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Fast Food auf langen Wegen. Durch tiefste Kanäle bringen Schmuggler die begehrten Produkte einer Fast-Food-Kette in den Gazastreifen.

© AFP

Schmugglertunnel in den Gazastreifen: Kühe, Kugeln und Kentucky Fried Chicken

In den Schmugglertunneln zwischen dem Gazastreifen und Ägypten blüht das Geschäft. Inzwischen wird sogar Fastfood einer beliebten Kette unterirdisch transportiert. Doch die Gefahr ist immer dabei.

Burger, Pizza und Co. lassen sich auch Palästinenser liebend gern schmecken. Doch Fast Food ist in der von Hamas kontrollierten Enklave Mangelware. Wie viele anderen Güter des täglichen Lebens ebenfalls. Seit der von Israel verhängten Blockade des Gazastreifens blüht das Schmuggelgeschäft per Tunnel ins Nachbarland Ägypten. Von Baumaterial über Waffen bis zu Bargeld, Autos, lebenden Kühen und Schafen wird heute fast alles durch die unterirdischen Transportwege geschleust. Heiß begehrte Ware im Moment: Kentucky Fried Chicken.

Die Lieferfirma Yamama aus dem ägyptischen Al Arish gibt an, den neuen „Geschäftszweig“ durch einen Zufall für sich entdeckt zu haben. Mittlerweile inseriert sie sogar auf Facebook und verspricht „in drei Stunden knusprig frische KFC-Hähnchen“ nach Gaza-Stadt liefern zu können. Dutzende von Bestellungen sollen pro Woche bei Yamama eingehen und angeblich prompt ausgeführt werden, berichten arabische Medien.

Ein gewöhnliches Familienmenü kostet für ägyptische Kunden umgerechnet etwa 7,50 Euro. Mit Schmuggelzuschlag müssen die Hungrigen in Gaza fast das Dreifache berappen. Immerhin liegt Al Arish um die 35 Kilometer entfernt. Doch jene, die sich die knusprigen Hähnchenteile leisten können, sind begeistert. Mittlerweile ist die Facebookseite von Yamama voller Dankesbekundungen palästinensischer Kunden. In der Rubrik Jobangebote werden nun weitere Schmuggler gesucht, damit die Firma auf den steigenden Bedarf reagieren kann.

Dass Not erfinderisch macht, zeigt die Gaza-Bevölkerung bereits seit Langem. Die Tunnel sind ein lukratives Geschäft für die Betreiber, denn sie verlangen für jede Lieferung eine saftige Beteiligung. Doch das Geschäft ist ein risikoreiches. Denn die unterirdischen Schmugglerpfade sind hastig und mit wenig Einsatz in den Boden gehauen, teilweise bis zu 20 Meter tief, um die Metallplatten zu umgehen, die Ägypten zur Grenzverstärkung in die Erde getrieben hat.

Erst vor einer Woche starb ein Mann in der Nähe des Überganges Rafah zwischen dem Gazastreifen und Ägypten. Der Mann hatte gerade an einem Tunnel gegraben, als dieser über ihm zusammenbrach. Fälle wie diese sind keine Ausnahme: Nach Angaben des palästinensischen Al-Mezan-Zentrums für Menschenrechte sind seit Beginn der Blockade bereits 232 Menschen in den Tunneln umgekommen.

Israel hatte nach der Machtübernahme der Hamas im Gazastreifen im Jahr 2007 eine Wirtschaftsblockade per Land und See verhängt, um die Terrororganisation, die an die Macht gelangt war, zu schwächen. Obwohl Jerusalem regelmäßig Hilfslieferungen in das Palästinensergebiet liefert, unterliegen viele Waren strikten Restriktionen. Ägypten trägt zu der schwierigen Lage bei, indem es den einzigen Grenzübergang in Rafah immer wieder schließt. Außerdem ist Rafah ein reiner Personenübergang, Wirtschaftsgüter werden nicht abgefertigt.

So entstand in den vergangenen sechs Jahren ein regelrechtes Netzwerk von Tunneln. Schätzungsweise existieren über den gesamten Gazastreifen verteilt heute mehr als 1000. Die Eingänge sind immer so gut wie möglich versteckt, viele beginnen in palästinensischen Privathäusern, in denen dann öfter eine Kuh durch das Wohnzimmer spaziert.

Israel stört sich massiv an den Schmuggelwegen, da die Hamas so stets mit neuen Waffen versorgt werden kann. Auf der Bestellliste stehen zum Beispiel Raketen, Bomben und Kugeln, die dann gegen Israel eingesetzt werden. Immer wieder wird der israelische Süden von Extremisten aus dem Gazastreifen beschossen.

Doch auch die Ägypter sehen in den Tunneln zunehmend eine schwelende Gefahr. Weniger durch die Güter, die transportiert werden, als durch die Terroristen, die sich dadurch zwischen den Gebieten praktisch frei bewegen können. Erst im August 2012 waren bei einem Angriff auf einen Grenzposten im Sinai 16 ägyptische Soldaten von islamischen Fundamentalisten getötet worden, die nach Angaben aus Kairo zumindest teilweise aus dem Gazastreifen stammten.

Nach dem Fall des Mubarak-Regimes treiben auf der Halbinsel Sinai Beduinenbanden ihr Unwesen. Und auch immer mehr von Al Qaida gesponserte Terroristen lassen sich dort nieder.

Mehrfach hat Ägypten die Tunnel – zum Teil in Koordination mit Israel – geflutet, um die Schließung zu erzwingen. Selbst die Hamas zeigt sich nun überraschenderweise dazu bereit, die Tunnel zu schließen. Ghazi Hamad, der stellvertretende Sekretär des Hamas-Außenministeriums, hat in der vergangenen Woche vorgeschlagen, das Problem mit den Tunneln in Zusammenarbeit mit den Ägyptern zu lösen.

Genaue Angaben existieren nicht, doch Experten schätzen, dass mittlerweile 30 Prozent aller Güter, die den Gazastreifen erreichen, aus den unterirdischen Geschäften stammen – damit bilden sie einen bedeutenden Anteil der Wirtschaft in dem Streifen, in dem 1,7 Millionen Menschen leben. So gibt auch Hamad zu: „Wir wollten diese Tunnel nie. Sie belasten die Bevölkerung, sind aber gleichermaßen unentbehrlich, weil es keine Alternative gibt.“

Sabine Brandes

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