISS-Besatzung mit Nachschub versorgen sollte. Auch hier wird als Ursache eine Fehlzündung der dritten Stufe der Trägerrakete vermutet. Der Transporter verglühte am 8. Mai beim Eintritt in die Erdatmosphäre. Bis die Probleme behoben sind, sollen keine neuen Transporter starten. Derzeit wird ein Termin im dritten Quartal angepeilt. Leben und Sicherheit der ISS-Besatzung seien zwar nicht gefährdet. Dennoch mahnte Roskosmos die Kosmonauten, mit den „an Bord befindlichen Ressourcen sparsam umzugehen“.

In böser Erinnerung haben die Russen auch die Pannen beim Aufbau von Glonass. Das Kürzel steht für ein globales, satellitengestütztes Navigationssystem, mit dem Russland dem US-amerikanischen GPS Konkurrenz machen wollte. Doch drei Satelliten gingen schon 2010 bei einem Fehlstart verloren, drei weitere 2013. Bei der Raumfahrtagentur wurden daraus bereits personelle Konsequenzen gezogen, jetzt, so wird in der Moskauer Gerüchteküche geraunt, würden Kreml und Regierung sich die nächsthöhere Ebene der Hierarchie vorknöpfen. Bedenklich wackelt demzufolge vor allem der Sessel von Vizepremier Dmitri Rogosin. Er ist für Rüstung und Raunfahrt zuständig und reüssierte zuvor als Moskaus Botschafter bei der NATO mit scharfen antiwestlichen Ausfällen.

Russland hat große Zukunftspläne

Wer Russlands Langzeit-Raumfahrt-Programm liest, ahnt von diesen Problemen nichts. Roskosmos hat große Pläne. Spätestens 2050 soll ein russisches Raumschiff mit einer rein russischen Besatzung nach Möglichkeit als erstes auf dem Mars landen. Und spätestens 2030 will die Raumfahrtagentur eine ständig bemannte Station auf dem Mond errichten. Allein schon, um die Schmach zu tilgen, die die USA der Sowjetunion mit der ersten Landung eines Menschen auf dem Erdtrabanten zufügten. Eigens dazu will Russland 2024 seine Beteiligung an der Internationalen Raumstation ISS einstellen und eine eigene bauen, die für die Mars- und Mondmission als Umschlagplatz beim Transport von Equipment und Nachschub genutzt werden soll. Baubeginn war ursprünglich 2023, inzwischen ist von 2017 die Rede.

Größere Höhe und eine veränderte Bahnneigung sollen es ermöglichen, von Bord aus bis 90 Prozent des russischen Staatsterritoriums einzusehen – auf der ISS sind es mal gerade fünf – und fast die gesamte Arktis. Russland bemüht sich seit Jahren um Ausdehnung seiner 200-Meilen-Wirtschaftszone bis zum Nordpol. Der Grund: riesige Öl- und Gasvorkommen. Beigebrachte Beweise, wonach zwei Untersee-Rücken in Polnähe die direkte Fortsetzung der sibirischen Landmasse sind, überzeugten die UN-Seerechtskommission bisher jedoch nicht. Russlands neues Auge im All könnte den Notstand beenden. Vor allem aber: Eine Luftlande-Operation ausländischer Truppen auf einer russischen Eisscholle könnte aus dem All womöglich abgewehrt, auf jeden Fall aber in Echtzeit verfolgt werden. Dank einer Bordkamera, die angeblich sogar einen Rucksack im Packeis gestochen scharf abbilden kann. Doch angesichts der aktuellen Probleme klingt das noch wie ferne Zukunftsmusik.

Zur Startseite