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Schönheitschirurgie: Wunsch und Wahn

Warum immer mehr Menschen zum plastischen Chirurgen gehen – nicht jeder Eingriff ist grundsätzlich problematisch.

Eine Frau, die eine Ausbildung zur Krankenschwester angefangen hat, bevor sie eine Karriere als Pornostar anstrebte, fällt mit 23 Jahren ins Koma und stirbt – nach dem sechsten Eingriff zur Vergrößerung ihrer Brüste, die schon bei Körbchengröße F angekommen waren. Wieder ist die „Schönheitschirurgie“ damit in den Schlagzeilen. Doch kann man nicht alle Schönheitseingriffe miteinander vergleichen. Es ist ein großer Unterschied, ob eine Frau wie „Sexy Cora“ einen Extrembusen haben möchte oder ob eine 60-jährige Geschäftsfrau sich in der Mittagspause eine Spritze mit Botulinumtoxin A („Botox“) leistet. „Das sind zwei ganz verschiedene Gruppen von Patientinnen“, sagt die Psychologin Ada Borkenhagen, die an der Universität Leipzig zum Thema forscht. „Es ist ein Unterschied, ob ich schon eine gefestigte Persönlichkeit habe, wenn ich einen Eingriff plane, oder ob die Identität noch unsicher und im Werden ist.“ Während ältere Operationswillige meist mit ihrem Äußeren und ihrem Typ grundsätzlich zufrieden seien und ihre Jugendlichkeit ein wenig länger erhalten wollten, hätten die Jüngeren oft radikalere Vorstellungen. Sie wollten einem bestimmten Bild entsprechen und mit dem Eingriff „ihr Glück erkaufen“. Eine Frau, die nach mehreren Schwangerschaften stark abgenommen hat und sich nun eine Straffung ihres Busens wünscht, hat wahrscheinlich bessere Chancen, mit dem Ergebnis glücklich zu sein, als eine 18-Jährige, die hofft, nach der Brustvergrößerung endlich einen Freund zu finden. Für beide sind ausführliche Beratungsgespräche wichtig, an denen es allerdings oft hapert, wie eine Studie der Verbraucherzentrale Hamburg, für die mehrere Testpersonen zum Arzt gingen, im November des letzten Jahres zeigte.

Borkenhagen betont, dass auch die Forschung sich bisher wenig mit Unterschieden zwischen jungen und älteren Operationswilligen beschäftigt hat. „Das hat auch damit zu tun, dass Ärzte kaum zugeben würden, wenn sie 16-Jährige operieren.“ Ausnahmen sind schwere Entstellungen, aber auch ein großer Busen, der starke Rückenschmerzen verursacht. Als Voraussetzung gilt aber immer, dass eine selbstbestimmte Entscheidung getroffen wurde – von einer Person, die psychisch gesund ist und gute Chancen hat, sich nach dem Eingriff tatsächlich besser zu fühlen.

Ob das in der Praxis wirklich so läuft, ist eine andere Frage. Immer noch gehören plastisch-chirurgische Operationen zu den Eingriffen, die im Prinzip jeder Arzt anbieten kann. Wahrscheinlich wird nur ein Bruchteil von ihnen von Fachärzten für Plastische und Ästhetische Chirurgie gemacht, für die ausführliche Gespräche im Vorfeld (oder auch statt) einer Operation zur Behandlung gehören. „Und leider gehört zur Facharztausbildung keine eigene psychologische Ausbildung“, moniert Borkenhagen. Sie würde sich wünschen, dass bei allen Patienten, die zum Vorgespräch kommen, standardisierte Fragebögen eingesetzt werden, mit denen auch Persönlichkeitsmerkmale ermittelt werden. In einer eigenen Studie nimmt sie derzeit an der Uni Leipzig Motive, Wissensstand und Erwartungen von Frauen und Männern unter die Lupe, die sich in einer Praxis oder einer Klinik ihre Falten mit Botulinumtoxin oder Hyaluronsäure behandeln lassen. Rund 400 Fälle sollen es werden – und schon heute vermutet die Forscherin, dass sich im Hinblick auf ihre Persönlichkeitsstruktur keine Auffälligkeiten zeigen werden.

Es gibt aber eine psychische Störung, die die Betroffenen immer wieder zu Hautärzten und Chirurgen führt, der allerdings mit keiner Operation beizukommen ist. Es ist die Dysmorphophobie – die grundlose Vorstellung, besonders hässlich und entstellt auszusehen. Studien aus den USA zufolge sind fünf bis 25 Prozent der Menschen betroffen, die mit einem Wunsch nach körperlicher Veränderung zum Arzt kommen. Für Operateure sind sie eigentlich keine attraktive Klientel, denn sie sind kaum jemals zufriedenzustellen. Wirkliche Hilfe finden Menschen mit ausgeprägten Körperbildstörungen nach einer langen Odyssee durch Arztpraxen dagegen bei Psychotherapeuten.

Doch ist nicht unsere gesamte Gesellschaft inzwischen von einer Art kollektiver Dysmorphophobie befallen? „Körperoptimierung ist eines der zentralen Themen des 21. Jahrhunderts“, sagt die Psychologin Borkenhagen. Die Grenzen zwischen Gesundheitsbewusstsein und Erhaltung des Marktwerts sind bei der Instandhaltung des eigenen Bodys mit Sport und gesunder Ernährung fließend. Das „Warenverhältnis zum eigenen Körper“, das die Psychologin hier erkennt, war sicher auch Cleopatra, Madame Pompadour oder Kaiserin Sissi nicht fremd. Heute jedoch gebe es dafür mehr Druck, sagt Borkenhagen – und das nicht allein für Stars und Sternchen. „Weil Beziehungen kürzer halten, müssen wir uns mehrmals auf dem Markt präsentieren. Und weil technisch mehr möglich ist, entsteht allmählich die Vorstellung, jeder könne eine normierte Hübschheit hinbekommen.“ Das Körperbild junger Frauen und Mädchen (und möglicherweise auch das der jungen Männer) werde zudem immer mehr durch den Einfluss von Pornos verändert. „Studien zeigen, dass das vor allem die jungen Frauen erheblich unter Druck setzt.“

Mit dem erklärten Ziel, den Druck zu verringern, den Modezeitschriften hinsichtlich einer überschlanken Modelfigur aufbauen, zeigt „Brigitte“ ihre Mode seit einiger Zeit an schönen Frauen, die keine Profis sind. „Das ist gut gemeint. Aber weil die Frauen trotzdem fast alle aussehen wie Models, geraten die Leserinnen fast noch mehr unter Druck“, urteilt Borkenhagen. „Hier wird ihnen schließlich ‚bewiesen‘, dass alle Frauen die Körpernorm erfüllen können.“

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