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© APA

Schweiz: Provokation in der Secession

Ein Schweizer Aktionskünstler hat in Wiens ehrwürdigem Ausstellungsort einen Swingerklub etabliert

Eigentlich sind es nur ein paar Matratzen, ein bisschen Sperrholz, Stoff und ziemlich viel rote Farbe. Okay, die Matratzen sind schlau arrangiert und mit dem Holz zu Kojen verbaut, von denen manche komplett offen sind, andere mit einem Vorhang verschließbar, wieder andere mit einem Loch zum Reingucken versehen. Dann gibt es noch einen frei zugänglichen Whirlpool (nicht in Betrieb), zwei einsehbare Duschen (ebenfalls nicht benutzbar). Im hintersten Bereich ist für die ganz speziellen Gäste eine strenge Kammer eingerichtet, Pranger, Andreaskreuz, Betschemel und Gynäkologenstuhl inklusive.

So sieht es angeblich in einem Swingerklub aus. Das sagen zumindest die Betreiber, und die sollten es wissen, schließlich führen sie außerdem noch ein Etablissement namens „Element 6“. Hier jedenfalls wirkt alles ein bisschen piefig, fast armselig, definitiv nicht verrucht. Und würde der Betreiber nicht alle Augenblicke eine Mitarbeiterin losschicken, um nachzusehen, ob „in den Separees noch genügend Kleenex sind“ – niemand würde ernsthaft auf die Idee kommen, dass hier irgendjemand ernsthaft auf die Idee kommt, der Grundidee eines Swingerklubs näherzukommen.

Und dennoch ist dieses Etablissement im Moment das wohl aufregendste Ding, das die österreichische Bundeshauptstadt zu bieten hat. Die Außenstelle des „Element 6“ befindet sich nämlich im Souterrain der Wiener Secession, einem der wichtigsten Ausstellungsorte der Stadt. Der Schweizer Aktionskünstler Christof Büchel hatte die Betreiber von „Element 6“ eingeladen, an diesem ehrwürdigen Ort einen Klub zu betreiben. Zwei Monate soll nun tagsüber das Interieur besichtigt werden, ab 21 Uhr sollen dann die Stammgäste übernehmen. Jene von „Element 6“, versteht sich.

Das Ganze ist natürlich als Provokation zu verstehen. Ein Swingerklub im Keller der Secession, diesem Prachtbau am Karlsplatz, der nicht nur wegen Klimts „Beethovenfries“ in jedem Reiseführer prominent vertreten ist – das kann gar nicht anders zu verstehen sein. Wobei die Sache prinzipiell nicht so aufregend ist: Swingerklubs gibt es, wie die RTL-2-Dokusoaps eindrucksvoll beweisen, in jeder besseren Kleinstadt. Und selbst wenn sie temporär in eine Ausstellungshalle verfrachtet werden, sollte das eigentlich niemanden mehr aufregen.

Doch ganz offenbar hat Büchel bei seiner Aktion gut kalkuliert, dass Wien eben doch anders ist. Der Klub war noch gar nicht eröffnet, schon hatten die Rechtspopulisten der FPÖ mit erregter Unterstützung der österreichischen Boulevardmedien das Thema aufgegriffen. Von einem „Gangbang auf Steuerzahlerkosten“ sprachen die Experten der Freiheitlichen. Die Boulevardblätter schickten aufgeregt Reporter ins Souterrain der Secession. Die in Wien mit absoluter Mehrheit regierenden Sozialdemokraten versuchten zwar, die Sache zu beruhigen: Erst marschierte der Kulturstadtrat in die Secession, um die Installation auf ihren kulturellen Gehalt zu überprüfen, dann sagte Bürgermeister Michael Häupl, dass „sicher kein Steuergeld für den Swingerklub verwendet wird“. Förderungen bekomme nur die Secession insgesamt, nicht aber einzelne Ausstellungen. Doch ganz offensichtlich ist das Thema für die Freiheitlichen zu gut, um die Sache damit auf sich beruhen zu lassen – mittlerweile liegt dem Wiener Landtag sogar eine Anfrage der Freiheitlichen vor, ob die Betreiber des Klubs auch brav „Vergnügungssteuer“ abführen würden.

Ganz offenbar ist Wien, was die öffentliche Erregungsquote betrifft, doch anders. Was andernorts ein müdes Gähnen verursacht, ist hier in der Stadt immer noch für eine Provokation gut. Vielleicht liegt das in diesem ganz speziellen Fall auch daran, dass im Herbst ein neuer Wiener Bürgermeister gewählt wird und der Wahlkampf zumindest unter der Oberfläche bereits mit voller Härte angelaufen ist. Die Freiheitlichen schicken sich an, mit deutlichem Abstand zweitstärkste Partei zu werden. Und neben ihren latent ausländerfeindlichen Parolen kann da auch ein bisschen Empörung über die angebliche Verschwendung von Steuergeldern nicht schaden – vor allem wenn es im Kunstkontext passiert.

Büchel selbst, aber vor allem den Betreibern des „Element 6“ wird das gar nicht so unrecht sein. Der Klub ist extrem gut besucht, sagt einer der Organisatoren. Es kommen vor allem jüngere Männer, aber auch einige Frauen. Klassische Secessionsbesucher sind das eher nicht, sondern vor allem Neugierige, die offenbar mal nachsehen wollen, wie so ein Swingerklub außerhalb von RTL 2 aussieht.

Markus Huber[Wien]

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