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In altem Schick. 37 renovierte Häuser des ehemaligen Schwabendorfes stehen heute zwischen den Hochhäusern von Tel Aviv.

© Lizzy Kaufmann

Schwaben in Israel: Schaffe, schaffe, Häusle baue

Heute machen sich die Schwaben in Prenzlauer Berg breit, vor über 100 Jahren bereits im Nahen Osten Sarona, das schwäbische Dorf von einst, blüht heute als Stadtteil von Tel Aviv wieder auf.

Das Schwarz-Weiß-Bild auf der Speisekarte verrät, wie es einmal war, in Tel Aviv, vor fast 100 Jahren. Als dort, wo heute Hochhäuser aus dem Boden gestampft werden, der warme Mittelmeerwind noch die Sandmassen umherwehte. 1928 sitzen hier ein paar Männer in Anzügen, mit Krawatten und runden Safarihüten im Schatten der Bäume um einen Tisch mit Decke, ein Kellner serviert Bier in kleinen Glaskrügen. Im Hintergrund wächst eine kleine Palme in einem Fass heran. Der Boden ist trocken, die Lederschuhe der Männer staubig.

Es ist der erste Biergarten des Nahen Ostens und der Mann ganz links auf dem Bild ist sein Besitzer: Christian Kübler, ein Schwabe, der wenige Kilometer von der Mittelmeerküste entfernt nicht nur Bananen anbaute, sondern in seinem Garten Bier an Deutsche, Briten, Araber und die ersten jüdischen Einwanderer ausschenkte: hier im Dörfchen Sarona – heute ein Stadtteil von Tel Aviv. Es treffen Kulturen aufeinander. Auch heute noch.

Genau hier zapft der Israeli Lior Meir nun wieder deutsches Bier, im kürzlich eröffneten Paulaner-Biergarten. Auf seiner Speisekarte stehen – gleich unter dem historischen Bild von 1928 – Curry- und Bratwurst von Kalb und Rind, Sauerkraut und Kaiserschmarrn. „Israelis sind begeistert von der Idee des Biergartens, wo man gemeinsam auf den langen Bänken sitzt und Bier aus großen Krügen trinkt“, erzählt Lior Meir von der Geschäftsidee.

Er hat die deutsche Gaststätte wiederaufleben lassen. Das Gartentörchen am Haus der Küblers steht noch immer: „Darüber war früher das Schild mit der Aufschrift ‚Biergarten‘“, erzählt Meir. „Und diese Washingtonia hier“, er zeigt auf die Palme, die den Giebel des rund fünf Meter hohen Hauses erreicht, „das ist das Pälmchen, das auf dem Foto noch in dem Holzfass steht.“

Christian Kübler (l.) gründete 1928 in Sarona den ersten Biergarten im Nahen Osten.
Christian Kübler (l.) gründete 1928 in Sarona den ersten Biergarten im Nahen Osten.

© Albert Blaich Family Archive

Der Ort Sarona war mal ein schwäbisches Dorf im Heiligen Land, mit gerade mal rund 500 Einwohnern, den Küblers, Lämmles und Glenks, aufgebaut von 18 schwäbischen Familien, die Ende des 19. Jahrhunderts ihr Leben in Württemberg hinter sich ließen und den Neuanfang wagten. Sie gehörten der Glaubensgemeinschaft der Templer an – keine Kreuzritter, sondern eine freichristliche Gemeinde. Acht landwirtschaftliche Kolonien erschufen sie im heutigen Israel, darunter in Haifa und Jerusalem. Die Templer brachten schwäbische Tugenden und deutsche Kultur mit. Und trafen 1871 auf noch nicht erschlossenes Sumpfgebiet. Sie dachten, dass sie in der Scharon-Gegend seien, die im alten Testament erwähnt wird, waren tatsächlich aber etwas südlicher. Und sie übersetzten falsch. Statt Scharona nannten sie ihr Dorf Sarona.

