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Schwiegermütter: Liebe deinen Drachen

Schwiegermutter und -tochter, diese Beziehung knirscht gewaltig. Jedes vierte Paar leidet darunter. Wie man dem Terror entkommen kann.

Mitten in der Nacht stand sie plötzlich da, im Schlafzimmer ihres Sohns und seiner Frau. Sie zog an seinem Teil der Bettdecke, während sie mit einer Taschenlampe in eine Ecke des Raums leuchtete. „Guck dir das mal an!“, schrie sie. Auf dem Boden lag ein verschimmeltes Brötchen, als Beweisstück für die vermeintliche Unfähigkeit der Schwiegertochter. In Wahrheit hatte sie selbst das Brötchen dorthin gelegt, ebenso wie sie Wochen zuvor Kakerlaken in die Küche geschleust und die Zimmerpflanzen vergiftet hatte. „Deine Frau kriegt nicht mal den Haushalt hin“, hatte sie triumphierend gesagt.

Eine Schwiegermama in Höchstform. Eine wahre Geschichte – erzählt von einer Paartherapeutin.

Ein Partywitz über Schwiegermütter geht so: „Was ist der Unterschied zwischen einem Rottweiler und einer Schwiegermutter? – Der Rottweiler lässt manchmal wieder los.“ Und Lenin blaffte einst: „Die Höchststrafe für Bigamie sind zwei Schwiegermütter.“

In den Weihnachtstagen mag sich für manche das Klischee von der bösen Schwiegermutter als wahr erwiesen haben. Aber ist dieses Vorurteil gerecht? Ja, sagt Harald Euler von der Uni Kassel, der Beziehungen zwischen Familienmitgliedern untersucht hat. Ergebnis: Schwiegermütter und -töchter haben das schlechteste Verhältnis überhaupt. Dass die Mama des Liebsten nicht zu „Everybody’s Darling“ taugt, zeigt auch eine Umfrage der Gesellschaft für Erfahrungswissenschaftliche Sozialforschung (Gewis): 28 Prozent aller verheirateten Frauen gaben an, dass ihre Partnerschaft ernsthaft unter der Schwiegermutter leide. Nur über Kindererziehung und Geld wird in deutschen Ehen noch häufiger gestritten. Bei jeder achten Scheidung ist die Schwiegermutter der Trennungsgrund.

Die geschundenen Schwiegertöchter bleiben nicht tatenlos: Bundesweit gibt es rund 40 Selbsthilfegruppen für Frauen, die mit ihren Schwiegermüttern im Krieg liegen. Ruth Gall, Autorin des Buches „Wege aus der Schwiegermutter-Falle“ sagt: „Da stecken wahre Tragödien dahinter. Doch ernst genommen wird selten jemand mit diesem Problem.“

Die Augsburgerin, selbst betroffen, machte im Jahr 1995 den Anfang und suchte nach Schicksalsgenossinnen. Hunderte meldeten sich. Bald gab es nicht mehr nur Selbsthilfegruppen, die heute 56-jährige Gall bot auch persönliche Beratung an und gründete ein Internetforum. Seitdem hatte sie über 90 000 Kontakte zu Schwiegermutter-Geplagten. „Viele schämen sich. Oder leben in dem Irrglauben, versagt zu haben, da sie trotz guten Willens nicht in der Lage sind, mit der Mutter des Partners klarzukommen“, so Gall. In den Selbsthilfegruppen durfte endlich offen über das gesprochen werden, was man nicht mal der besten Freundin anvertrauen mochte. Eine Geschichte haarsträubender als die andere. Die Betroffenen selbst verwunderte es kaum, wussten sie doch, wozu Schwiegermütter in der Lage sein können. Man könnte meinen, manche Schwiegermamas hätten sich ihre Ideen aus Thriller-Drehbüchern geklaut. Ruth Gall weiß von unzähligen Fällen, in denen die Mutter des Ehemanns Kontoauszüge kontrolliert, Wäsche auf der Leine zerreißt oder Haustüren aufbricht. Beliebt sei auch, den Müll zu durchwühlen, um zu beweisen, wie verschwenderisch die Schwiegertochter angeblich ist. Selbst Kontrollanrufe, bis zu 70 Mal am Tag, seien Standardrepertoire. „Abgefragt wird, ob die Schwiegertochter auch brav daheim ist, was sie gerade macht, und dann auch gleich, wie sie das zu machen hat“, sagt Gall.

