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Schlager: Heute hau'n wir auf die Pauke

Der 70er-Jahre-Sänger Tony Marshall wird 70 - und überrascht seine Fangemeine mit einer neuen CD. Dem "Schnulzen-Heini“ sind die Ideen also noch immer nicht ausgegangen.

Wir 14-jährigen Mädchen kicherten, als uns der Pastor am Tag unserer Konfirmation eine Karte für das Tony-Marshall-Konzert in die Hand drückte. Es war ein sonniger Maitag, und der Sänger war das Highlight unserer hessischen Dorfkirmes, auf der es außer Bierzelt, Kinderkarussell und einer gelegentlichen Schlägerei nicht viel zu sehen gab. Natürlich gingen wir hin, hofften insgeheim auf kleine Auftrittspannen, einige Jungs wollten den "Schnulzen-Heini“ mit Zwischenrufen aus der Reserve locken. Doch als Tony Marshall im roten Jackett die provisorisch zusammengehämmerte Holzbühne betrat, hielten doch alle die Klappe. Nach dem dritten Lied spürten selbst wir gnadenlosen Teenager: Der Typ mit der unsäglichen 70er-Jahre-Minipli war echt, ein Kumpel, der selbst im kleinsten Kaff alles gab und dabei auf eine Art schwitzte, die man einfach mögen musste.

Heute wird Herbert Anton Hilger, wie er richtig heißt, 70 Jahre alt. 70? Wo ist die Zeit geblieben? Seine Karriere startete er eher holprig. Die erste Scheibe "Aline“ floppte, die zweite und dritte ebenfalls. Der ausgebildete Opernsänger mit Stipendium und Staatsexamen an der Karlsruher Musikhochschule wollte schon aufgeben, als ihn der damalige Nachwuchs-Produzent Jack White zum Weitermachen überredete. Prompt wurde ihre "Schöne Maid“ Anfang der Siebziger ein Kassenknaller, hielt sich 56 Wochen in den Deutschen Charts und bescherte den beiden Newcomern sechs Goldene Schallplatten. Stimmungshits wie "Komm gib mir deine Hand“ und "Heute hau'n wir auf die Pauke“ folgten. Die Ehre des deutschen Beitrags beim Eurovision Song Contest verpasste Marshall 1976 haarscharf, und das, obwohl er mit einem Bein bereits im Finale stand. Mit seiner Ballade "Der Star“ gewann er zwar den Vorentscheid, wurde aber nachträglich disqualifiziert, weil eine israelische Sängerin das Lied schon einmal öffentlich dargeboten hatte. Marshall blieb seiner Ehefrau und Sandkasten-Liebe Gaby, die er 1962 heiratete, bis heute treu. Seine Söhne Marc und Pascal nennt er auf seiner Homepage „großartig“, Tochter Stella „wunderbar“. Seit sie 1979 mit einer frühkindlichen Hirnschädigung geboren wurde, engagiert er sich für die Behindertenhilfe und gründete zu diesem Zweck vor knapp zehn Jahren die "Tony-Marshall-Stiftung“. "Ich setze meine ganze Energie daran, dass ich diesen Menschen, denen es wirklich nicht gut geht, helfen kann."

Das nötige Geld verdient er auch heute noch mit Konzerten – für nächstes Jahr ist sogar eine Tournee geplant. Das Publikum überrascht er dann gerne mit einem Trick: "Ich tue so, als ob Mikro und Playback ausgefallen sind. In Wahrheit ist das natürlich abgesprochen. Und dann singt der Tony eben live und ohne Verstärkung.“ Wie vor ihm die tragisch aus dem Leben geschiedenen Kollegen Roy Black und Rex Gildo leidet auch Altmeister Marshall gelegentlich. "Ich will zeigen, dass ich singen kann, dass ich das gelernt habe. Das ist mir wichtig, denn auch ich bin fast erstickt in der Schublade ,Schlagerfuzzi'."

Sein Sohn Marc hat ihn zu einem weiteren Album überredet. "Wie nie“ erschien vor zwei Tagen und zeigt ihn uns von einer nachdenklichen Seite. Neben einigen neu gemixten Marshall-Klassikern präsentiert er dort im Duett mit Xavier Naidoo "So leb' dein Leben“ - eine Coverversion des Sinatra-Hits "My Way“.

Ina Freiwald

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