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Schicksal von Marvin: Ein Dorf im Schockzustand

Marvin war in Sichenhausen beliebt. Der Sechsjährige wurde am Donnerstag tot aus dem Gederner See geborgen. Das Schicksal des Jungen versetzt die Dorfbewohner in einen Schockzustand.

Gedern - "Marvin war der Freund meines Sohns", sagt die Mutter eines Sechsjährigen, die mit ihrem Kind in den schmalen Straßen Sichenhausens unterwegs ist. "Und er war ein Feiner. Lieb und fröhlich." Die Menschen in Sichenhausen, einem Ortsteil der Stadt Schotten im Vogelsbergkreis, können am Donnerstagmorgen noch nicht wissen, dass Polizeitaucher nur wenige Stunden später den sechsjährigen Marvin tot aus dem Gederner See bergen werden. Alle hoffen bis zuletzt auf ein gutes Ende - und doch spricht bereits jeder in der Vergangenheitsform: "Wir kannten ihn alle."

Marvins Mutter raste in der Nacht zu Dienstag zwischen Herchenhain und Sichenhausen mit ihrem Wagen in den Tod. Seitdem Abschiedsbriefe der 41-Jährigen gefunden wurden, fürchteten die Ermittler, die Mutter könnte ihren Sohn mit in den Tod genommen haben. Am frühen Donnerstagmorgen fischt die Polizei dann eine grüne Bettdecke aus dem Gederner See, nur wenige Kilometer von Sichenhausen entfernt. Das Gewässer ist wegen des ufernahen Campingplatzes weithin bekannt. Die Fundstelle der Decke liegt in Sichtweite der Wohnwagen.

"Keine Erklärung"

Das Bettzeug, stellten die Ermittler schnell fest, stammt aus dem Haushalt von Marvins Eltern. "Natürlich fürchten wir nun das Schlimmste", sagt noch am Vormittag eine ältere Nachbarin der Familie. Jeden Morgen habe sie Marvin an ihrem Haus vorbei zur Bushaltestelle gehen sehen, liebevoll begleitet von seiner 15-jährigen Schwester Angelina. Marvin besuchte die Vorschule im Nachbarort. "Keiner von uns hat hier für irgendetwas eine Erklärung", sagt die Nachbarin.

Sichenhausen gehört im kargen Vogelsberger Land zu den verlassensten Orten. Selbst der Handyempfang ist schlecht in der Gegend. Über die Familie ist in dem 300-Seelen-Ort nordöstlich von Frankfurt kein böses Wort zu hören. "Hier will keiner dummes Zeug reden", sagt eine Spaziergängerin, die auf dem Weg zum Feld am großen, schlichten Wohnhaus der Familie vorbeigeht. "Sonst weiß hinterher bloß wieder keiner, was er gesagt hat, und alle fallen übereinander her."

Polizeitaucher finden Marvin

Das Ehepaar wohnte mit seinen Kindern bei der Familie der Frau. Die Mutter des Sechsjährigen habe zu Hause ihren kranken Vater gepflegt und eine Putzstelle in einem Krankenhaus gehabt, berichten Nachbarn. Auch in der Nebenerwerbs-Landwirtschaft der Familie habe sie mitgeholfen. Marvins 43-jähriger Vater, ein Landmaschinenschlosser mit einer Anstellung im nahe gelegenen Nidda, habe seit Mittwoch nicht mehr mit den Menschen im Ort gesprochen.

Am Donnerstagnachmittag um kurz vor halb zwei finden die Polizeitaucher auf dem Grund des Gederner Sees eine Kinderleiche. Die Uferregion ist abgesperrt, in rund 400 Meter Entfernung verfolgen Dutzende Journalisten und Fernsehteams das Geschehen. Abseits der Szene ruft eine Polizeisprecherin überraschend alle Presseleute zusammen, um die gefundene grüne Decke zu präsentieren. Eine Schutzmaßnahme der Polizei, um ungestört den Körper bergen zu können.

Nur eine Handvoll Fotografen und Journalisten sind Zeugen, als Polizeitaucher um 13.38 Uhr eine Kinderleiche an ihre uniformierten Kollegen im Boot übergeben. Marvins Körper wird oberhalb der Wasserlinie durch eine Plastikplane vor Blicken geschützt. Es ist Marvin. Der kleine Junge ist tot.

(Von Stefan Höhle, ddp)

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