Irgendwo zwischen Augsburg und München. Hier leben, nur ein paar Straßen voneinander entfernt, Pia, 29, und Johanna, 55. Schwiegertochter und Schwiegermutter. „Wir sahen uns und ich mochte sie nicht. So ging es los“, erzählt Pia. David, der Sohn, ein Einzelkind, sagte zu ihr: „Mit der Mama haben alle erst mal Probleme. Das legt sich.“ Es legte sich nicht. „Mich nervte, wie besorgt sie ständig um David war. Ob ich denn anständig für ihn kochen würde.“ Weil ihr, Pia, der erste Schweinebraten völlig verkohlt sei, fühlte sich fortan Johanna dafür zuständig. Mindestens ein- bis zweimal in der Woche kam sie vorbei und hantierte in Pias Küche, „damit der David seinen geliebten Schweinebraten kriegt“. Oft machte sie die Wäsche gleich mit oder wischte im Bad noch mal „extra“ durch. Zu Pia sagte sie, sie helfe ihr gern, kein Problem. Sie spüre ja, wie Pia manchmal mit dem Haushalt überfordert sei. Und, unter uns, in jungen Jahren sei es ihr auch so ergangen.

Pia ließ Johanna machen. Bloß keine Konflikte, dachte sie. Denn die kannte sie nur zu gut aus ihrer Familie, wo es keinen Tag ohne Streit gegeben hatte. Und nun, mit David und Johanna – Vater Norbert war zu Davids Studienzeit verunglückt –, sollte es anders sein. Eine „richtige“ Familie. Frieden. Harmonie. Pia redete sich ein, dass Johanna es nur gut meine. Sie strengte sich an, sie zu mögen. Ist doch schön, dachte sie, dass ich endlich eine Mutter habe, die sich um mich kümmert.

„Ich gebe zu, ich habe irgendwann übertrieben“, sagt Johanna. So oft wie möglich, es war ja gleich um die Ecke, besuchte sie „ihre“ Kinder. Übernachtete manchmal auf der Couch im Wohnzimmer. Begleitete sie, wenn sie ins Restaurant gingen. Feierte mit ihnen deren Hochzeitstag. Flog mit in den Urlaub. Erst als Pia, die sonst so ruhige Pia, sie aus dem Haus warf, in Tränen aufgelöst, erkannte sie, dass es so nicht weitergehen konnte. Johanna schrieb ihr einen langen Brief, bekannte sich, obwohl es ihr sehr schwer fiel, zu ihrer Eifersucht. Sie sagt: „Im Grunde haben wir eine Beziehung zu dritt geführt.“ Weil sie nicht wussten, wie sie die verfahrene Situation lösen sollten, holten sich die drei professionelle Hilfe. „Wir haben noch mal neu angefangen“, sagt Johanna. „Es gibt mehr Distanz. Und die tut uns beiden gut“, sagt Pia.

Schwiegersöhne kriegen die Sache mit den Schwiegermüttern dagegen meist sehr gut geregelt. „Das Verhältnis Schwiegermutter und -sohn ist sogar ausgesprochen gut“, sagt Experte Harald Euler und liefert eine evolutionsbiologische Begründung: „Weil es für die Tochter wichtig ist, ihren Mann zu ,halten‘, bemüht sich ihre Mutter um ein gutes Verhältnis zu ihm.“ Auch Papa macht nicht so ein Theater, wenn es um seinen Schwiegersohn geht. Einfach deshalb, weil er nicht so eine Klette ist. „Die Mutter trägt ihre Kinder in sich und verbringt wesentlich mehr Zeit mit ihnen. Ihr Verhältnis zu ihnen ist also viel enger. Dem Vater hingegen fällt es leichter, loszulassen“, sagt Gabriele Leipold, Paarberaterin aus München. Ausnahmen bestätigen die Regel: Heikel wird es, wenn das Töchterchen als Papas Prinzessin verhätschelt wird.