Sie pflanzten Eukalyptusbäume, um die Sümpfe auszutrocknen. Sie bauten Wein und Getreide an, erfanden die modernste Olivenölpresse im ganzen Nahen Osten, die hier heute noch zu sehen ist. Sie errichteten kleine Häuser mit Giebeldächern, eigentlich für schwere Schneemassen konzipiert. Von den kleinen Öfen in der Wohnstube leiteten sie die warme Luft raffiniert in die Häuserwände, um zu heizen – in Tel Aviv rund 335 Tage im Jahr unnötig.

Dennoch hinterließ die schwäbische Bauweise in Tel Aviv Spuren, wie Jeremie Hoffman, Leiter der Abteilung für Denkmalschutz der Stadt Tel Aviv-Yafo, erklärt: „Es war eine Inspiration für die jüdischen Siedler von Tel Aviv, aber auch in anderen Städten wie Zichron Ya'akov. Sie haben dasselbe urbane Design angewandt, öffentliche Gebäude an großen Straßenkreuzungen gebaut. Ähnliche Bauten sieht man hier in Tel Aviv noch rund um die Herzl-Straße.“ Später setzten sich in einer Stadt ohne Schneefall, dafür mit vielen Sonnenstunden, Flachdächer mit Dachterrassen durch.

Warum kamen die Schwaben gerade hierher?

Doch was trieb die Schwaben an, trotz aller Schwierigkeiten gerade hier ein neues Leben aufzubauen? Die Templer kamen aus christlicher Überzeugung. Nicht um aktiv zu missionieren, sondern um als christliche Gesellschaft mit gutem Beispiel voranzugehen und vorzumachen, wie Christen in der Familie und in der Gemeinschaft zusammenleben.

So erzählt es heute Helmut Glenk. Der 71-Jährige ist einer der Nachfahren der Templer. Viele von ihnen leben heute wie er in Australien, wohin die Briten sie während des Zweiten Weltkrieges deportierten. Einige der Sarona-Bewohner sollen mit den Nazis sympathisiert haben, manche sogar Parteimitglieder gewesen sein. So oder so, die Deutschen waren für die Briten Feinde und hatten damit im damaligen Mandatsgebiet nichts verloren.

Templer sei er nicht mehr, sagt Glenk. Doch schwäbisch hätten seine Eltern stets mit ihm gesprochen: „Die Sarona-Bewohner blieben deutsche Staatsangehörige, die Kinder gingen auf deutsche Schulen. Und auch wenn einige von ihnen Arabisch, Englisch und Französisch konnten, untereinander sprachen sie deutsch."

Glenk hat viel zu der Vergangenheit der Templerfamilien geforscht und mehrere Bücher geschrieben, darunter „From Desert Sands to Golden Oranges“. In Australien hat er Annie getroffen, die Tochter des Biergartenwirtes Christian Kübler. Die heute über 80-Jährige lebe in einem Altenheim. Dass der Biergarten wieder auflebt, habe sie sehr gerührt. „Sie erinnert sich noch, wie die Männer von Sarona sich nach Feierabend auf ein Bier trafen und auf der Bahn nebenan ein paar Runden kegelten.“ Auch die Kegelbahn ist heute wieder aufgebaut worden.

Nachdem die Templer Sarona räumen mussten, wandelte sich der Ort zunächst zu einer britischen Militärbasis. Nach der Staatsgründung Israels, als Jerusalem noch belagert wurde, hatte die israelische Regierung hier vorübergehend ihren Sitz, der erste israelische Premierminister David Ben-Gurion ließ die Gegend in „Kirya“ umbenennen. Danach nutzte die israelische Armee die Gebäude bis 2006. Das ehemalige schwäbische Dorf ist heute eine kleine Oase mit 37 renovierten Häuschen inmitten von Tel Aviv. Obwohl rings um Sarona eine Großstadt gewachsen ist, ist es der Stadtverwaltung gelungen, den Charme des Dorfes zu erhalten – mit etwas weniger schwäbischer Sparsamkeit und etwas mehr Luxus.

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