zum Hauptinhalt

Panorama: Sandkasten und Fische im Klassenzimmer Auch in den 20er Jahren gab es Reformschulen

Ich wuchs als Einzelkind in der Pestalozzistraße in Charlottenburg auf, spielte mit meinem Trudelreifen und Murmeln auf dem Bürgersteig vor unserem Haus. Am ersten April 1926 bekam ich meinen Schulranzen und wanderte 20 Minuten die Pestalozzistraße hoch zu meiner Schule, einem alten Backsteinbau auf dem Hinterhof.

Ich wuchs als Einzelkind in der Pestalozzistraße in Charlottenburg auf, spielte mit meinem Trudelreifen und Murmeln auf dem Bürgersteig vor unserem Haus. Am ersten April 1926 bekam ich meinen Schulranzen und wanderte 20 Minuten die Pestalozzistraße hoch zu meiner Schule, einem alten Backsteinbau auf dem Hinterhof.

Wir waren bunt gemischt, Jungen und Mädchen. Es war eine fröhliche und lustige Zeit in unserer Klasse mit den festgeschraubten Bänken. Unser Lehrer begrüßte uns mit einem freundlichen „Guten Morgen!“, dann wurde gefragt und erzählt, was wir erlebt hatten, dann erst kam der Lehrer zu Wort. In einer der unteren Klassen hatten wir einen Sandkasten im Raum. In den feuchten Sand zogen wir die Straße vor der Schule ein, dann die Nebenstraßen. Wir markierten sie mit selbst gebastelten Schildchen, unser Schulgebäude und die vielen Häuser fertigten wir aus Streichholzschachteln und Buntpapier. Dann spielten wir in der Turnhalle Fußgänger und Schutzmann, der Musiklehrer spielte mit der Klampfe und wir sangen: „Denkste denn, denkste denn, du Berliner Pflanze…“. Mit einem anderen Lehrer gingen wir auf die Straße und liefen kreuz und quer durch unseren Bezirk und zählten Autos und Pferdewagen, Radfahrer und Fußgänger an den Straßenkreuzungen.

Natürlich schrieben wir auch Diktate und malten Bilder, die an die Wand gehängt wurden. Ab und zu machten wir Notizen und erzählten uns Geschichten von unserem Leben auf der Straße. So wurden wir unterrichtet, das ganze nannte sich „Arbeitsschule“ – mit wöchentlich wechselnden Themen basierend auf dem Lehrplan bis zur achten Klasse. Wir halfen uns gegenseitig und arbeiteten in großen und kleinen Gruppen zusammen.

Am 31. Januar 1933 kamen wir Kinder wie immer zur Schule. Das Gittertor war verschlossen, fremde Männer sagten uns: „Geht nach Hause. Kommt morgen, da bekommt ihr die Einweisung in eine neue Schule.“ Ja, aber – ich hatte mit Ottchen Dienst am Aquarium, musste die Fische füttern… Ottchen kam zu mir: „Was machen wir?“

Er wusste einen Weg durch den Keller hinein ins Haus, die Treppe hinauf, alles war still, es roch übel nach Zigarettenrauch, dort das Fenster, die Aquarien – aber zwei Dreckpfützen mit toten Fischen, Unrat und dreckigem Wasser. In der nahen Klasse der Schrank aufgerissen, die Klassenkasse geplündert, Bücher herausgerissen, Zeichnungen und Stadtpläne zerrissen, Bänke zusammengeschoben, überall Unrat. Wir verschwanden still wie wir gekommen waren. Ich habe meine Klassenkameraden und Lehrer nie wieder gesehen. Am Abend setzte sich mein Vater mit mir an den runden Wohnzimmertisch und sagte mir, dass ich meine Schuljahre in einer Reformschule verbracht habe und dass es nur noch eine in einem anderen Bezirk gebe.

Einige Reformpädagogen hatten sich Anfang der zwanziger Jahre Gedanken über eine neue, freie Erziehung gemacht und von der Verwaltung die Genehmigung bekommen, diese zwei Schulen mit jungen Lehrern und neuen Plänen als Versuchsschulen einzurichten.

An diesem 31. Januar 1933 bin ich erwachsen geworden.

Annelies Käsler ist 84 Jahre alt. Sie hat nach dem Krieg das Abitur auf dem Abendgymnasium nachgemacht und viele Jahre als Lehrerin gearbeitet.

Annelies Käsler (84) ging sehr gerne zur Schule und hatte viel Spaß im Unterricht. Denn ihre Lehrer haben mit außergewöhnlichen Methoden gearbeitet. Aber dann kamen die Nazis.

-

Zur Startseite