Was genau ist nun eigentlich los zwischen den Frauen? Psychologen sagen: Dass ihr Sohn eine andere Frau als sie selbst liebt, sei eine kränkende Erfahrung für viele Mütter. Das ist ein kulturübergreifendes Phänomen. „Außerdem tritt die neue Frau ausgerechnet dann auf, wenn es bei der Mutter ohnehin kriselt: das Alter, die Wechseljahre, Krankheit und Tod der eigenen Eltern, eventuell auch der Verlust des Ehemannes“, so Beraterin Leipold, zu der seit mehr als 20 Jahren Paare kommen – in jeder dritten Beratung spielt die Schwiegermama eine Rolle. Wissenschaftler der Universität Gießen sprechen zudem von einem genetischen Interessenskonflikt. Wer garantiert der Schwiegermutter, dass die Enkel tatsächlich ihre Gene tragen? Und Harald Euler bringt wieder die Evolution ins Spiel: Die Alte lehne die Junge ab, weil die ihren Sohn davon abhalte, sich mit anderen Frauen zu paaren – und so die mütterlichen Gene weiterzuverbreiten.

Der Sohn liebt seine Frau – und er liebt seine Mutter. Er, der sowieso nicht versteht, was seine Lieblingsfrauen mal wieder haben, neigt dazu, sich herauszuhalten. Diese Taktik kommt aber oft gar nicht gut an. Die Mutter schmollt dann. Und die Ehefrau wirft dem Mann vor, gemeinsame Sache mit der Mutter zu machen; im schlimmsten Fall fordert sie: Sie oder ich. Doch damit tut sie sich selbst keinen Gefallen. „So was geht gar nicht“, sagt Leipold. Die Mutter ist nun mal da. „Man muss sich ja nicht nicht lieben, darf auch Abstand halten. Das ist sogar gesund.“ Und bitte nicht die Schwiegermutter zur Buhfrau machen. Manchmal würden Schwiegertöchter auch einfach zu viel erwarten. Oder es liege am Sohn, der es nicht geschafft habe, sich abzunabeln. Heißt also: Alle Beteiligten sollten versuchen, ihre eigene Rolle kritisch zu betrachten. Und wenn es mal hoch hergeht: Grenzen setzen, Verständnis aufbringen – jeder hat auch seine guten Seiten.

Anderswo, in Japan zum Beispiel, haben Schwiegermütter übrigens einen unangreifbaren Status; Krach mit ihnen wäre sozusagen Majestätsbeleidigung. Und immerhin, es bleiben, siehe Gewis-Studie, auch hierzulande 72 Prozent, die sich offenbar ganz gut mit der Schwiegermutter verstehen.

„Schwiegermütter sind besser als ihr Ruf“, sagt Andrea Kettenbach von der Fernuniversität Hagen. Für eine Studie befragte die Psychologin Schwiegertöchter. Ergebnis: Manche hätten von der Schwiegermutter regelrecht geschwärmt. Zudem, so Kettenbach, gebe es nicht „die“ Schwiegermutter, sondern mindestens vier sehr unterschiedliche Typen: die Wunsch-Schwiegermutter, fürsorglich und liebevoll. Dann die manchmal nervige, aber sonst hilfsbereite. Außerdem die, der die Schwiegertochter relativ egal ist. Und dann gibt es eben noch das „Schwieger-Monster“.

Neu und noch nicht in der Studie berücksichtigt, ist Typ fünf: die SexAnd-The-City-Schwieger-Mum. Shopping, Fitnessstudio, Paris, London. Der Terminkalender ist voll. Babysitten? Gerne, aber erst in drei Wochen. Dafür, Schwiegermutter zu sein, bleibt kaum mehr Zeit. Lieber macht sie, auch optisch, auf beste Freundin. Vertrauliches Zwinkern: Ich hoffe, mein Sohn bringt’s im Bett. Findest du, das neue Blond steht mir? Handy-Geplänkel: Sorry, mein Flieger geht gleich. Ja, ich sagte doch, an Weihnachten bin ich auf den Seychellen.

Die neue Schwieger-Generation. Besser? Schlechter? Auf jeden Fall erst mal auf einer Insel im Indischen Ozean.

Sylvie-Sophie Schindler

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